Finanzmärkte

Neuerliche Nullzinsen sind unwahrscheinlich

Neuerliche Nullzinsen, wie man sie nun über Jahre an den Finanzmärkten kannte, sind wohl eher unwahrscheinlich. Aber im Instrumentenkasten der Notenbanken werden sie wohl bleiben.

Neuerliche Nullzinsen sind unwahrscheinlich

Von Ulrich Kater*)

Die Notenbanken der großen Weltwährungen haben in den vergangenen zwölf Monaten die stärkste Zinswende seit Jahrzehnten hingelegt. So schnell kann’s gehen: Gestern wurde an den Kapitalmärkten noch gepredigt, dass die Renditen auf unabsehbare Zeit ultraniedrig, wenn nicht gar negativ bleiben würden. Und heute sind selbst mit sicheren Staatsanleihen wieder positive Realrenditen zu erzielen, zumindest, wenn man als Inflationsrate einen langjährigen Durchschnitt nahe den Notenbankzielen von 2% zugrunde legt.

Sind damit all diejenigen, die in den vergangenen Jahren den Zins totsagten, als vorschnelle Mahner entlarvt? Nicht ganz: Nullzinsen werden wohl weiterhin zum Instrumentarium der Notenbanken gehören. Allerdings muss man klar einschränken, dass eine solche Ex­tremlage an den Zinsmärkten nur durch extreme Umstände hervorgerufen werden kann. Diese lassen sich für die gerade abgelaufene Nullzinsphase in etwa so charakterisieren: Notenbanken hatten in der Vergangenheit sehr erfolgreich ihre Inflationsziele von 2% durchgesetzt. Damit sanken auch die Leitzinsen in diesen Bereich. Wenn dann die Wirtschaft negativen Impulsen ausgesetzt ist, kommen die Notenbanken schnell an die Grenze ihrer Gegensteuerung. Das war mit den negativen Extremschocks der Finanzkrise und der Coronakrise der Fall.

Unheimliche Welt

Denn die Leitzinsen erreichen dann schnell die Nulllinie. Danach fängt die unheimliche Welt der „unkonventionellen“ Geldpolitik an mit Negativzinsen und riesigen Anleihekäufen. Obwohl die tatsächliche Wirksamkeit all dieser Instrumente aus der vergangenen Dekade in der Fachwelt hoch umstritten ist, besteht kein Zweifel, dass die Notenbanken wieder zu diesem Instrumentenkasten greifen würden, wenn vergleichbare Umstände auftreten.

Von solchen Umständen ist gegenwärtig weit und breit nichts zu sehen. Die Inflation ist außer Rand und Band, und selbst wenn die monatlich gemeldeten Raten im Verlauf dieses Jahres deutlich rückläufig sind, wird das Inflationsziel von 2% doch kaum erreichbar sein. Hier muss wohl noch ein Umdenken an den Kapitalmärkten stattfinden. Sowohl Anleihemärkte als auch Aktienmärkte haben in diesem Jahr bereits viele Vorschusslorbeeren an eine Geldpolitik verteilt, die in der zweiten Jahreshälfte die geldpolitischen Konditionen schon wieder lockern soll. Wer sich allerdings die Lohnentwicklung in den großen Volkswirtschaften anschaut – allein in Deutschland beträgt die Durchsetzungsquote der hohen Lohnforderungen der Gewerkschaften bei den jüngsten Abschlüssen historische 80% –, der fragt sich, wie die Notenbanker eine solche Entspanntheit an den Tag legen sollen. Das alles spricht dafür, dass die Zinserwartungen über alle Laufzeiten noch etwas nach oben korrigieren sollten. Diese Erwartungskorrektur hat in den vergangenen Wochen bereits begonnen, wird aber in den kommenden Wochen immer wieder von konjunkturellen Daten überlagert werden. Die Schwächephase insbesondere in der europäischen Wirtschaft ist noch nicht vorbei, und jeder Hinweis auf weiterhin drohende Rezessionsgefahren wird die Zinserwartungen dämpfen, bevor diese Argumente in der zweiten Jahreshälfte dann wahrscheinlich wegfallen werden. Positive Realzinsen sollten also dauerhaft wieder möglich sein, insbesondere bei den stärker risikobehafteten Anleihesegmenten. Al­lerdings bleibt das hohe Kapitalangebot auf der Welt bestehen, das bereits in der Vergangenheit für historisch eher unterdurchschnittliche Realzinsen gesorgt hat. Ob eine höhere Investitionsnachfrage im Zuge von Nachhaltigkeitstransformation und Infrastrukturerneuerung das Kapital wieder deutlich teurer machen wird, bleibt zurzeit eher eine Vermutung.

Tiefe Verunsicherung

Höhere Realzinsen könnten sich aber auch aus einer ganz anderen Ursache heraus einstellen. Sollte die Geldpolitik es nicht schaffen, in den kommenden beiden Jahren die Glaubwürdigkeit ihrer Inflationsziele zu verteidigen, dann würde das herrschende Kapitalmarktparadigma – niedrige Inflation, niedrige Zinsen – zusammenbrechen. Das würde eine tiefe Verunsicherung der Marktteilnehmer hervorrufen, insbesondere da ausformulierte Alternativen für eine Neuorientierung seitens der Notenbanken nicht vorliegen. Am nächsten kommt dem noch die Debatte über höhere Inflationsziele, allerdings sind diese weit entfernt von einer tatsächlichen Umsetzung.

Solche Verunsicherung würde nicht nur höhere langfristige nominale Zinserwartungen zur Folge haben, sondern auch über steigende Risikoprämien die Realverzinsung anheben. Das zeigt, vor welchen Herausforderungen die Geldpolitik steht, sowohl in den USA als auch in Europa. Einerseits müssen die Notenbanken zur Verteidigung ihrer Inflationsziele wahrscheinlich noch über lange Zeit eher restriktive Finanzierungskonditionen aufstellen. Andererseits könnten sie unter erheblichen politischen Druck geraten­, wenn Interessengruppen sie als Wachstumsbremser und Rezessionsverursacher brandmarken. Insgesamt erscheint eine baldige Rückkehr in extreme Niedrigzinsen recht unwahrscheinlich.

Wenn gegenwärtig schon bei Staatsanleihen positive Realzinsen erreicht sind, um wie viel besser steht es da bei den Risikosegmenten des Anleihemarktes? Der Blick auf den Markt für hochverzinste Unternehmensanleihen zeigt, dass hier in den vergangenen Monaten tat­sächlich neue Attraktivität entstand. Die durchschnittlichen Corporate-High-Yield-Renditen im Euroraum sind von ihren Tiefpunkten in der Coronazeit von unter 3% zwischenzeitlich auf über 8% angestiegen. Neben dem allgemeinen Zinsanstieg ist dies einer deutlichen Ausweitung der Risikoaufschläge zu verdanken.

Verschuldung optimiert

Zwar war in den vergangenen Wochen wieder eine Beruhigung zu verzeichnen, aber angesichts der durchwachsenen Geschäftsperspektiven, die die großen Unternehmen mittlerweile selbst abgeben, können sich in den nächsten Monaten auch schnell wieder Anstiege der Risikospreads ergeben, wenn die eine oder andere hoch verschuldete Firma in Finanzierungsengpässe kommt. Spätestens dann wären jedoch interessante Niveaus erreicht. Denn in der Breite haben die Unternehmen die Niedrigzinszeit eher genutzt, um ihre Verschuldung zu optimieren und Liquidität aufzubauen. Auch die nun langsam ansteigenden Defaultraten sind in diesem Bewertungsniveau ausreichend abgedeckt. Der CDS-Spread in Höhe von 400 Basispunkten im iTraxx Crossover preist eine über fünf Jahre kumulierte implizite Ausfallwahrscheinlichkeit von 27,8% ein. Diese liegt knapp unter dem historisch schlechtesten Fünf-Jahres-Zeitraum seit 50 Jahren und weit über dem historischen Durchschnitt von 15%. Mit breit diversifizierten Anlagen lassen sich also im Hochzinsbereich wieder auskömmliche Realzinsen erwirtschaften, und es deutet einiges darauf hin, dass dies eine ganze Weile lang anhalten wird.

*) Ulrich Kater ist Chefvolkswirt der DekaBank.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.