Im InterviewJohn Reade, World Gold Council

„Man kann von einem halsbrecherischen Tempo der Goldkäufe der Notenbanken sprechen“

Der Goldpreis hat kürzlich ein Rekordhoch erreicht, und es wird erwartet, dass es im laufenden Jahr weitere Rekorde geben könnte. John Reade, Chief Market Strategist des World Gold Council und einer der führenden Goldexperten der Welt, erläutert im Interview der Börsen-Zeitung, wie sich die Goldnachfrage, die den Preis des Metalls antreibt, entwickelt.

„Man kann von einem halsbrecherischen Tempo der Goldkäufe der Notenbanken sprechen“

Im Interview: John Reade

„Goldnachfrage der Notenbanken bleibt hoch“

Chefstratege des World Gold Council: Starker Rückgang der deutschen Käufe von Barren und Münzen

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt
ku Frankfurt

Der Goldpreis hat kürzlich ein Rekordhoch erreicht, und es wird erwartet, dass es im laufenden Jahr weitere Rekorde geben könnte. John Reade, Chief Market Strategist des World Gold Council und einer der führenden Goldexperten der Welt, erläutert im Interview der Börsen-Zeitung, wie sich die Goldnachfrage, die den Preis des Metalls antreibt, entwickelt.

Herr Reade, was sind Ihrer Meinung nach die spektakulärsten Trends in der Nachfrage nach Gold?

Die größte Schlagzeile macht sicherlich, dass die Notenbanken auch 2023 in großem Umfang Gold gekauft haben. Man kann von einem halsbrecherischen Tempo der Goldkäufe durch die Notenbanken sprechen, wobei der Rekord des Jahres 2022 im vergangenen Turnus fast wieder erreicht worden ist mit mehr als 1.037 Tonnen. Seit der globalen Finanzkrise hatten die Notenbanken bis 2022 ungefähr 500 Tonnen pro Jahr gekauft, was sich seither dramatisch vergrößert hat. Angesichts eines Marktvolumens von knapp unter 5.000 Tonnen ist das eine bedeutende Veränderung.

Warum kaufen die Notenbanken derzeit so viel Gold?

Es gibt drei Faktoren, die hier eine Rolle spielen. Was die volkswirtschaftliche Lage betrifft, so sind sich die Notenbanken erstens darüber klar geworden, dass die Inflation keinesfalls tot ist. In den nächsten Jahren wird es darauf ankommen, die Geldentwertung unter Kontrolle zu behalten, denn strukturelle Faktoren werden für einen anhaltenden Inflationsdruck sorgen. Außerdem spielt zweitens die Geopolitik eine große Rolle: Wir bewegen uns von einer Welt, in der der Dollar und andere westlichen Devisen die großen Reservewährungen waren, hin zu einer Welt, in der andere wichtige Volkswirtschaften wie China und Indien Reservewährungen stellen werden. Der Dollar wird lediglich eine von mehreren Reservewährungen sein. Das Problem liegt aber darin, dass die Finanzmärkte der Schwellenländer dafür noch nicht weit genug entwickelt sind. Die Liquidität ist noch nicht ausreichend, es gibt Kapitalkontrollen und oftmals auch Bedenken hinsichtlich der Rechtssysteme. Für die Notenbanken dieser Länder ist daher Gold eine gute Möglichkeit, mit Blick auf die bisherigen Reservewährungen zu diversifizieren.

Spielen auch die aktuellen geopolitischen Konflikte eine Rolle?

Der dritte Faktor sind die Sanktionen, die gegenüber Russland ergriffen wurden, vor allem die Beschlagnahme der russischen Zentralbankguthaben. Politiker sehen Zentralbankreserven oftmals einfach nur als Cash an, das in Krisenzeiten genutzt werden kann. Das ist aber nicht der Fall. Es handelt sich vielmehr um Investments in Finanzsysteme. Das macht sie so anfällig für Sanktionen. Demgegenüber hielt Russland rund 20% seiner Zentralbankreserven in Gold im eigenen Land, so dass diese weiterhin genutzt werden können, zumal zwei Drittel der Goldnachfrage aus den Emerging Markets kommt, die die Sanktionen meist nicht unterstützen. Die Erfahrungen, die Russland gemacht hat, sind für die nicht an den Westen gebundenen Schwellenländer ein weiterer starker Anreiz, Alternativen zum Dollar zu suchen. Wir gehen daher davon aus, dass die Nachfrage der Notenbanken weiterhin hoch bleiben wird.

Wie hat sich denn die Gesamtnachfrage nach Gold 2023 entwickelt?

Wir sollten bei der Analyse vor allem die Zahlen für das Gesamtjahr betrachten, die weniger von kurzfristigen saisonalen Effekten geprägt sind als die jeweiligen Quartalszahlen. Somit lässt sich durchaus von einer robusten Nachfrage nach Gold sprechen, wenngleich diese unter Ausklammerung der OTC-Nachfrage um 5% unter dem sehr starken Vorjahr lag. Nimmt man den relativ intransparenten OTC-Handel und einige Bestandsveränderungen hinzu, handelt es sich sogar um die bislang stärkste Nachfrage nach dem Edelmetall. Im OTC-Geschäft kaufen übrigens vermögende Privatkunden von den Banken große Goldbarren, was diskret gehandhabt wird und nicht über die Einzelhändler von Gold geht. In diesem OTC-Bereich haben wir übrigens in den vergangenen 18 Monaten eine starke Nachfrage gesehen.

Hat es 2023 hinsichtlich der Goldnachfrage auch Enttäuschungen gegeben?

Enttäuschend hat sich die Nachfrage von Exchange-Traded Funds (ETF) entwickelt. Institutionelle Investoren und Retail-Anleger verkaufen weiterhin Gold, und zwar mittlerweile schon im dritten Jahr in Folge. Im vergangenen Jahr waren es immerhin Verkäufe von 244 Tonnen. Es gibt dabei eine interessante Diskrepanz zu den Verkäufen von kleinen Goldbarren und Münzen an Privatpersonen. Dieses Marktsegment ist mit 1.190 Tonnen übrigens groß und sehr wichtig, auch wenn es in der Öffentlichkeit oft weniger stark beachtet wird als das ETF-Marktsegment, und es zeigt sich auch weiterhin robust mit einem leichten Rückgang von 3% gegenüber Vorjahr. Der Rückgang ist übrigens praktisch ausschließlich auf Deutschland zurückzuführen.

Inwiefern? In Deutschland hatten wir ein Allzeithoch der Nachfrage nach kleinen Barren und Münzen während der Pandemie, obwohl es keine Finanzkrise oder Krise im Bankensystem gab.

Ja, aber es gab Sorgen wegen des Wirtschaftswachstums und Bedenken wegen der Performance anderer Finanzanlagen. Zudem hielten sich die Leute viel zu Hause auf und waren kaum in der Lage, Geld auszugeben. Sie legten also mehr Ersparnisse an als normalerweise. Nun lässt seit dem Ende der Pandemie die Ersparnis aber wieder nach, was für die USA, die Eurozone und natürlich auch Deutschland gilt. Die Sparquote nimmt ab, weil es wieder leichter geworden ist zu konsumieren und wegen der gestiegenen Kosten für Energie, Lebensmittel und andere Güter des täglichen Bedarfs. Das hat sich in Deutschland vor allem auf die Goldkäufe ausgewirkt. In Deutschland wurde 2022 per saldo sogar Gold verkauft, unter anderem wegen der steigenden Zinsen. Veränderungen der Opportunitätskosten der Goldhaltung sind ein wichtiger Einflussfaktor auf die Goldnachfrage.

Was sind weitere wichtige Aggregate der Goldnachfrage?

Ein weiterer sehr wichtiger Bereich ist die Schmucknachfrage vor allem in Ländern wie China und Indien. Sie war 2023 gegenüber Vorjahr praktisch nicht verändert, was insofern sehr interessant ist, als wir ja einen Goldpreis auf Rekordniveau hatten. Wir haben aber gleichwohl eine hohe Nachfrage nach Goldschmuck gesehen. Das bestätigt uns, dass es ein ungebrochen starkes Interesse an Gold gibt, das im Grunde unabhängig vom Preis ist. In Indien gibt es beispielsweise nur dann einen deutlichen Rückgang der Nachfrage, wenn der Goldpreis rasch stark ansteigt. Nach dem Ende einer derartigen Phase erholt sich die Nachfrage dann aber stets wieder. Im vergangenen Jahr war es vor allem China, das die Nachfrage in diesem Segment gestützt hat, weil China zu den Ländern gehört, die als Letzte aus der Pandemie gekommen sind. Ich gehe auch davon aus, dass wir im ersten Quartal eine starke Nachfrage aus China sehen, zumal sich derzeit die Umsätze an der Goldbörse in Schanghai auf dem höchsten Niveau seit einigen Jahren befinden.

Woran liegt das?

In China wird das Edelmetall trotz des hohen Preises in Dollar gekauft, weil davon ausgegangen wird, dass die chinesische Währung schwächer wird.

Welche Rolle spielt eigentlich noch die Nachfrage aus den Bereichen Industrie und Technologie?

Es handelt sich um ein kleineres Segment der Goldnachfrage in der Größenordnung von 300 Tonnen pro Jahr. Hier gibt es die stärkste Abhängigkeit von der Konjunkturlage und insbesondere eine deutliche Reaktion auf Veränderungen der Nachfrage nach Technologie.

Das Interview führte Dieter Kuckelkorn.

Das Interview führte Dieter Kuckelkorn.