Peking forciert Wende am Aktienmarkt
Peking forciert Wende am Aktienmarkt
Neue Stützungsoffensive gibt Leitindizes Auftrieb – Massives Einwirken auf Shortselling-Transaktionen – Schneeball-Derivate sorgen für Trubel bei Small Caps
Chinas Staat greift mit Shortselling-Verboten und Stützungskäufen noch intensiver ins Börsengeschehen ein, um der Aktienbaisse Einhalt zu gebieten. Am Dienstag bäumten sich die Leitindizes zwar kräftig auf, die Chancen für eine länger anhaltende V-förmige Erholungs-Rally sind dennoch eher gering.
Von Norbert Hellmann, Schanghai
Neue Interventionen seitens Pekinger Finanzregulatoren und staatlicher Investmentvehikel haben den zuletzt wieder unter heftigem Abwärtsdruck stehenden chinesischen Aktienbörsen einen Befreiungsschlag gegönnt. Am Dienstag sprang der Ende vergangener Woche auf ein Fünfjahrestief abgesackte Leitindex für Chinas Festlandbörsen CSI 300 um 3,5% auf 3.312 Punkte und verbuchte damit den größten Tagesgewinn seit November 2022.
Noch stärker fiel die Gegenbewegung bei den zuletzt regelrecht geknüppelten Indizes für Mid Caps und Kleinwerte CSI 500 beziehungsweise CSI 1000 aus. Bei beiden Benchmarks sah man am Dienstag rekordhohe Tagesgewinne von 8 beziehungsweise 7%, mit denen die heftigen Verluste der vergangenen Woche allerdings noch lange nicht aufgeholt sind. An der Hongkonger Börse wiederum waren es vor allem Tech-Werte, die positiv reagierten und den Leitindex Hang Seng 4% ins Plus brachten.
Staatsfonds geht in ETFs
Ausschlaggebend für die Wende waren eine Reihe von Ankündigungen, mit denen die chinesische Regierung ihre Mitte Januar lancierte, aber bislang wenig erfolgreiche Stützungskampagne für den Aktienmarkt weiter hochzuschrauben versucht. Bereits am Vormittag kündigte das Staatsfondsvehikel Central Huijin Investment eine Ausweitung gezielter Stützungskäufe via große indexbezogene ETFs an. Central Huijin, die in ihrer Hauptfunktion die Regierungsbeteiligungen an Chinas zentralstaatlich kontrollierten Großbanken verwaltet, war vor einigen Wochen erstmals mit demonstrativ publik gemachten ETF-Interventionen dem sogenannten „Nationalteam“ für Stützungsmanöver an Chinas Festlandbörsen beigetreten. Dann zog Chinas Wertpapieraufsichtsbehörde mit einer Reihe von Maßnahmen nach, die zunächst für eine weitgehende Unterbindung von Shortselling-Transaktionen sorgen dürften.
Kampfansage an Leerverkäufer
Laut einer Mitteilung der China Securities Regulatory Commission (CSRC) werden den Brokerhäusern bis auf Weiteres neue Wertpapierleihegeschäfte, auf deren Basis ihre Kunden Leerverkäufe tätigen, untersagt. Bestehende Leihe-Transaktionen sollen nach und nach abgeschmolzen werden. Nach Angaben der CSRC haben in den vergangenen Wochen angeordnete Maßnahmen zur Reduzierung von Leerverkäufen einen deutlichen Rückgang des Wertpapierleihe-Volumens auf dem chinesischen Festland um 24% auf 63,7 Mrd. Yuan (8,2 Mrd. Euro) bewirkt.
Zusätzlich werden Wertpapierleihen verboten, die es Anlegern bislang teilweise ermöglicht haben, auf dem Festland geltende Arbitrage-Regeln zu unterlaufen, die den Kauf und Verkauf von Einzelaktien am selben Tag verhindern sollen. Gleichzeitig kommt es zu einer weiteren Beschneidung des erlaubten Rahmens für Wertpapier-Refinanzierungen zur Alimentierung von Hebelgeschäften.
Wüste Drohungen
Bereits am Vortag hatte die CSRC in einem verbalen Rundumschlag eine Nulltoleranz-Politik gegenüber „böswilligen Shortsellern“ angekündigt. Dabei hieß es wörtlich, dass Regelbrecher „ihr letztes Hemd verlieren und im Gefängnis verrotten werden“. Die schrille Tonlage zeigt, wie sehr das Thema Aktienbaisse auf der Prioritätenliste der Regierung nach vorn gerückt ist. Dazu passend wurde am Dienstag mitgeteilt, dass der Staatspräsident persönlich einen Lagebericht zur Börsensituation zusammen mit Spitzenvertretern der Regulierungsbehörden erörtern wird. Diese Nachricht trug im Nachmittagshandel zu einer Verfestigung der Rally-Bewegung bei.
Schutzmacht für Kleinanleger
Die demonstrative Einschaltung des Präsidenten ziele in erster Linie darauf ab, Eindruck auf chinesische Kleinanleger zu machen und ihnen das Gefühl eines Schutzes von oberster Warte zu vermitteln, urteilten Analysten am Dienstag. Dies könne dazu beitragen, dass die auf einem Fünfjahrestief angelangten Leitindizes zu einer rascheren Bodenbildung finden, zumal Shortselling-Praktiken nun massiv eingedämmt werden.

Andererseits hegen die Experten Zweifel, dass die forcierten staatlichen Eingriffe das von mangelndem Konjunkturvertrauen geprägte Anlegersentiment nachhaltig aufhellen werden. Entsprechend werden die Aussichten auf eine starke V-förmige Erholungsbewegung, mit der das seit Herbst verlorene Terrain rasch wieder zurückgewonnen werden kann, als eher bescheiden bewertet.
Verschnaufpause in Sicht
Aus Pekinger Sicht geht es vor allem darum, kurz vor dem chinesischen Neujahrsfest eine als gefährlich erachtete Talfahrt zu unterbrechen. Es stehen jetzt nur noch drei Handelstage an, bevor Chinas Festlandbörsen in eine einwöchige Feiertagspause zum Neujahrsfest gehen werden. Der Handel wird dann erst am Montag, dem 19. Februar, wiederaufgenommen.
Mit der bald anstehenden Verschnaufpause hoffen die Regulatoren auch der zuletzt aufsehenerregenden Volatilität bei chinesischen Small und Mid Caps Herr zu werden. Am Montag sackte der Kleinwerte-Index CSI 1000 zeitweilig auf den tiefsten Stand seit Oktober 2018 ab und hatte damit binnen weniger Handelstage fast 20% eingebüßt. Dieses Barometer spielt wie auch der CSI 500 eine besondere Rolle als Benchmark-Index für die Auflage von auf chinesische Kleinanleger zugeschnittenen Derivate-Produkten, die als „Snowballs“ bezeichnet werden.
Gefährliche Schneebälle?
Die Schneeball-Zertifikate sind so konzipiert, dass Anleger einen Kontrakt mit Indexgrenzen kaufen. Beim Erreichen einer Obergrenze, der sogenannten Knock-out-Schwelle, wird der Kontrakt aufgelöst und der Inhaber erhält eine Kuponzahlung mit einer relativ hohen Verzinsung von typischerweise 12 bis 20% per annum. Bei Erreichen der Knock-in-Schwelle wird der Kontrakt ebenfalls terminiert, und dem Käufer drohen zumindest partielle Verluste seines Kapitaleinsatzes. Die von zahlreichen chinesischen Brokerhäusern seit einigen Jahren vertriebenen Schneeball-Zertifikate sind in der allgemeinen Baisse vermehrt an Knock-in-Grenzen geraten und haben für gewaltige Unruhe bei Kleinanlegern gesorgt.
Zwar haben die Derivate im Prinzip keinen direkten Einfluss auf den zugrunde liegenden Index, sie führen allerdings zu korrespondierenden Hedging-Transaktion der Broker mit Index-Futures. Beim Auflegen des Derivats kommt es zu einer Long-Position und im Falle des Knock-in zu einer Auflösung derselben.
Marktteilnehmer betonen, dass neben den Snowball-Derivaten vor allem auch Einschussverpflichtungen im Rahmen von kreditfinanzierten Engagements den Baissetrend bei Small Caps verstärkt hatten. In der Erwartung, dass Stützungsaktionen des Staates vor allem dem CSI 300 gelten würden, sah man zudem Arbitrageversuche mit Long-Positionen auf den Blue-Chip-Index bei gleichzeitigen Shortselling-Manövern für die Small-Cap-Benchmark.