Staatenbonität

Ratings der Euro-Länder vor Bewährungsprobe

Die Corona-Pandemie erfordert ein bislang nicht gesehenes Maß an finanziellen Hilfen der Staaten für Unternehmen und private Haushalte. Mittels großer Fiskalpakete in Deutschland und anderen Ländern der Eurozone konnten bislang ein noch stärkerer...

Ratings der Euro-Länder vor Bewährungsprobe

Von Daniel Lenz*)

Die Corona-Pandemie erfordert ein bislang nicht gesehenes Maß an finanziellen Hilfen der Staaten für Unternehmen und private Haushalte. Mittels großer Fiskalpakete in Deutschland und anderen Ländern der Eurozone konnten bislang ein noch stärkerer wirtschaftlicher Einbruch verhindert, Arbeitsplätze gesichert und zuvor gesunde Unternehmen vor der Insolvenz gerettet werden.

Die Kehrseite dieses enormen finanziellen Kraftaktes: Die Verschuldung der Staaten ist im vergangenen Jahr rasant gestiegen und dürfte in diesem Jahr weiter zulegen. Deutschlands Schuldenstandsquote könnte die Marke von 70% überspringen, bleibt aber im europäischen Vergleich noch immer eher niedrig. Weitaus dramatischer sind die Folgen in Italien und Griechenland, wo die Schuldenstandsquoten neue Rekordwerte von etwa 150% sowie 200% erreichen werden.

Gewaltige Anstiege

Anders als zu Beginn der Krise befürchtet, hat der gewaltige Anstieg des Schuldenstandes noch keine größeren Auswirkungen auf die Bonitätsnoten der Staaten gehabt. Innerhalb der Gruppe der größeren Länder der Eurozone wurde lediglich Italien durch Fitch im Frühjahr vorigen Jahres herabgestuft. In anderen Fällen haben die bedeutendsten Agenturen lediglich die zuvor positiven Ausblicke für die weitere Ratingentwicklung der Staaten revidiert. Geradezu wundersam erscheint auf den ersten Blick die Entscheidung von Moody’s, ausgerechnet inmitten der Krise die Bonitätsnote Griechenlands um eine Stufe auf „Ba3“ anzuheben.

Der wesentliche Grund für diese mutmaßliche Entkoppelung der Bonitätsnoten von der Dynamik der Schuldenstände ist im Einfluss der Europäischen Zentralbank (EZB) auf die Refinanzierungsbedingungen der Staaten zu sehen. Während zu Beginn der Coronakrise die Staatsanleiherenditen noch in die Höhe geschossen waren und damit die zu erwartenden finanziellen Belastungen der Staaten abbildeten, sorgten die Entscheidungen der EZB für eine 180-Grad-Kehrtwende des Marktgeschehens. Insbesondere das Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP), das inzwischen ein Gesamtvolumen in Höhe von 1850 Mrd. Euro umfasst, hat die Marktwende eingeleitet. Im Rahmen des PEPP kauft die EZB überwiegend Staatsanleihen und sorgt so nicht nur für eine ausreichende Nachfrage nach Staatspapieren, auch deren Renditen sind kräftig gesunken. Erstmals kauft die EZB im Rahmen des PEPP auch hellenische Bonds. Zehnjährige griechische Renditen erreichten daraufhin im Dezember vorigen Jahres sogar ein neues Allzeittief.

Durch den Markteingriff der EZB spiegeln die Renditen am Markt zwar kaum noch die Lage der staatlichen Schuldner wider, die Refinanzierungsbedingungen sind aber ausgesprochen günstig. Diese Entwicklungen berücksichtigen die Ratingagenturen nicht nur: In ihren Begründungen für die bis dato überwiegend stabilen Bonitätsnoten verweisen sie auch ausdrücklich darauf, dass die Aufwendungen für den Schuldendienst trotz steigender Schuldenstände eher gesunken denn gestiegen sind.

Da die EZB angekündigt hat, bis mindestens Ende März 2022 an den Anleihekäufen im Rahmen des PEPP festzuhalten, dürfte sich an den günstigen Marktbedingungen für die Staaten kurzfristig wenig ändern. Die Ratingagenturen sollten daher zunächst ebenfalls kaum Anhaltspunkte für die Notwendigkeit weitergehender Ratingänderungen sehen; vorausgesetzt, die erwartete wirtschaftliche Erholung setzt in diesem Jahr ein und erleidet keinen massiven Rückschlag.

Die eigentliche Bewährungsprobe für die Finanzminister könnte aber ausgerechnet dann eintreten, wenn sich die wirtschaftliche Erholung und die Preisdynamik so sehr verfestigen, dass die EZB über ein Ende der Nettoanleihekäufe im Rahmen des PEPP nachdenkt. In dem Fall würde ein bedeutender Nachfrager für Staatsanleihen entfallen. Insbesondere die hoch verschuldeten Staaten wie Italien wären gezwungen, ihre Neuverschuldung deutlich zu reduzieren, und private Investoren müssten davon überzeugt werden, anstelle der EZB verstärkt Anleihen zu kaufen. Da private Anleger für die Risiken ihrer Anlage angemessen entschädigt werden wollen, wäre mit steigenden Refinanzierungskosten der Staaten zu rechnen. Hierbei dürfte folgende Faustformel gelten: Je weniger Anleger von der Schuldentragfähigkeit eines Landes überzeugt sind, desto stärker könnten die Marktrenditen zulegen. Die fundamentalen Einflussfaktoren wie Neu- und Gesamtverschuldung, Wachstum und Reformbereitschaft könnten außerdem wieder an Bedeutung gewinnen.

Diese sich anbahnende „Klippe“ haben die Ratingagenturen ebenfalls im Blick. Sie mahnen schon heute, dass die Staaten geeignete Konzepte erarbeiten sollen, wie sie nach Abebben der Krise die Märkte so weit überzeugen können, dass die Refinanzierungskosten nicht sprunghaft zulegen. Die Finanzhilfen aus dem EU-Wiederaufbaufonds (NGEU) können hier eine gewisse Entlastung bewirken, allein reichen sie aber nicht.

Unterschiedliche Reaktionen

Die Reaktion der Staaten auf eine Zeit nach Corona fällt bislang aber höchst unterschiedlich aus. In Deutschland wird derzeit politisch gestritten, ob man nach der Krise zur Schuldenbremse und zur Haushaltsdisziplin der 2010er Jahre zurückkehren soll. Hiervon dürfte in erster Linie abhängen, wie schnell Deutschland seine Verschuldung wieder senken kann. Unabhängig davon genießt Deutschland aber weiter einen Ruf als exzellenter Schuldner. Die Spitzenbonitätsnote sollte, ungeachtet des Ausgangs der Diskussion, nicht in Gefahr geraten.

In Italien, wo der Handlungsdruck ungleich größer ist, findet eine solche Diskussion kaum statt. Die bislang regierende Mitte-links-Koalition rechnet damit, dass es etliche Jahre dauern könnte, bis das Land die Neuverschuldung unter die Maastricht-Marke von 3% senkt. Sollte es nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Conte zu Neuwahlen kommen, könnte es einen Regierungswechsel geben. Die in den Wahlumfragen führenden rechtspopulistischen Parteien gehen noch weiter. Sie plädieren für eine Diskussion, ob die EZB den Staaten ihre Schulden erlassen soll. Abgesehen von den rechtlichen Hindernissen wäre dies auch ein verheerendes Signal an die Märkte, weil es Zweifel am Zahlungswillen des Schuldners wecken könnte.

Gelingt es Italien nicht, nach Abebben der Krise Haushaltsdisziplin zu wahren und die Anleger zu überzeugen, dürften nicht nur die Risikoaufschläge italienischer Staatsanleihen zulegen. Auch die Ratingagenturen würden voraussichtlich alsbald reagieren. Mittelfristig könnte sogar Italiens Investment-Grade-Rating in Gefahr geraten. Aber auch andere hoch verschuldete Euro-Länder wie Portugal, Belgien oder sogar Frankreich könnten ins Blickfeld der Agenturen geraten. Dies zeigt, dass die politischen und fiskalischen Herausforderungen für die Euro-Staaten weit über die Dauer der Coronakrise hinweg fortbestehen werden – womöglich sogar für viele Jahre.

*) Daniel Lenz ist Leiter Strategie Staatsanleihen bei der DZBank.

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