Staatsschulden

Rechtsruck könnte Rating Deutschlands belasten

LBBW-Chefökonom Moritz Kraemer sieht im US-Wahljahr wenig Einigungschancen für den Haushalt. Auch in Deutschland fehle trotz hoher Schulden der Reformwille. Druck auf das Rating könnte mittelfristig aus seiner Sicht allerdings vor allem von einem weiteren Erstarken der AfD ausgehen.

Rechtsruck könnte Rating Deutschlands belasten

Für Moritz Kraemer ist die Gefahr eines drohenden Government Shutdowns in den USA nur aufgeschoben. „Sie spielen auf Zeit“, sagt der Chefvolkswirt der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) der Börsen-Zeitung mit Blick auf das Übergangsgesetz für den Staatshaushalt, das der US-Kongress nun verabschiedet hat. Damit ist ein Government Shutdown, also ein Stillstand der US-Regierung, abgewendet worden, aber zunächst nur als Überbrückungslösung bis zum 1. bzw. 8. März, bevor der Streit erneut beginnen mag. „Man hat damit lediglich eine Verschnaufpause gewonnen“, sagt Kraemer, der angesichts des anlaufenden Wahlkampfs in den USA ohnehin eine schlechte Zeit für Kompromisse sieht. Dabei hätte es bereits im Oktober zu einer Einigung über den Haushalt kommen sollen. Denn seitdem haben die USA noch kein richtiges Budget aufgestellt. „Das ist nicht ganz unbedeutend, weil der reale Wert des Haushalts seitdem geringer geworden ist“, so der LBBW-Chefökonom.

Wachstumsschwäche

IM GESPRÄCH: MORITZ KRAEMER

Die USA "spielen auf Zeit"

LBBW-Chefökonom warnt vor Folgen eines Rechtsrucks in Deutschland für das Rating

Von Thomas Spengler, Stuttgart

Für Deutschland diagnostiziert Kraemer eine Wachstumsschwäche, aber kein Problem mit einer höheren Verschuldung. Angesichts einer Schuldenstandsquote von rund 66% des Bruttoinlandsprodukts sei es nicht vorstellbar, dass Deutschland deshalb von den Ratingagenturen herabgestuft würde. Indes könnte nach Kraemers Einschätzung ein starkes Ergebnis der AfD in den drei ostdeutschen Bundesländern, in denen dieses Jahr Landtagswahlen stattfinden, das Rating der Bundesrepublik mittelfristig belasten. Ratingagenturen argwöhnten, dass der politische Diskurs in Deutschland schwieriger geworden ist und von einer wachsenden Kompromisslosigkeit der Debatte gekennzeichnet, so dass es inzwischen auch schwer geworden sei, sich auf Reformen zu einigen. „Schließlich hat sich die Bundesrepublik immer durch politische Stabilität ausgezeichnet – ein Asset, das wir pflegen sollten“, sagt Kraemer.

Mangelnder Biss

Kraemer, der bis 2018 Chef des globalen Geschäfts mit Länderratings bei Standard & Poor’s (S&P) war, erinnert sich gut an den Eklat, den die Ratingagentur 2011 auslöste, als sie es wagte, den USA die Top-Bonität von „AAA“ zu entziehen. Damals folgte eine Klage des amerikanischen Justizministeriums über 5 Mrd. Dollar wegen angeblicher Falschbewertungen, bevor man sich 2015 auf einen Vergleich über 1,4 Mrd. Dollar einigte. Derartige Drohungen sind es auch, die laut Kraemer dazu geführt haben, dass die Ratingagenturen „an Biss verloren zu haben scheinen“. Obwohl sich die Fundamentaldaten der Industrieländer seit Corona massiv verschlechtert haben, seien die Ratings weitgehend unverändert geblieben – „obwohl es uns wirtschaftlich schlechter geht und die Staatsverschuldung vielerorts nach oben geschnellt ist“.

Zuversichtlich ist Kraemer indessen, dass das 2-Prozent-Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) im laufenden Jahr erreicht wird. Die EZB sei doch „trittsicher“ geworden und habe seit Sommer 2022 alles richtig gemacht. Indessen dürfte es in Deutschland trotz des rezessiven Umfelds weiterhin Vollbeschäftigung geben. Und das noch weitere zehn Jahre, schätzt Kraemer aufgrund der demografischen Entwicklung. Solange freilich eine halbe Million Menschen pro Jahr aus dem Arbeitsleben mehr ausscheiden als hinzukommen, gehe auch der Wohlstand zurück – es sei denn, es gebe ein Produktivitätswachstum von deutlich über 1%. „Das aber ist nicht in Sicht“, so der Volkswirt. Bange ist ihm angesichts dessen, was gerne mit Deindustrialisierung beschrieben wird, nicht. Dies sei Teil eines langfristigen Trends hin zu mehr Dienstleistungsgesellschaft. Entscheidend sei hierbei eher der Wille, den Strukturwandel gestalten zu wollen, anstatt abzuwarten und alte Strukturen zu konservieren.

LBBW-Chefökonom Moritz Kraemer sieht im US-Wahljahr wenig Einigungschancen für den US-Haushalt. Auch in Deutschland fehle trotz hoher Schulden der Reformwille. Druck auf das Rating könnte mittelfristig aus seiner Sicht allerdings vor allem von einem weiteren Erstarken der AfD ausgehen.

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