Karsten Junius/Wolf von Rotberg

„Keine Bubble wie zur Jahr­tausend­wende“

An den Aktienmärkten gibt es derzeit keine Bubble, sind Karsten Junius, Chefvolkswirt der Schweizer Privatbank J. Safra Sarasin, und Aktienstratege Wolf von Rotberg überzeugt. Technologieaktien seien zwar teuer, verfügten aber über ein starkes Gewinnpotenzial.

„Keine Bubble wie zur Jahr­tausend­wende“

Dieter Kuckelkorn.

Herr von Rotberg, haben wir eigentlich derzeit eine Bubble am Aktienmarkt?

Es stellt sich die Frage, wie man eine Bubble definiert. Ich denke, wir haben derzeit keine Bubble, wie wir sie um die Jahrtausendwende hatten, als die Bewertungen nicht mehr zu begründen waren und in der keine Substanz vorhanden war. Damals gab es keine realen Gewinnerwartungen, sondern nur weitgehend imaginäre Hoffnungen auf zukünftige Gewinne. Aktuell haben auch die Unternehmen aus dem Technologiebereich hingegen solide Gewinne erwirtschaftet und verfügen auch über ein starkes Gewinnpotenzial für die Zukunft. Sie werden auch weiterhin starke Wachstumsraten bei den Ergebnissen vorweisen können. Dennoch sind die Bewertungen durchaus hoch, wobei der Haupttreiber dafür unserer Meinung nach das Zinsumfeld ist. Das gilt insbesondere für das vergangene Jahr 2020, in dem sich die Bewertungen im Technologiesektor im Gleichschritt mit den fallenden Realzinsen noch einmal deutlich erhöht haben. In den USA sind die Realzinsen um ungefähr 100 Basispunkte zurückgegangen, das war ganz klar eine Stütze für den Aktienmarkt. Der Markt betrachtet die großen amerikanischen Technologiewerte heute aber deutlich defensiver als noch vor einem Jahr.

Warum ist das so?

Von Rotberg: Das Jahr 2020 und seine Double-Dip-Rezession hat vielen dieser Unternehmen nicht geschadet. Sie haben es geschafft, sich vom Zyklus komplett abzukoppeln, und haben weiterhin sehr solide Erträge erwirtschaftet. Der Markt geht nun davon aus, dass diese Unternehmen ein besseres strukturelles Gewinnwachstum haben, als in der Vergangenheit angenommen wurde. Technologie galt traditionell als ein zyklischer Sektor, das hat sich nun verschoben.

Sehen Sie in anderen Bereichen stärkere Anzeichen für eine Bubble­?

Von Rotberg: Bis vor einigen Wochen hätte man vielleicht von einer Bubble im Anleihenbereich sprechen können. Die Zinsniveaus waren deutlich niedriger, als sie aufgrund der wirtschaftlichen Daten hätten sein sollen. Wir haben zwar in der zweiten Jahreshälfte 2020 eine deutliche Erholung der Konjunkturdaten gesehen. Die Entwicklung der Inflationserwartungen ist diesen Daten auch gefolgt, die US-Nominalzinsen hingen jedoch weiter zurück. Insbesondere in den USA war daher der Realzins auf einem niedrigeren Niveau, als er es in einem normalen Konjunkturzyklus wäre.

Herr Junius, die Zinsen gehen wieder nach oben, alles redet vom Reflation Trade. Wie wird sich dies weiterentwickeln?

Die Zentralbanken wollen einen langsamen Zinsanstieg erreichen und damit verhindern, dass es zu abrupten Reaktionen an den Märkten kommt, wie es sie beispielsweise bei dem sogenannten Taper Tantrum 2013 gegeben hat. Das ist nicht ganz einfach zu erreichen, wenn die Inflationsraten plötzlich so stark ansteigen und das verarbeitende Gewerbe global so stark expandiert. Und es ist auch deshalb nicht einfach, weil wir uns in einem Umfeld befinden, in dem die Fiskalpolitik wegen der Krise quasi aus allen Rohren schießt. Wir sehen das vor allem in den USA, wo das Fiskalpaket der Biden-Administration unsere Erwartungen klar übertroffen hat und das Risiko einer Überstimulierung besteht. Die Finanzmärkte realisieren das und preisen höhere Realzinsen ein. Sie nehmen jetzt quasi das vorweg, was die Notenbanken möglicherweise in drei Jahren anstreben. Ein solcher Zinsanstieg kommt derzeit aber vor allem der EZB zu früh.

Wie hoch könnten die Renditen zehnjähriger Bundesanleihen und Treasuries am Jahresende sein?

Junius: Wir erwarten, dass die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen am Jahresende bei 1,7% liegen wird und diejenige entsprechender Bundesanleihen bei –0,20%. Wir werden von Jerome Powell und von Christine Lagarde weiterhin immer wieder einen dovishen Ton hören, der auch notwendig ist, um einen Zinsanstieg zu verhindern. Bei der EZB gehören dazu sogar noch schnellere Wertpapierkäufe. Auffallend ist in jedem Fall, dass beide Notenbanken bei ihren jüngsten Zinsentscheiden ihre mittelfristigen Prognosen kaum verändert haben. Sie wollen offensichtlich auch erst mal sehen, ob die optimistischeren Wachstums- und Inflationserwartungen sich auch tatsächlich materialisieren.

Von Rotberg: Auch sollte man differenzieren zwischen den Inflationserwartungen und dem Realzins. Die Zentralbanken haben sicherlich ein Interesse daran, dass die Inflationserwartungen weiter in Richtung ihrer Inflationsziele ansteigen. Das wirkt auch an den Aktienmärkten reflationär und ist tendenziell positiv für risikobehaftete Assets – solange wir keine Inflation oder Inflationserwartungen von 3% oder darüber bekommen. Demgegenüber hat ein Anstieg des Realzinses einen negativen Effekt. Die Notenbanken konzentrieren sich wahrscheinlich mit Blick auf ihren Einfluss auf die Märkte vor allem auf den Realzins, der eine hohe Korrelation mit den Erwartungen zur Geldpolitik aufweist. Würde der gesamte Anstieg der nominalen Renditen aus dem Realzins kommen, hätten wir für den Aktienmarkt Downside-Potenzial.

Sehen Sie die Gefahr, dass den großen Notenbanken die Kontrolle entgleiten könnte und dass es zu einem Crash am Bondmarkt und so starken Korrekturen am Aktienmarkt kommt?

Von Rotberg: Die Wahrscheinlichkeit für eine Korrektur von 20% oder mehr am Aktienmarkt ist überschaubar. Die Politik beispielsweise der Fed ist davon geprägt, was sie in den vergangenen Jahren erlebt hat. Als Präzedenzfall würde hier das bereits erwähnte Taper Tantrum des Jahres 2013 gelten. Damals gab es Kommentare des damaligen Notenbankchefs Ben Bernanke, dass sich die Fed ein Zurückfahren der Anleihekäufe vorstellen könnte, mit der Folge eines Anstiegs der Realzinsen in den USA um 100 Basispunkte. Dies führte zu einer relativ starken Korrektur am Aktienmarkt, wovon die Emerging Markets und die Kreditmärkte besonders betroffen waren. Die Fed hat eindeutig aus dieser Erfahrung gelernt. Sie bleibt vage und lässt sich nicht mehr so stark auf die nächsten Schritte festnageln. Insofern dürfte es nicht mehr zu einem so massiven Repricing kommen.

Junius: Es gibt aber natürlich auch Gefahren. Ein Risiko könnte in den Inflationsdaten für März und April liegen, die durch Basiseffekte optisch sehr groß aussehen werden. So könnte es in den USA im Vorjahresvergleich eine Inflation von bis zu 3,4% geben, in Euroland von rund 2%. Da wird es interessant sein, wie sich die Zinserwartungen daraufhin verändern.

Wenn wir vom Hauptszenario eines moderaten Anstiegs der Zinsen ausgehen und davon, dass die Lage unter Kontrolle bleibt, wie sollten sich Anleger am Bondmarkt unter dieser Voraussetzung positionieren?

Junius: In einer Phase des Zinsanstiegs ist nur wenig wirklich attraktiv. Wir empfehlen weiterhin, inflationsgeschützt am Bondmarkt zu investieren. Wir würden auch die Durationen eher niedrig halten bei Staatsanleihen. Derzeit ist am Bondmarkt aber nicht viel zu holen, deswegen sind wir dort auch eher unterinvestiert. Aufgrund der starken konjunkturellen Dynamik wären Unternehmensanleihen und dort vor allem der High-Yield-Bereich zu bevorzugen. Im Staatsanleihenbereich wäre die europäische Peripherie interessanter. So bietet Italien unter dem neuen Premierminister Mario Draghi eine attraktive Gelegenheit.

Wo sehen Sie im aktuellen Umfeld am Aktienmarkt Chancen?

Von Rotberg: Im gegenwärtigen Umfeld steigender Inflationserwartungen und einer zunehmenden Verfügbarkeit von Impfstoffen gehen wir davon aus, dass Finanzwerte besonders profitieren können. Nach Jahren der Underperformance von Banken aufgrund der fallenden Zinsen sehen wir nun so etwas wie eine Rückkehr dieser Aktien.

Welche Bereiche sind über die kurzfristige Erholung hinaus attraktiv?

Von Rotberg: Wenn es dann also in einer zweiten Phase wirklich zu einem Anstieg der Inflation kommt, sind es andere Sektoren, die attraktiv sind – nämlich solche, die steigende Preise an die Kunden weitergeben können. Da denken wir beispielsweise an die Bereiche Pharma und Healthcare. Dann werden auch die Technologieunternehmen wieder attraktiver, weil es dort oft oligopolistische Märkte gibt.

Aktuell gehören die Technologieunternehmen aber nicht mehr zu Ihren Favoriten.

Von Rotberg: Nein, Technologiewerte gehören derzeit nicht zu unseren bevorzugten Sektoren. Allerdings sind diese Unternehmen für eine langfristige Anlage immer noch diejenigen Werte mit dem höchsten Gewinnwachstumspotenzial. Aus einer rein taktischen Perspektive sind diese Unternehmen aber derzeit einfach zu teuer.

Welche Regionen halten Sie für besonders interessant?

Von Rotberg: Wir haben seit Jahresanfang eine Übergewichtung in Aktien aus der Eurozone, weil sie zum einen von der Erholung des globalen Zyklus profitieren und andererseits eine relativ hohe Gewichtung an Finanzwerten haben. Dabei darf man jedoch nicht das Risiko aus dem Auge verlieren, dass das europäische Wachstum empfindlich von einer dritten Infektionswelle getroffen werden könnte. Außerdem haben wir seit Ende 2020 britische Aktien übergewichtet. Zwar ist das Pfund deutlich gestiegen, was grundsätzlich angesichts des hohen Anteils der Auslandserträge der dortigen Unternehmen ein Problem ist. Momentan überwiegen aber die genannten positiven Faktoren. In den USA hingegen ist die Performance im vergangenen Jahr vor allem getragen worden von einer Aufwertung der Technologieaktien. Damit ist das weitere Aufwärtspotenzial eng begrenzt angesichts der steigenden Zinsen.

Junius: Bei den Emerging Markets müssen wir dagegen aufpassen. Die Fiskalpolitik und die Wachstumsdynamik in China sind dieses Jahr nicht mehr so stark wie letztes. Zudem kommt hinzu, dass mit den wieder gestiegenen US-Zinsen der Abwärtstrend des Dollar zunächst unterbrochen ist. Höhere US-Zinsen und ein stärkerer Dollar begrenzen tendenziell die Kapitalzuflüsse in die Emerging Markets, so dass wir dort unser Übergewicht zunächst zurückgenommen haben.

Das Interview führte