KreditwürdigÖlkonzerne

Eine Branche im M&A-Fieber

Dass „Big Oil“ Milliarden in die Förderung dirigiert, ist vor allem vier Motiven geschuldet, erläutert DZ-Bank-Analyst Stephan Sporkmann.

Eine Branche im M&A-Fieber

Kreditwürdig

Ölkonzerne im M&A-Fieber

Von Stephan Sporkmann *)

Nachdem sich die Öl- und Gasbranche in den vergangenen Jahren mit größeren Akquisitionen zurückgehalten hatte, überraschten im Oktober gleich zwei Sektorschwergewichte mit milliardenschweren Übernahmeangeboten. ExxonMobil schnappte sich Pioneer Natural Resources für rund 60 Mrd. US-Dollar. Chevron war der Erwerb des Wettbewerbers Hess 53 Mrd. US-Dollar wert. Die Transaktionen sind gemessen am Kaufpreis die größten Deals seit der 2015er-Übernahme der BG Group durch Shell (für umgerechnet 70 Mrd. US-Dollar). Überraschend waren die Offerten vor allem deshalb, da mit den Zukäufen nicht etwa der Umbau der Konzerne im Rahmen der Energiewende vorangetrieben, sondern das Exposure gegenüber fossilen Brennstoffen weiter erhöht wurde. ExxonMobil steigt dank der zusätzlichen Pioneer-Barrel zum führenden Fracking-Unternehmen in der bedeutenden Permian-Region in den USA auf. Chevron kann durch den Zukauf die im globalen Vergleich bereits hohe Förderrate nochmals um 13% steigern. In Europa greift zwar kein regelrechtes M&A-Fieber um sich, in einigen Fällen lässt sich aber zumindest eine erhöhte Temperatur messen: So bot Eni im Sommer knapp 5 Mrd. US-Dollar für den britischen Förderer Neptune Energy.

Aus der Zeit gefallen?

Wie passen diese Transaktionen in eine Zeit, in der Anleger immer stärker auf Nachhaltigkeitskriterien schauen und Ölkonzerne beginnen müssten, alternative Standbeine für eine kohlenstoffärmere Zukunft aufzubauen? Immerhin warnte erst jüngst die Internationale Energieagentur IEA im diesjährigen World Energy Outlook, dass sämtliche fossilen Brennstoffe den Nachfragezenit noch vor 2030 überschreiten werden. Dass „Big Oil“ dennoch Milliarden in die Förderung dirigiert, ist unseres Erachtens vor allem vier Motiven geschuldet: Erstens dürften Ölprodukte und Erdgas noch für Dekaden wichtige Brennstoffe bleiben. Zwar ist dank des rasanten Ausbaus der erneuerbaren Energien sowie der zunehmenden Marktdurchdringung von E-Fahrzeugen mit nachgebenden Nachfragevolumina zu rechnen. Der Rückgang dürfte ohne zusätzliche politische Initiativen aber äußerst graduell ausfallen. Zweitens setzen die Konzerne auf positive Mixeffekte. Dabei werden durch Übernahmen Felder erworben, die über sehr geringe Förderkosten verfügen. In einem tendenziell schrumpfenden Markt zahlt sich die hierdurch gewonnene Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit „lebensverlängernd“ aus. Der Erwerb von Hess dürfte auf diesem Kalkül basieren. Denn mit der Transaktion sichert sich Chevron den Zugriff auf Tiefseefelder vor der Küste Guyanas, die bereits ab Ölpreisen von 35 US-Dollar je Barrel profitabel sind.

Kurze Entwicklungszeiten

Drittens nimmt die Branche bevorzugt Übernahmeziele ins Visier, deren Projektportfolien kurze Entwicklungszeiten aufweisen. So lassen sich die „Tight-Oil“-Vorkommen im Permian-Becken in wenigen Wochen bis Monaten erschließen. Konventionelle Projekte benötigen dagegen häufig Vorlaufzeiten von fünf bis zehn Jahren. Das investierte Kapital kann also deutlich schneller „verdient“ werden – ein klarer Vorteil in Zeiten unwägbarer Nachfragetrends. Die Integration von Pioneer soll ExxonMobil entsprechend dabei helfen, den Anteil von Förderprojekten mit kurzen Investitionszyklen bis 2027 auf über 40% anzuheben. Viertens können M&A-Transaktionen die Balance zwischen Öl- und Gasprojekten zugunsten Letzteren verschieben. Da Erdgas günstigere Verbrennungseigenschaften als Rohöl aufweist, dürfte dieser Energieträger länger eine bedeutende Rolle spielen. Eni beabsichtigt deshalb, den Gasanteil im Fördermix langfristig auf 90% anzuheben. Mit der Übernahme von Neptune Energy rückt dieses Ziel ein gutes Stück näher, da die Reserven der Briten zu vier Fünfteln aus Molekülen bestehen.

M&A für grüne Transformation

Vor diesem Hintergrund erscheint es daher ökonomisch rational, dass die multinationalen Konzerne weiter auf das traditionelle Geschäft setzen. Was aber, wenn sich der Wandel hin zu einer kohlenstoffärmeren Ära schneller vollzieht als erwartet? Die IEA hat errechnet, dass in einem normativen Szenario, in welchem die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzt werden kann, die Ölförderung auf ein Viertel des heutigen Niveaus zurückgehen müsste. Einige wenige private Ölkonzerne dürften zwar auch für diesen Fall neben Staatskonzernen wie Saudi Aramco, Qatar Petroleum und Adnoc bestehen können, die Gefahr gestrandeter Assets – also abzuschreibender Vermögenswerte – würde indes steigen. Folglich haben vor allem die europäischen Öl- und Gaskonzerne begonnen, die Geschäftsaktivitäten auf nachhaltigere Felder wie die Erzeugung erneuerbarer Energien oder die Herstellung von Biokraftstoffen auszuweiten. Um nicht bei null starten zu müssen, setzen nicht wenige Unternehmen auch hier auf M&A. BP und Shell erwarben Biomethanproduzenten, Total Energies und Repsol kauften gleich mehrere Entwickler von Solar- sowie Windparks und ExxonMobil stieg mit dem immerhin knapp 5 Mrd. US-Dollar schweren Kauf von Denbury in den Markt für CO2-Management-Dienstleistungen ein.

Auswirkungen sind beherrschbar

Aus Sicht eines Kreditinvestors sind M&A-Aktivitäten häufig ein zweischneidiges Schwert: Einerseits können Zukäufe dabei helfen, die Geschäftsprofile zu stärken. Andererseits geht ein Unternehmenserwerb nicht selten mit einem signifikanten Anstieg der Verschuldung einher – sei es, weil der Kauf fremdfinanziert wird oder weil das Übernahmeobjekt selbst einen hohen Leverage „mitbringt“. Die jüngsten Einkaufstrips der großen US-Konzerne sind diesbezüglich aber als unkritisch einzustufen: Beide Unternehmen setzen eigene Aktien als Übernahmewährung ein. Die überdies übernommenen Finanzverbindlichkeiten sind unseres Erachtens gut handhabbar. Ein Blick auf die Spread-Reaktion der auf Euro denominierten ExxonMobil-Anleihen bestätigt diese Einschätzung: Weder das Milliardenvolumen noch die Implikationen für das ESG-Profil machten die Anleger nervös und die Bonds notierten nach der Ankündigung fast unverändert. Die zahlreichen, vor allem von europäischen Konzernen getätigten Akquisitionen im Bereich kohlenstoffarmer Unternehmen wurden zwar überwiegend in bar gezahlt, konnten bislang aber problemlos innerhalb der vorhandenen finanziellen Spielräume dargestellt werden.

Weitere Mega-Deals ante portas?

Ob die beiden Großtransaktionen in den USA nur ein Strohfeuer oder das Startsignal für eine breiter angelegte Konsolidierungswelle waren, bleibt abzuwarten. Sicher erscheint, dass kleinere Akquisitionen auch künftig das Mittel der Wahl zur Diversifizierung der Geschäftsmodelle bleiben. Darüber hinaus rechnen wir mit weiteren Zusammenschlüssen von Fracking-Unternehmen in der Permian-Region. Ob es tatsächlich zu einem spektakulären Zusammenschluss der britischen Wettbewerber Shell und BP kommt, wie in einigen Zeitungen bereits spekuliert wurde, darf indes bezweifelt werden.

*) Stephan Sporkmann ist Senior Corporate Bond Analyst der DZ Bank.