Ist die Unterscheidung von Growth und Value noch zeitgemäß?
Anlagestrategien
Growth oder Value – ist die Unterscheidung noch zeitgemäß?
Goldman Sachs plädiert für neue Betrachtungsweise – Aktienmix beider Stile als Königslösung?
Die meisten Anlagestrategien setzen entweder auf Growth- oder auf Value-Titel. Goldman Sachs stellt diese Abgrenzung in einem Kommentar nun infrage. Die Rahmenbedingungen hätten sich geändert. Wichtiger als der Anlagestil ist für die Investmentbank nun der richtige Aktienmix.
Von Tobias Möllers, Frankfurt
Growth oder Value? Welche dieser beiden Anlagestrategien ist erfolgversprechender? Abgesehen davon, dass die „richtige“ Anlagestrategie immer auch von der Persönlichkeit und den Vorlieben des Anlegers sowie seiner Risikobereitschaft abhängen, war das lange die Gretchenfrage für Investoren.
Während Anhänger von Value-Titeln bevorzugt auf Substanzwerte setzten, die zwar wenig Wachstum, dafür aber zuverlässig Gewinne und Dividenden versprachen, setzten Anleger von Growth-Werten lieber auf Unternehmen, die auf ein hohes Wachstum und hohe künftige Gewinne ausgerichtet waren. Letzteres gilt als risikoreicher, wogegen Investoren, die der Value-Strategie anhängen, eher als konservativ gelten. Dabei gab es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer wieder Phasen, in denen mal die eine, mal die andere Strategie renditeträchtiger war.
Eine ganz neue Antwort auf die Frage, ob die Growth- oder Value-Strategie erfolgversprechender ist, gibt nun Simona Gambarini von Goldman Sachs Asset Management in einem Kommentar. Statt sich für eine der beiden Anlagestrategien zu entscheiden, rät sie zu einem strategischen Aktienmix beider Stile. Darüber hinaus stellt Gambarini die grundsätzliche Frage, ob diese Unterscheidung noch so sinnvoll ist. Eine Abgrenzung dieser beiden Stile sei zuletzt schwieriger geworden.
Value-Titel mit Comeback
Zuletzt, nach dem Abflauen der Corona-Pandemie und in einem Umfeld aus stärkerer Inflation und höheren Renditen hatten Value-Titel ein Comeback hingelegt. Dem ging allerdings auch eine 15 Jahre andauernde Underperformance im Vergleich zu Growth-Werten voraus. Dass nun eine ebenso lange Phase der Value-Dominanz folgt, ist für Gambarini alles andere als ausgemacht. Daher rät sie zu einer Kombination aus Growth- und Value-Titeln.
Dabei wies der Value-Ansatz für stolze 37 Jahre, zwischen 1970 und Anfang 2007, eine Erfolgsbilanz mit überdurchschnittlichen Renditen auf, ehe ihm dann die Growth-Titel den Rang abliefen.
Gambarini macht nun neben langfristigen Rahmenbedingungen, die jeweils einen der beiden Ansätze begünstigen – hohe Inflation, hohe Zinssätze und eine starke Konjunktur fördern Value-Titel, eine niedrige Inflation, niedrige Zinssätze und ein schwaches Wirtschaftswachstum unterstützen in der Regel Growth-Werte – kurzfristige Trendwenden, „die verhindern, dass sich eine der beiden Strategien klar durchsetzt“, aus. Auch in der Vergangenheit habe es in den Zeiträumen, in denen ein Anlagestil dominierte, kurze Phasen einer Trendumkehr gegeben: „Seit Januar 1970 gab es sieben Phasen, in denen der Value-Ansatz länger als ein Jahr ertragreicher war, und sieben Phasen, in denen der Growth-Ansatz über mehr als ein Jahr besser abschnitt.“
Andere Rahmenbedingungen
Mit Blick auf die Zukunft geht Gambarini davon aus, dass Energie und Arbeitskräfte knapper und teurer werden. Während Rohstoffe als Wachstumsmotor eine größere Rolle spielen dürften, sei bei Wachstumstiteln mit einer höheren Volatilität zu rechnen. Hinzu komme die Erfolgsgeschichte von immateriellen Wirtschaftsgütern wie etwa Softwarekosten. Berücksichtigt man diese Rahmenbedingungen, sieht Goldman Sachs die Grenze zwischen Growth und Value verschwimmen. Wichtiger werde nun eine zunehmende Diversifizierung.
Dass eine trennscharfe Unterscheidung zwischen Value und Growth mittlerweile schwierig ist, zeigt auch, dass 170 Aktien aus dem MSCI World Index sowohl im MSCI World Value Index als auch im MSCI World Growth Index vertreten sind. Goldman Sachs plädiert daher dafür, bei Anlageentscheidungen weniger stark auf den Anlagestil zu achten.
Mix beider Anlagestile
Die Investmentbank bevorzugt einen Mix beider Anlagestile: „In einer Welt, in der der Erfolg eines Anlagestils häufiger schwankt und sich zudem über Stile und Regionen hinweg langfristige Megatrends zeigen können, kann sich eine Kombination aus Wachstums- und Value-Aktien in einem strategischen Portfolio auszahlen.“ Die klassische Einteilung von Anlagen – nach Growth oder Value, nach Ländern, Sektoren – sei für künftige Anlagechancen dagegen „unter Umständen nicht mehr optimal geeignet“.