Neuer Höhenflug der Gamestop-Aktie
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Frankfurt – Die Turbulenzen an der Wall Street haben sich am Freitag fortgesetzt. Nachdem es bei den von der Auseinandersetzung zwischen Hedgefonds und aktivistischen Privatanlegern besonders betroffenen Aktien am Donnerstag noch stark ausgeprägte Kursverluste gab, setzte am Freitag eine deutliche Erholung ein, während auch weitere Aktien nach oben getrieben wurden. So verzeichneten Gamestop im frühen Handel an der Wall Street einen Kursanstieg von rund 74%. AMC Entertainment Holdings kamen auf ein Plus von 61%.
Am Donnerstag hatte der Online-Broker Robinhood Käufe von Aktien, bei denen Kleinaktionäre Leerverkäufern hohe Verluste zugefügt hatten, verboten. Am Freitag teilte Robinhood dann mit, man lasse Käufe in begrenztem Ausmaß wieder zu, nachdem es weitreichende Kritik an der Maßnahme gegeben hatte. Dabei hat sich mit dem texanischen republikanischen Senator Ted Cruz erstmals auch ein Politiker aus der ersten Reihe negativ zu dem Verbot geäußert. Außerdem hieß es, dass die Vorsitzende des Finanzausschusses des amerikanischen Repräsentantenhauses, Maxine Waters, eine Anhörung plant.
Weitere Aktien erfasst
Kräftige Kurszuwächse gab es auch bei Aktien, die bislang mit den Ereignissen nicht in Verbindung gebracht wurden. So verteuerten sich die Titel des amerikanischen Biotechnologie-Unternehmens Novavax um 69%. Zuvor hatte das Unternehmen mitgeteilt, sein Covid-19-Impfstoff sei auch gegen die neue britische Variante des Coronavirus wirksam, nicht jedoch gegen die südafrikanische Variante. Der Kurs des Online-Brokers Siebert Financial hat sich fast vervierfacht (+270%).
Die Verluste, die prominente Hedgefonds und andere Leerverkäufer vor allem durch die erzielten Käufe vonseiten aktivistischer Privatinvestoren verbucht haben, sind wesentlich größer als bisher gedacht. Nach Berechnungen der Finanzanalysefirma Ortex belaufen sich die Einbußen auf 70,87 Mrd. Dollar. Diese Summe entspricht dem Bruttoinlandsprodukt Sloweniens. Davon entfallen allein 14 Mrd. Dollar auf den Donnerstag dieser Woche, wie die Finanzanalysefirma S3 Partners ermittelt hat. Damit sind die Verluste deutlich größer als bisher gedacht. Bisher war nur ein Minus von 3,75 Mrd. Dollar bekannt, das der am stärksten betroffene Hedgefonds Melvin Capital erlitt. Melvin Capital benötigte einen Bail-out in Höhe von 2,75 Mrd. Dollar. Ein weiterer stark betroffener Hedgefonds ist Citron.
Facebook sperrt Gruppe
Derweil hat Facebook die sogenannte „Robinhood Stock Traders Group“ gesperrt. Robinhood ist der Online-Broker, über den ein großer Teil der aktivistischen Käufe von ge-shorteten Aktien wie Gamestop, AMC und National Beverage gelaufen ist. Facebook begründete die Sperrung indes nicht mit den Aktionen, sondern mit einem Verstoß gegen die Regeln hinsichtlich „sexueller Ausbeutung“, was allgemein Verwunderung auslöste. Allen Tran, Gründer der Gruppe, sprach dagegen von einem Racheakt „großer Finanzinstitutionen“, welche die Gruppe zum Schweigen bringen wollten. Zuvor hatte bereits Discord den Kanal der Wallstreetbets gesperrt und dies mit angeblichen „hasserfüllten und diskriminierenden Inhalten“ begründet. Auch in Deutschland hat der Angriff der Kleinanleger massive Auswirkungen. Etliche vorwiegend junge Leute haben Gamestop und ähnliche Titel hierzulande gekauft, um es „den Hedgefonds zu zeigen“, wie es mehrfach hieß. Beim in Berlin beheimateten Neobroker Trade Republic konnten daraufhin mehrere Aktien wie Gamestop, AMC Entertainment, Blackberry oder Nokia ab Donnerstagabend gegen 17:30 Uhr nicht mehr gekauft werden. Verkäufe seien aber weiterhin möglich gewesen, so Trade Republic auf Anfrage. Der Schritt, die Käufe dieser Aktien vom System zu nehmen, sei notwendig gewesen, um das System zu stabilisieren, das von außen extrem unter Druck gestanden habe. Dies wurde bei Trade Republic als eine neue Entwicklung eingestuft.
Nachdem Gamestop und andere Aktien nicht mehr gekauft werden konnten, brach in den sozialen Medien sogleich ein „Shitstorm“ über Trade Republic herein. Die Maßnahme sei nicht ergriffen worden, um irgendwelche Hedgefonds zu unterstützen, sondern allein um das System zu stabilisieren, war von dem Broker zu hören. Man habe sich darum bemüht, dass alles so schnell wie möglich wieder funktioniere. Am Freitagmorgen konnten dann alle Aktien wieder gekauft werden. Beide Systeme, die man nutze, Lang & Schwarz und Tradegate, funktionierten voll und ganz.
Die BaFin erklärte auf Anfrage zu Gamestop, dass sie den Markt auch darauf hin beobachte: „Darüber, ob und welche Marktmissbrauchskonstellationen ganz grundsätzlich in Frage kommen könnten, verschaffen wir uns gerade ein Bild.“ Zu Trade Republic erklärte die BaFin: „Wir haben in den letzten Tagen eine Vielzahl von Beschwerden von Privatanlegern zu technischen Störungen bei Trade Republic erhalten. Diesen gehen wir bereits nach. Wir haben Trade Republic mit Nachdruck darauf hingewiesen, die aufsichtsrechtlichen Anforderungen einzuhalten und Kunden sämtliche Dienstleistungen dem Aufsichtsrecht entsprechend und störungsfrei zur Verfügung zu stellen.“ Andere Brokerhäuser, darunter auch Smartbroker, teilten mit, dass auf ihren Plattformen der uneingeschränkte Handel mit allen Wertpapieren möglich gewesen sei.
„Sehr hohes Risiko“
„Wir überblicken den Gamestop-Fall nicht im Detail“, sagte Christine Bortenlänger, Geschäftsführende Vorständin des Deutschen Aktieninstituts. „Privatanleger, die solche Aktionen als Spiel, Rache oder Wette begreifen, gehen ein sehr hohes Risiko ein, weil sie in hochvolatilen Marktphasen auf einzelne Aktien setzen. Sie gefährden ihr Vermögen, wenn sie Aktien zu einem Kurs erwerben, der weit abseits des fundamentalen Werts liegt.“
Dazu, dass Aktien nicht gekauft werden konnten, erklärte Bortenlänger: „Börsen sind zum Handeln da. Wenn kein ordnungsgemäßer Handel mehr gewährleistet ist, ist es Aufgabe der Heimatbörsen, den Handel auszusetzen. Wenn Broker Aufträge nicht mehr annehmen, ist das ihre unternehmerische Entscheidung. Ob es bei den betroffenen Brokern Gründe wie z. B. technische Probleme gab, Kauforders nicht mehr anzunehmen, wissen wir nicht.“
Rechtliche Probleme
Jürgen Kurz, Pressesprecher der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), meinte, wenn ein möglicher Handelsstopp bei diesen Brokern in den AGB stehe, sei das rechtlich wohl in Ordnung. Dann sollten Anleger diese Broker aber meiden. Stehe ein möglicher Handelsstopp nicht in den AGB, gebe es grundsätzlich rechtliche Probleme, dann dürften sie nämlich Käufe nicht aussetzen. Grundsätzlich sei die aktuelle Entwicklung nicht gut, Broker sollten ihr Dienstleistungsversprechen einhalten.
„Wir bewerten die Vorgänge kritisch und weisen klar darauf hin, dass es sich bei den betreffenden Unternehmen nicht mehr um eine seriöse Aktienanlage handelt, sondern um reine Zockerei“, sagte Daniel Bauer, Vorstandsvorsitzender der SdK (Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger). „Vor allem diejenigen, die sich in den sozialen Medien zum gemeinsamen Handel absprechen, könnten sich sogar strafbar machen.“ Bauer ist wie auch etliche andere Kapitalmarktexperten überzeugt, dass sich ein Einstieg bei solch gehypten Aktien nicht lohnt: „Am Ende wird auch die deutliche Mehrheit der Aktionäre Verluste erleiden.“ Der Kauf solcher Wertpapiere entspreche eher dem Gang ins Casino anstatt einer seriösen Wertpapieranlage. Wer als Broker in diesem Fall den Handel beschränke, müsse sich fragen lassen, wieso er dann andere hochriskante, für Privatanleger nicht geeignete Produkte anbiete.
Die Turbulenzen um Gamestop haben in Berlin auch die Finanzpolitiker beschäftigt. „Handelsplattformen müssen offen für alle Marktteilnehmer sein. Es kann nicht sein, dass eine Vielzahl von Kleinanlegern in einer volatilen Phase vom Handel ausgeschlossen werden und große Hedgefonds haben weiter Marktzugang“, sagte zum Beispiel Florian Toncar von der FDP der Agentur Reuters. „Unsere Aufsichtsbehörden müssen diese Grundsätze rigoros durchsetzen, sie gehören zum Kernbestand offener Kapitalmärkte.“
Jörg Zeuner, Chefvolkswirt von Union Investment, sagte zu den jüngsten Marktverwerfungen: „Wir dürfen gespannt sein, welche Schlüsse die Börsenaufseher daraus ziehen. Für langfristige Investoren sind spekulative Übertreibungen dieser Art ein Ärgernis. Zockerei geht mit hohen Risiken einher und beeinträchtigt unbeteiligte Dritte.“ Für langfristige Investoren führe an einer fundierten Analyse weiterhin kein Weg vorbei. Kein heißer Tipp ersetze eine professionelle Anlagestrategie, um nachhaltig positive Erträge zu erzielen.
Wer die Geschichte von größeren Short Squeezes wie zum Beispiel bei VW Stämmen im Jahr 2008 kennt, weiß zumindest, was letztendlich passiert. Nach einem massiven Kursanstieg, der länger dauern kann als gedacht, folgt ein jäher und massiver Absturz. Dies dürfte wohl auch für Gamestop gelten.
Neue Ermittlungen möglich
Während bislang nur Ermittlungen der US-Behörden gegen den Online-Broker Robinhood wegen dessen Sperrung weiterer Aktienkäufe und wegen möglicher Zwangsverkäufe von Gamestop-Titeln bekannt geworden sind, rechnen viele Marktbeobachter damit, dass auch Wallstreetbets von den Aufsichtsbehörden auf Druck der großen Wall-Street-Häuser ins Visier genommen werden könnte.
Mögliche Rechtsgrundlage dafür könnte der Securities Exchange Act aus dem Jahr 1934 sein. Dieser verbietet es ausdrücklich, zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren aufzufordern, indem behauptet wird, dass der Preis der Wertpapiere aufgrund von Marktoperationen steigen oder fallen könnte – wenn diese mit dem Zweck erfolgen, für die entsprechenden Preisanstiege oder Preissenkungen zu sorgen. Derartige Pump-Praktiken hatte es in den 1920er und 1930er Jahren gegeben. Ob die aktuelle Situation von dem Verbot erfasst wird, ist allerdings nicht klar. Bislang wurde die Vorschrift praktisch nicht umgesetzt. Demgegenüber betrachten die amerikanischen Behörden die Leerverkaufspraktiken der Hedgefonds als legal – auch wenn diese von den Kleinanlegern abgelehnt werden.