GastkommentarAktienmarkt

Mittelmeer-Börsen haben die Nase vorn

Europäische Aktien sind günstiger bewertet als US-Titel. Innerhalb Europas erscheinen die Konjunktur- und Börsenaussichten in den Mittelmeerländern im internationalen Vergleich als relativ gut.

Mittelmeer-Börsen haben die Nase vorn

Mittelmeer-Börsen haben die Nase vorn

Von Jens Ehrhardt

Die Aussichten für die europäische Wirtschaft in diesem Jahr werden wohl im Wesentlichen von einem Faktor mitbestimmt: Das für Europa prognostizierte geringe Wachstum wird sich verbessern, sobald die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen senkt. Tatsächlich ist die Inflation in Europa stärker zurückgegangen als in den USA. Dort liegt die Kernrate immer noch bei 3,8% (vom vergangenen Monat gegenüber dem Vormonat +0,4%, was über den Erwartungen lag). Damit sind die Voraussetzungen für eine Zinssenkung in Europa günstiger als in den USA. Eigentlich müssten die Europäer – zum ersten Mal – die Zinsen vor den Amerikanern senken. So viel Eigenständigkeit ist allerdings eher unwahrscheinlich.

Unwahrscheinlich ist auch, dass europäische Aktien im Vergleich zu amerikanischen schnell aufholen können. Denn generell sind die US-Börsen die teuersten der Welt. Das Kurs Gewinnverhältnis liegt bei ca. 21 auf die zu erwartenden Gewinne, wobei die erwartenden Steigerungen von ca. 10% in diesem Jahr keineswegs sicher erscheinen. Geht man davon aus, dass die Wirtschaft real nur um 1 bis 2% steigt, sind Gewinnsteigerungen von 10% volkswirtschaftlich gesehen kaum möglich.

Sollte es nicht zu den erwarteten Gewinnsteigerungen kommen, liegt das Kurs Gewinnverhältnis von US-Aktien also eher bei 23.  Damit wäre die historisch höchste Überbewertung amerikanischer Aktien, bezogen auf das Kurs Gewinnverhältnis gegenüber europäischen Aktien, gegeben. Aber auch beim Kurs Buchwertverhältnis sind die amerikanischen Aktien mit über. 3,5 wesentlich teurer als europäische Aktien mit ca. 1,5.

Europäische Aktien sind einerseits preiswerter als US-Titel, andererseits sind die europäischen Zinsen deutlich niedriger als die US-Zinsen. Aus dieser Sicht ist der Equity Risk Premium Vergleich für Europa wesentlich günstiger als für die USA. Zu Zeiten sehr niedriger Zinssätze (in den USA vor 2 Jahren bei 0,5%) hätten sich die heute sehr hohen US-Aktienbewertungen rechtfertigen lassen. Heute jedoch, nach einer Verzehnfachung der kurzfristigen Zinsen, erscheinen die hohen Kurs Gewinnverhältnisse der Vergangenheit kaum noch gerechtfertigt.

Inzwischen leiten sich aus der erwartenden Inflationsrate von 2% wieder Realzinsen von über 2% in den USA und über 1% in Europa ab. In der Vergangenheit (z.B. 2000 und 2007) hat sich die US-Konjunktur verschlechtert, wenn der Realzins über 2% lag. Hohe Realzinsen bremsen die Konjunktur, niedrige Realzinsen oder Negativzinsen fördern die Konjunktur. Niedrige Zinsen werden gefördert durch eine Ausdehnung der Notenbankbilanzsumme. Im Zuge der US-Krisen (Finanz- und Covid-Krise) haben die Amerikaner die Bilanzsumme der Fed von 800 Mrd. Dollar auf 8,9 Bill. Dollar mehr als verzehnfacht. Man kann sich vorstellen, wenn in Zukunft die US-Notenbankbilanzsumme zurückgeführt wird (bisher hat man gut 1 Bill. Dollar an Anleiheverkäufen und damit Bilanzverminderung vorgenommen) und wenn man in Zukunft – wie angekündigt in diesem Jahr – die Neuverschuldung zurückfährt, fehlt die entscheidende Stimulanz für die US-Konjunktur und die US-Börse.

Die Europäer haben ihre Notenbankbilanzsumme prozentual stärker verringert als die Amerikaner (auch durch die Rückzahlung von Bankkrediten). Dies könnte der Grund dafür sein, warum die europäische Inflationsrate deutlich niedriger ist als die amerikanische Teuerungsrate (besonders im Bereich der Kerninflation). Am meisten leidet Deutschland unter dieser restriktiven EZB-Politik.

Mit Maßnahmen zur Gebäudesanierung verstärkt man in Deutschland den ohnehin bestehenden Trend zu stark fallenden Immobilienpreisen. Deutschland verliert Billionen Eurobeträge durch die Klimawende, den Krieg mit Russland und Aufwendungen für die EU. Durch den New-Generation-Fund der EU erhalten Länder wie Italien, Spanien und Frankreich hohe Milliarden-Subventionen, die nicht zurückgezahlt werden müssen und weitere zinsgünstige Kredite in ebenfalls hoher Milliardenhöhe.

So entwickelt sich die Konjunktur in den Mittelmeerländern – ähnlich wie in den USA – deutlich besser als in den nordeuropäischen Ländern, die keine oder nur geringe Subventionen erhalten. Vor diesem Hintergrund dürften die Aussichten für Konjunktur und Börse in Italien, Spanien und Frankreich weiterhin besser bleiben als in Deutschland und den nordeuropäischen Ländern. Italien ist seit Anfang 2022 bis heute die beste Börse im internationalen Vergleich. Selbst unter Einberechnung der Währungsveränderungen waren die amerikanischen oder japanischen Börsen nicht besser als Italien. Die Mittelmeerländer dürften also weiterhin konjunkturell begünstigt sein. Besonders dann, wenn die EZB die Zinsen senkt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Konjunktur- und Börsenaussichten in den Mittelmeerländern im internationalen Vergleich relativ gut sein dürften. Die Zinsen sind schon heute niedriger als in den USA und dürften insbesondere bei einer erwartenden Konjunkturverschlechterung in Deutschland stärker zurückgenommen werden. Auch fiskalpolitisch wird die EU durch voraussichtlich steigende Defizite (die früher bei der Gründung der EU kaum erlaubt waren) die Konjunktur im internationalen Vergleich stark stimulieren. Angesichts der hohen Lohnsteigerungen in Europa könnte sich insbesondere die Konsumgüterkonjunktur stärker beleben. Bei gleichzeitig rückläufiger Inflation steigen dann auch die realen Lohnzuwächse in Europa. Die Aussichten für die Konsumgüterkonjunktur erscheinen somit, besonders in den Mittelmeerländern, positiv.

Dr. Jens Ehrhardt ist Gründer, Hauptaktionär und Vorstandsvorsitzender von DJE.