GELD ODER BRIEF

Julius Bär fehlen die Gegner

Von Daniel Zulauf, Zürich Börsen-Zeitung, 8.12.2017 Ein ausgewachsener Bär hat kaum natürliche Feinde - jedenfalls nicht solche einer anderen Gattung. In dieser komfortablen Lage ist auch Julius Bär. Die Vermögensverwaltungsbank will selber zwar...

Julius Bär fehlen die Gegner

Von Daniel Zulauf, ZürichEin ausgewachsener Bär hat kaum natürliche Feinde – jedenfalls nicht solche einer anderen Gattung. In dieser komfortablen Lage ist auch Julius Bär. Die Vermögensverwaltungsbank will selber zwar keine Großbank sein. Aber sie hat in vielerlei Hinsicht Dimensionen erreicht, die sie im Markt für Firmenübernahmen unangreifbar machen. Hauptverantwortlich dafür ist Boris Collardi. Während acht Jahren hat er die Bank in seiner Funktion als CEO vorangetrieben und die Herzen der Aktionäre und Investoren erobert. Sein Fokus auf das Wachstum und die Entwicklung in Asien sei das tragende Element für die überdurchschnittliche Kursentwicklung der Julius-Bär-Aktie seit 2009 gewesen, schrieben die Analysten von Morgan Stanley an dem Tag, an dem Collardi seinen Fiat 500 zum letzten Mal in die Tiefgarage an der noblen Zürcher Bahnhofstrasse steuerte. Der Manager, der trotz seiner erst 43 Jahre zu den dienstältesten CEOs im Schweizer Bankgewerbe gehört, weilt seit zehn Tagen in den Ferien. In Zürich hofft man, dass er vergessen sein wird, wenn er sich im Sommer des kommenden Jahres als neuer Partner bei der Genfer Privatbank Pictet wieder die Krawatte bindet, um sich im täglichen Wettbewerb mit seinen früheren Kollegen zu messen.Doch Zweifel hegen nicht nur die Analysten von Morgan Stanley, dass bei den Bären alles ganz schnell wieder so sein wird wie vorher. Manches deutet darauf hin, dass die Bank am Ende der Ära Collardi einen Höhepunkt erreicht hat. Das offenkundigste Indiz dafür ist zunächst die hohe Börsenbewertung. Mit fast 13 Mrd. sfr beträgt der aktuelle Marktwert des Unternehmens fast das Zweieinhalbfache des Eigenkapitals (5,5 Mrd. sfr). An dieser gelinde gesagt sportlichen Bewertung hat auch der jüngste Kursrückgang im Anschluss an den überraschenden Wechsel in der Chefetage nicht viel geändert. Im Vergleich dazu sehen die beiden Schweizer Großbanken geradezu billig aus. Bei der Credit Suisse halten sich Marktwert und Buchwert in etwa die Waage, bei der UBS liegt der Marktwert etwa 20 % höher als das Eigenkapital. Allein schon aufgrund dieser Betrachtung sind die jüngst aufgekeimten Spekulationen, Julius Bär könnte ein Übernahmeziel für Credit Suisse oder UBS werden, wenig plausibel.Trotz des abrupten Führungswechsels, den manche Beobachter auch als Vakuum in der operationellen Leitung der Bank bezeichnen, können der Verwaltungsrat und die über 6 000 Mitarbeiter von Julius Bär der näheren Zukunft also gelassen entgegensehen. Das war nicht immer so. Damals, im Winter 2005, als die im Laufe der zurückliegenden 115 Jahre Firmengeschichte sehr zahlreich gewordenen Familienaktionäre die Kontrolle über ihre Bank abgaben, wäre Julius Bär noch für weniger als den halben Preis zu haben gewesen. Das wichtige Privatkundengeschäft schrumpfte, und es fehlten die finanziellen Mittel für eine Expansion. “Das Unternehmen Julius Bär gäbe es heute nicht mehr, wäre die Familie Großaktionär geblieben”, meinte Raymond Bär fünf Jahre nach der großen Transformation. Der aktuelle Ehrenpräsident und letzte Familienvertreter hatte den Prozess in der Funktion als Verwaltungsratspräsident noch bis 2012 aktiv begleitet. Und Bär stand auch zuvorderst, als es 2009 darum ging, den blutjungen Collardi (34) als Nachfolger für dessen unerwartet verstorbenen Ziehvater Alex Widmer einzusetzen.Auf dem Weg vom gemütlichen Familienunternehmen zum Mitglied des SMI, des exklusiven Clubs der 20 wertvollsten Firmen an der Schweizer Börse, bewiesen die Bären mehrmals Mut. Sie taten es im Wissen, dass es eine andere Wahl nicht gab. Der vielleicht entscheidenden Coup gelang bereits 2005 kurz nach der Einführung der Einheitsaktie, die den Abschied von der Familien-AG bedeutete, übernahmen die Bären doch für 6 Mrd. sfr drei Privatbanken der UBS, welche zusammen größer waren als Bär selber. UBS finanziert den Deal kräftig mit und erhält dafür eine Beteiligung von 21 % an Julius Bär, die sie aber bald abstößt. In der Folge konzentrieren sich die Bären ganz auf die Vermögensverwaltung und spalten das Fondsgeschäft unter der Dachmarke GAM via Börse ab.Collardi treibt das Wachstum weiter. Immer wieder spielt er seine inzwischen reichhaltigen Erfahrungen mit komplizierten Übernahmen aus. Er wagt sich an Objekte, an die sich andere nie herangetraut hätten. Im Zug der Finanzkrise profitiert Julius Bär vom Rückzug vieler internationaler Finanzkonzerne aus dem Vermögensverwaltungsgeschäft. In Asien, einem Schlüsselmarkt, avanciert die Bank zu einem der fünf größten Anbieter vor Ort. Rund 20 % der weltweit verwalteten Vermögen von 393 Mrd. sfr stammen aus dieser aufstrebenden Weltregion. Ein Wert, den man ursprünglich erst 2020 zu erreichen hoffte. Als Ergänzung zu den Firmenübernahmen rekrutierte Julius Bär in den vergangenen Jahren auch zahlreiche Kundenberater von der Konkurrenz. Doch dieses Wachstum wird sich kaum fortsetzen lassen. Das Abwerben von Kundenberatern ist schwieriger geworden. Neue Wege gesuchtAuch dreht sich das Übernahmekarussell mit der Normalisierung der Branchenkonjunktur langsamer. Collardis einstweiliger Nachfolger Bernhard Hodler wird sich neue Wege einfallen lassen müssen, um die Aktionäre bei Laune zu halten. Aber den Druck des Marktes scheinen die Bären im Unterschied zu früheren Jahren kaum mehr zu spüren. Hodlers Wahl ist jedenfalls nicht das, was die verwöhnten Investoren gewünscht haben dürften. Der Manager ist seit 20 Jahren für die Bank tätig und war als langjähriges Mitglied der Geschäftsleitung nie erste Wahl. Das deutet stark darauf hin, dass sich der Verwaltungsrat von Collardis Abgang überrumpeln ließ. Dieser Mangel an Weitsicht ist gewiss keine Auszeichnung für deren Präsidenten Daniel Sauter. Vor allem aber ist diese fehlende Weitsicht ein Zeichen dafür, dass man sich bei Julius Bär schon gut in der Komfortzone eingenistet hat. Lange Pausen dieser Art lässt der Markt erfahrungsgemäß nicht zu.