GELD ODER BRIEF

Intel hat ein Führungsproblem

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt Börsen-Zeitung, 7.8.2020 Noch vor wenigen Jahren hat sich Intel als Platzhirsch der weltweiten Halbleiterbranche behauptet. Das galt nicht nur für schiere Größe und weltweite Präsenz, sondern auch für...

Intel hat ein Führungsproblem

Von Dieter Kuckelkorn, FrankfurtNoch vor wenigen Jahren hat sich Intel als Platzhirsch der weltweiten Halbleiterbranche behauptet. Das galt nicht nur für schiere Größe und weltweite Präsenz, sondern auch für Marktdurchdringung und technische Kompetenz. Mittlerweile hat sich dies aber komplett gewandelt, der Konzern ist heute auf wichtigen technischen Gebieten ein Nachzügler, der hinter Wettbewerbern wie AMD hinterherhinkt.Dies wird auch am Aktienkurs deutlich. Der Titel hat im laufenden Jahr 19 % eingebüßt. Auf den ersten Blick erscheint dies mit Blick auf die laufende Coronakrise nicht als ungewöhnlich. Allerdings kommt Hauptwettbewerber AMD im laufenden Jahr auf einen Kursgewinn von fast 87 % und der technologielastige Nasdaq Composite seit Anfang Januar auf einen Anstieg von mehr als 22 %.Intel hat also offensichtlich ein Problem, das der Konzern auch bereits gebeichtet hat: Das Unternehmen teilte am 23. Juli mit, dass es Probleme mit der Einführung der 7-Nanometer-Technologie zur Fertigung von Computerchips hat, so dass sich diese verzögert. Diese Ankündigung resultierte in einem Kursrutsch von 15 %, der schärfsten Tageskorrektur des Kurses der Intel-Aktie als Folge einer Gewinnwarnung seit 20 Jahren. Da Wettbewerber AMD bereits Chips in der aktuellen 7-Nanometer-Technologie fertigen lässt, und zwar von dem taiwanesischen Partnerunternehmen TSMC, bleibt Intel nichts anderes übrig, als sich nun ebenfalls an TSMC zu wenden, um entsprechende Prozessoren anbieten zu können und gegenüber AMD nicht vollends ins Hintertreffen zu geraten. Eine Blamage, da Intel bisher seine Chips immer selbst fertigte. Kein Techniker an der SpitzeMöglicherweise hat Intel auch ein Führungsproblem, das eng mit dieser Entwicklung zusammenhängt. Während beispielsweise AMD mit CEO Lisa Su eine Elektronikingenieurin und Absolventin des Massachusetts Institute of Technology an der Spitze hat und Nvidia mit Gründer und CEO Jensen Huang einen Elektronikingenieur der Universität Stanford, wird Intel von Bob Swan geführt, einem ausgebildeten Manager, der zuvor in ganz anderen Branchen gearbeitet hat und zunächst nur als Interimslösung für Intel galt. Swan sieht die Verantwortung für das Desaster aber offensichtlich nicht bei sich selbst, er hat nämlich umgehend den Chief Engineering Officer Venkata Renduchintala hinausgeworfen und die Entwicklungsabteilung umstrukturiert. Die Analysten sind allerdings nicht so recht davon überzeugt, dass dies die Probleme löst, denn es gibt aktuell nur zehn Kaufempfehlungen und zwei Einstufungen mit “Übergewichten”, allerdings 19 “Halten”-Anlageurteile sowie zweimal “Untergewichten” und acht Verkaufsempfehlungen. Für die notorisch zuversichtlichen US-Aktienanalysten ist dies schon eine ziemlich vernichtende Beurteilung einer Ikone der amerikanischen Halbleiterindustrie. Immerhin wird im Durchschnitt der Schätzungen noch ein gewisses Kurspotenzial auf Sicht von zwölf Monaten gesehen. Das Kursziel beträgt 57,69 Dollar, gegenüber dem aktuellen Kurs ein möglicher Anstieg von immerhin 19 %, der allerdings für den hochfliegenden Technologiesektor eher mickrig wirkt. In der ÜbergangsphaseDas Intel-Management gibt an, der Konzern befinde sich in einer Übergangsphase. An vorderster Front der weltweiten Technologieentwicklung befinden sich schon lange nicht mehr die Personal Computer und Server-Technologien von Intel, sondern 5G, künstliche Intelligenz und andere Themen. Was sollen Investoren da von einem Konzern halten, der selbst sein Legacy-Kerngeschäft nicht mehr im Griff hat? Es ist daher auch kein Wunder, dass es der erste Buchstabe des Konzernnamens nicht ins Akronym FAANG geschafft hat, das die größten und lukrativsten amerikanischen Technologiekonzerne zusammenfasst. Intel kommt aktuell auf eine Marktkapitalisierung von 203 Mrd. Dollar, ist also gegenüber Konzernen wie Apple mit 1,84 Bill. Dollar, Microsoft mit 1,55 Bill. Dollar und selbst gegenüber einem Warenverkäufer und Paketdienst namens Amazon mit 1,59 Bill. Dollar weit abgeschlagen. Chiphersteller Nvidia hat Intel bereits hinter sich gelassen, bald könnte dies auch AMD und Qualcomm gelingen. Wer die Bewertungen betrachtet, könnte die Intel-Aktie mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis auf Basis der Ergebnisschätzungen der kommenden zwölf Monate von gerade einmal 8,9 für günstig halten. Zum Vergleich: Apple kommt auf 33,7, Microsoft auf 37,9 und Amazon auf 122. Die Intel-Aktie ist allerdings nur dann billig, wenn man davon ausgeht, dass der Konzern seine technologischen Probleme zügig in den Griff bekommt. Da ist es nicht gerade vertrauenserweckend, dass der Halbleiterproduzent nur wenige technische Details zu den Problemen nennt. Nun scheint es mindestens sechs Monate zu dauern, bis Intel endlich eine gegenüber AMD konkurrenzfähige Chip-Generation auf den Markt werfen kann. Das deutet auf weitere Marktanteilsverluste zugunsten des Wettbewerbers hin. Somit ist es durchaus möglich, dass der Intel-Aktienkurs sein März-Tief von 43,63 Dollar noch einmal antestet. Riese in der BrancheAllerdings dürfen Marktteilnehmer auch nicht übersehen, dass Intel mit erwarteten Erlösen im laufenden Jahr von 75 Mrd. Dollar immer noch ein Riese ist. Da der Weltmarkt ein Volumen von geschätzten 426 Mrd. Dollar haben soll, wäre das ein Marktanteil von 17,6 % an sämtlichen weltweiten Halbleiter-Verkäufen. AMD kommt lediglich auf einen Marktanteil von 2 %. Allerdings könnten sich nun die Marktanteilsverluste von Intel beschleunigen.Intel hat nicht mehr viel Zeit, die Lage durch einen Personalwechsel an der Spitze oder die Akquisition eines Unternehmens mit Schlüsseltechnologien in den Griff zu bekommen. Sollte dies nicht erfolgen, könnte Intel zu den vielen amerikanischen Unternehmensikonen gehören, die aktuell den Abstieg in die Belanglosigkeit antreten.