IM INTERVIEW: KLAUS HESSBERGER, J.P. MORGAN

"Jetzt kommt die nächste Welle von Carve-outs"

Co-Leiter Equity Capital Markets in Europa: Größere Liquidität oder Spezialisten gefragt - US-Investoren agieren antizyklisch

"Jetzt kommt die nächste Welle von Carve-outs"

– Herr Hessberger, was wird – abgesehen von Covestro – der spannendste Börsengang in diesem Jahr in Deutschland?Den haben wir bereits gesehen: Tele Columbus, das weltweit erste IPO in diesem Jahr. Der Börsengang hat dem Unternehmen dann beim Kauf von Primacom geholfen, der im Sommer abgeschlossen wurde.- Und europaweit?Im Rückblick die NN Group, das Versicherungsgeschäft der ING, das die Bank in einem börsennotierten Carve-Out-IPO abgegeben hat. Es folgten schnell Umplatzierungen, so dass die NN Group auf dem Weg zum Unternehmen in vollem Streubesitz ist.- China, die US-Notenbank, Griechenland, zahlreiche Krisenherde: Wo liegen Ihrer Ansicht nach die wichtigsten Belastungsfaktoren für die Eigenkapitalmärkte?Griechenland ist bezogen auf die Aktienmärkte ein Nichtereignis; das ist bereits seit langem eingepreist. Generell gilt: Korrekturen sind nicht schlecht, weil sie verhindern, dass eine zu starke Überhitzung an den Börsen im aktuellen Niedrigzinsumfeld stattfindet.- Nach dem Crash am Montag, 24. August, als 5 Bill. Dollar verdampften, haben sich die Märkte in unterschiedlichem Ausmaß wieder berappelt. Sind die Turbulenzen damit Vergangenheit, ein reinigendes Gewitter, das abgezogen ist?Die Ereignisse in China hatten einen sogenannten Spill-over-Effekt auf die weltweiten Aktienmärkte. Die Ausschläge waren höher, weil die Aktienhandelsvolumina in der Ferienzeit geringer und somit die Auswirkungen überzeichnet waren. Die Grundtendenz für Aktien ist in Europa weiter positiv, da die Zinsen weiterhin niedrig sind und man nach Meinung unserer Strategen vor allem im Aktienmarkt Renditen erzielen kann.- Was raten Sie den Kandidaten momentan – Augen zu und durch oder warten auf bessere Zeiten?Man muss die aktuellen Unsicherheiten erst einmal im Auge behalten. Wenn sich die grundsätzliche Beruhigung fortsetzt und eine Normalisierung ohne weitere Makroschocks einkehrt, sollte sich das Fenster wieder öffnen.- Daraus spricht der zum Geschäftsmodell zählende Optimismus des Investmentbankers. Und die Fed?Je mehr Probleme es mit China gibt, umso weniger wahrscheinlich ist eine baldige Zinserhöhung. Das hilft dem Aktienmarkt. Aber für relativ kleine Werte, etwa mit einer IPO-Größe von 100 Mill. bis 150 Mill. Euro, dürfte es schwerer werden. Die fallen in Zeiten höherer Schwankungen schneller durch den Rost der Fondsmanager. Und es fehlt dann die Liquidität.- Was geht? Ab 200 Mill. Euro?Das hängt von der Branche ab. Eine gute Größe beginnt in der Regel bei 250 Millionen Euro, vielleicht 400 bis 500 Mill. Dollar Emissionsvolumen. Es gibt natürlich immer wieder auch kleinere Nischenanbieter, wie etwa den Autozulieferer Stabilus. Solche Spezialisten, oft Weltmarktführer in ihrem Bereich, mit geringem Risiko, sind auch bei kleineren Volumina gefragt. Und bei größeren Unternehmen kann es aufgrund der gestiegenen Unsicherheiten dazu kommen, dass im ersten Anlauf das beabsichtigte Volumen zunächst gesenkt und dann später erneut Aktien platziert werden.- Wie sieht es europaweit aus?In den Tagen, als Griechenland die Märkte am stärksten in Atem gehalten hat, ist mehreren Unternehmen erfolgreich der Gang aufs Parkett gelungen. Abgesehen von der Pfandbriefbank in Frankfurt gab es das IT-Haus Sophos in London mit 500 Mill. Euro, das Kabelunternehmen Euskaltel in Madrid mit 750 Mill. Euro und den Klinikbetreiber Capio in Schweden, einen Krankenhausanbieter mit 250 Mill. Euro – Letzterer mit einer starken lokalen Investorennachfrage -, die wir alle als Konsortialführer begleiten durften.- Und nach vorne geschaut?Da werden die Unternehmen mit größerer Liquidität oder Spezialisten funktionieren, andere müssen warten – oder werden verkauft.- Sie sprachen die lokale Nachfrage an, wie ist es in Deutschland?Die Deutschen legen ihr Geld traditionell eher aufs Sparbuch oder kaufen Autos und Immobilien, investieren aber weniger in Aktien und gehen auch weniger in Aktienfonds – es ist also weniger Geld für Investments in IPOs da. Bei größeren Börsengängen sieht man prozentual einen deutlich geringeren Anteil deutscher Fonds als bei kleineren. Das liegt daran, dass es in Deutschland weniger Aktienfonds als in England gibt und dass teilweise auch die Tickets der deutschen mit ihren relativ geringen Assets under Management bei großen Emissionsvolumina vergleichsweise kleiner sind.- Wie schauen US-Investoren momentan auf den deutschen Markt?Für Platzierungen sind in der Regel drei Investorengruppen relevant: Amerikaner, Engländer und die lokalen Investoren. US-Fonds waren noch im Frühling, bevor es mit der Griechenland-Krise dieses Jahr richtig losging, sehr skeptisch. Und dann, mitten in den größten Unsicherheiten rund um Griechenland und vor allem dann, als sich eine Lösung abzuzeichnen schien, stieg die Nachfrage aus Amerika wieder auf 25 bis 35 % der Volumina. Diese Investoren agieren oft antizyklisch. Vor allem aber: Die Beträge, die dort in Aktien investiert werden, machen ein Vielfaches dessen aus, was deutsche Fonds investieren – wenn US-Investoren 1 % nach Europa schieben, dann entspricht dies einem Volumen, also ob Deutsche 30 % eines IPO kaufen würden – um nur mal grob die Dimensionen darzustellen.- Gilt das auch für kleinere IPOs?Amerikaner gehen sektorspezifisch vor – zum Beispiel kennen sie Kabelunternehmen oder Krankenhausbetreiber gut und investieren dann auch in solche Deals in Europa, wenn sie auf den Markt kommen.- Schaut man sich die Performance von Börsenneulingen an, erkennt man in erster Linie Kurse unter Emissionspreis. Grund genug für Investoren, die Finger von IPOs zu lassen. Trügt der Eindruck?Die Performance der europäischen Aktienneulinge der vergangenen zwölf Monate war positiv, und Investoren konnten relativ zu den Sektoren Geld verdienen. Einige der Erfolgsgeschichten wie Tele Columbus oder Zalando kamen auch aus Deutschland.- Wenn wir den Blick auf Bewertungen und Vorbereitungen der Unternehmen auf die Börse richten, könnte es – abgesehen von den jüngsten Verwerfungen – einen heißen Herbst geben mit Covestro, Hapag-Lloyd, Scout24 und anderen, oder?Der beste Parameter, um das Marktumfeld zu beurteilen, ist der Volatilitätsindex. Der ist durch die China-Ereignisse zuletzt kräftig gestiegen – da werden die Investoren vorsichtiger, und das drückt schon auf die Bewertungen. Da muss man realistisch sein. Auch schon vorher war die Volatilität in Europa deutlich höher als in Amerika.- Die Korrektur?Wird Einfluss haben, keine Frage, aber die Unterstützung für den Aktienmarkt ist da, und einige große Emissionen sollten laufen.- Und der Zahl nach?In Europa gab es 2014 rund 120 größere Börsengänge, von denen wir 38 begleitet haben. 2015 durften wir bisher 16 begleiten, die meisten von allen. Dieses Jahr dürften es im Gesamtjahr etwas weniger IPOs werden als 2014, zum einen, weil es kaum Rückstau gibt, zum anderen auch wegen der im Vergleich zum Vorjahr höheren Volatilität. In Deutschland haben wir 2014 sechs Unternehmen bei ihrer Erstnotiz begleitet. Im ersten Halbjahr waren es mit Tele Columbus und der Pfandbriefbank zwei, jetzt ist Covestro hinzugekommen, und im zweiten Halbjahr sollten wir noch den einen oder anderen weiteren begleiten dürfen. Wie viele genau, ist schwer zu schätzen, weil in vielen Fällen zweigleisig gefahren wird.- Sehen wir also mehr Dual Tracks?Bei zwei von drei Transaktionen wird offiziell oder inoffiziell ein Dual Track gefahren, schon um den Markt zu testen. Es kann vorkommen, dass man bereits auf dem Weg an die Börse ist und dann kommt in letzter Minute ein Käufer und legt deutlich mehr Geld auf den Tisch – und es gibt eben kein IPO.- Nach vorn geschaut, was sind die Quellen für Börsen-Newcomer?In England wird es noch sehr viel von Private Equity geben, zumal sich der Aktienmarkt dort am spätesten geöffnet hat und es dort die meisten Buy-outs gab. In Deutschland, Spanien und Frankreich waren die meisten Börsengänge seit 2010 von Sponsoren getrieben. Jetzt kommt die nächste Welle von Carve-outs, die entweder an die Börse oder zunächst an Finanzinvestoren gehen. Und die kommen irgendwann doch an die Börse, wenn sie nicht in einem anderen Konzern aufgehen.- Wie sieht es mit Internet- und anderen Venture-Engagements aus, nachdem Windeln.de in die Hose gegangen ist?Es gibt eine größere Zahl von Kandidaten im Tech-Bereich, aber sicherlich sind nicht alle für ein IPO geeignet. Gerade in der Biotechnologie tut sich einiges.- Und Privatisierungen?Wir hatten ja gerade die Deutsche Pfandbriefbank, die trotz Griechenland sehr gut gelaufen ist. Privatisierungen sind vor allem außerhalb Deutschlands ein großes Thema. Zum Beispiel in Holland, in Belgien, in England oder auch in Italien, wo ein Börsengang der Post angekündigt wurde. Auch in Frankreich gibt es noch zahlreiche Staatsbeteiligungen oder in Polen, auch wenn dort bereits viel privatisiert wurde. Spanien ist mit Börsengängen aus öffentlicher Hand nahezu fertig.- Verändert sich das Prozedere von Börsengängen, etwa mit Vorabplatzierungen wie von Evonik oder Hella?Das sind Sonderfälle. Aber selbstverständlich schicken wir die Intention to Float erst dann heraus, wenn wir nach Investorengesprächen relativ sicher wissen, dass die Transaktion auch funktioniert. Wir sprechen vorab mit bis zu 30 Investoren, erläutern ihnen die Story und stellen das Management vor, damit sie ihre eigene Meinung bilden können. Wenn aber weniger Investoren vorab informiert werden, dann haben Investoren weniger Zeit, sich von der Qualität der Story und dves Managements zu überzeugen.- Für die Performance danach ist das aber sicher nicht schlecht. Eine Frage zur Regulatorik: Benötigt der Markt ein eigenes Segment für jüngere Unternehmen?Wir unterstützen natürlich die Börse auch bei der Einführung neuer Segmente, aber letzten Endes kommt es auf die Qualität der Firma und auf ein gutes Management-Team sowie den Track Record an.- Ändert sich etwas am immer mal wieder kritisierten 2+2-Prozess, also nach IPO-Ankündigung zwei Wochen die sogenannte Investor Education und dann die Werbetour mit der Preisspanne?Das ist manchmal ein 3+1 oder ein 1,5+2,5 oder 3+1+1. Die BaFin ist auf Flexibilität eingestellt, und da ist eine Woche Bookbuilding dann manchmal ausreichend, ohne zu viel Marktrisiko zu nehmen. Regulatorisch hat Deutschland in den vergangenen fünf Jahren sicher große Fortschritte gemacht und ist manch anderen Finanzmärkten voraus. Aber ein Manko ist weiterhin, dass hier nicht außerhalb der Spanne gepreist werden kann. Das geht nur in einem komplizierten Verfahren und mit Nachtrag zum Prospekt, der viel Zeit kostet und das Marktrisiko erhöht.- Wie steht es um die Gebühren?Wir machen einen Börsengang, weil wir das begleitete Unternehmen als langfristigen Kunden der Bank gewinnen und in mehreren Geschäftsbereichen für ihn arbeiten möchten, sei es in der Finanzierung oder Fusionsberatung oder auch beispielsweise mit alltäglichen Transaktionsdienstleistungen. Der Börsengang allein rechnet sich für eine Bank normalerweise kaum, wenn man alle Kosten zusammenrechnet.- Wie hoch ist der Anteil Deutschlands am europäischen IPO-Markt im vergangenen Jahr gewesen, und wie sieht es 2015 aus?Dieses Jahr entfallen bisher 23 % des Equity Capital Market über 177 Mrd. Euro – das sind 5 Mrd. Euro mehr als in der Vergleichszeit 2014 – auf England, 12 % auf Spanien und 12 % auf Deutschland.- Ein schwaches Bild für die größte Volkswirtschaft Europas.Zahlreiche Unternehmen sind in Familienbesitz oder brauchen kein Eigenkapital, da sie ihre Finanzierungen stehen haben. Aber immer stärker ist der Trend, als ersten Schritt ohne Listing an den Anleihemarkt zu gehen und später doch ein IPO zu planen.- Und wie steht es nun um den heiße Herbst?Ich würde lieber von einem kontrollierten Herbst sprechen, mit sonnigen und regnerischen Tagen. Es gibt mehrere große Emittenten, die kommen könnten.—-Das Interview führten Walther Becker und Stefan Schaaf.