Aktienmarkt in Japan

Nikkei und Topix im Höhenrausch

Japan könnte ein Gewinner der Deglobalisierung werden. Auslandsinvestoren ziehen derzeit Kapital aus China und Hongkong ab, aber es soll in Asien bleiben. Japan bietet sich als naheliegende Alternative an.

Nikkei und Topix im Höhenrausch

Japan im Höhenrausch

Comeback von Japan-Aktien bei Auslandsinvestoren – Alternative zu China

Japanische Aktien laufen derzeit überraschend gut. Der Nikkei 225 legte seit Anfang Januar um 19,4% und der breit gefasste Topix um 13,6% zu. Japan könnte ein Gewinner der Deglobalisierung werden. Auslandsinvestoren ziehen derzeit Kapital aus China und Hongkong ab, Japan bietet sich als naheliegende Alternative an.

mf Tokio

Japanische Aktien erlebten gerade einen überraschenden Lauf: Der Nikkei 225 legte seit Anfang Januar 19,4% und der breit gefasste Topix 13,6% zu, beide erreichten jeweils ein 33-Jahres-Hoch. Damit war der Nikkei das stärkste Asien-Aktienbarometer 2023. Im Mai führte der Nikkei mit +7% die 15 schwersten Indizes weltweit an, gestützt von Halbleitertiteln wie Advantest (+70%) und Renesas Electronics (+29%), auch wenn es am Mittwoch zu breiten Gewinnmitnahmen kam.

Den Startschuss für die Rally gab im April der US-Investor Warren Buffett, der seine Anteile an Japans fünf führenden Handelshäusern aufstockte. Damit lenkte er den Blick auf die günstige Marktbewertung (Kurs-Gewinn-Verhältnis 17,6), die rekordhohen Aktienrückkäufe von angekündigten 8,5 Bill. Yen (57 Mrd. Euro) im Geschäftsjahr 2022, die Reform der Corporate Governance, hohe Firmengewinne und die solide Konjunkturerholung. Daraufhin kauften ausländische Investoren nach jahrelangem Desinteresse in den acht Wochen bis Mitte Mai Aktien für netto 3,6 Bill. Yen (24 Mrd. Euro).

Tatsächlich lockt Japan mit zwei Besonderheiten: Erstens hat man sich in der Geld- und Fiskalpolitik von den USA und Europa abgekoppelt. Die Bank of Japan hält an ihrer Nullzinspolitik fest, obwohl der Preisauftrieb von über 3% ihr Inflationsziel von 2% klar übertrifft. Japans Wirtschaft leidet auch weniger unter den hohen Energiepreisen, ein Grund ist die Atomstromreserve. Auch der Shareholder Value wird weiter hochgehalten: Der Börsenbetreiber JPX forderte die Unternehmen mit einem durchgängigen Kurs-Buch-Verhältnis unter 1 auf, ihre Initiativen zu einer Verbesserung offenzulegen. Parallel verstärkte die Regierung die Steueranreize für Aktieninvestitionen von Privatanlegern.

Zweitens könnte Japan ein Gewinner der Deglobalisierung werden. Auslandsinvestoren ziehen derzeit Kapital aus China und Hongkong ab, aber es soll in Asien bleiben. Japan bietet sich als naheliegende Alternative an. Das „Friendshoring“ bei Lieferketten löste einen Boom im Halbleitersektor aus. TSMC, Micron und Samsung investieren in Japan. Die Großunternehmen modernisieren Maschinen und Software und gönnen ihren Beschäftigten den größten Schluck aus der Lohnpulle (3,9%) seit 1993. Wie eine Spinne sitzt Japan mitten in allen Freihandelsverträgen in Asien und gehört der „Chip-4“-Allianz von USA, Südkorea und Taiwan an.

Die Konjunktur läuft gemäß J.P. Morgan „hervorragend“. Die Regierung schätzte erstmals seit zehn Monaten die Wirtschaftslage besser ein. Der Einkaufsmanagerindex für alle Industrien stieg im Mai auf den höchsten Wert seit einem Jahrzehnt und steht nur knapp einen Punkt unter dem Rekord von 2013. Im produzierenden Gewerbe überwand dieser Index mit 50,6 im Mai die Expansionsschwelle von 50. Die Rückkehr der Auslandstouristen treibt die Service-Branchen an. Die Arbeitslosenrate fiel um 0,2 Punkte auf 2,6% und stützt damit das Lohnwachstum. Dank des festen Privatkonsums und der hohen privaten Kapitalausgaben könnte die Wirtschaft selbst eine US-Rezession gut meistern.

Strategen uneins

Dennoch sind sich die Strategen über die Richtung uneinig: Das Magazin „Nikkei Asia“ fragte in einer Schlagzeile: „Nikkei 28.000 oder 38.000?“ Laut einer Reuters-Umfrage sagen Analysten im Schnitt einen Nikkei-Stand von 30.000 zum Jahresende vorher. Die Bandbreite ist groß: Das Brokerhaus SMBC Nikko sieht den Nikkei am Jahresende bei 35.000, aber T&D AM bei 27.500. Der Chefstratege von Nomura, Yunosuke Ikeda, erwartet einen Nikkei-Anstieg bis Juli auf 33.000 und dann einen Fall bis Dezember auf 29.000.

Die Bank of America bleibt vorsichtig: Japan-Aktien und Yen seien ein „möglicher Trade für 2024“, aber dafür müsste eine Lohn-Preis-Spirale in Gang kommen und die Regierung in- und ausländische Investitionen fördern, schrieb BofA. Ihre Brokertochter BofA Securities sagt dagegen für das erste Halbjahr 2025 einen Nikkei-Stand über dem Rekordhoch von Ende 1989 (38.916) vorher, falls die Inflation Fuß fasst und die Börsenreform greift.

Für Druck sorgen Aktivistenfonds. Ihre Zahl stieg von 10 im Jahr 2014 auf nun knapp 70. Sie dringen auf höhere Kapitalrenditen als die gegenwärtigen 8 bis 9%. Capital Economics zweifelt jedoch an der angeblich starken Verbesserung der Corporate Governance. „Die Unternehmen sitzen immer noch auf hohen Bargeldbergen“, meinte Ökonom Marcel Thieliant. Die Banken hätten ihre Beteiligungen an Kreditkunden von 20% aller Japan-Aktien in den 1990er Jahren auf 3% stark abgebaut, aber der Nichtfinanzsektor halte noch viele Überkreuzbeteiligungen. Und die Firmengewinne seien seit 2012 zwar stark gestiegen, aber seit Ende 2019 nicht mehr stärker als in den USA und der
Eurozone.

Als wichtigster Zukunftsfaktor gilt das Ob und Wann einer Straffung der Geldpolitik, insbesondere die Kontrolle über die Zinskurve. Gouverneur Kazuo Ueda sagte, dass kein einzelner ökonomischer Indikator eine Änderung auslösen werde. „Wir zielen nicht auf Lohnwachstum an sich“, betonte Ueda. Entscheidend sei, ob die Inflation „auf stabile und nachhaltige Weise auf 2% steigt“. Dann würden natürlich auch die Löhne zunehmen. Die Aktienrally kompliziert seine Aufgabe. Zieht Ueda die monetären Zügel an, dann wertet der Yen traditionell auf und die Aktienkurse sinken.

Aber diese Wechselwirkung hängt von der Perspektive der Investoren ab. Im Vorjahr nahmen sie mehr die Negativseiten der weicheren Währung wahr, weil höhere Importpreise die Kosten der Unternehmen nach oben trieben. Aber ein schwacher Yen erhöht auch die Gewinne der Exportfirmen. Dieser Effekt wird derzeit betont. Zuletzt verlor die Währung wieder an Wert, weil Ueda die Geldpolitik nicht änderte. Auslandsinvestoren verstärkten mit ihrem Yen-Hedging den Abwärtsdruck. Jedoch ist der Yen klar unterbewertet und eine Gegenbewegung wahrscheinlich. Davon würden Ausländer – in ihrer Währung gerechnet – profitieren.

Als mögliche Risiken zählen Analysten auf: Die Inflation geht nicht in der zweiten Jahreshälfte zurück. Eine plötzliche Abwertung des Yuan und Zinssenkungen der US-Notenbank könnten ebenfalls für einen Schock sorgen. Aber nach Ansicht von UBS Japan ist das Abwärtsrisiko begrenzt. Viele Aktien seien nicht hoch bewertet, es gebe wenig Gewinnrevisionen und die Börsenreform laufe.

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