GELD ODER BRIEF

Russische Phosagro will hoch hinaus

Von Eduard Steiner, Moskau Börsen-Zeitung, 1.11.2019 Es mag an der rauen Geschichte des Landes liegen, dass russische Unternehmer - so wie Politiker - deutlich öfter als in anderen Ländern Kampfsport betreiben. So auch Andrej Guriew, Gründer und...

Russische Phosagro will hoch hinaus

Von Eduard Steiner, MoskauEs mag an der rauen Geschichte des Landes liegen, dass russische Unternehmer – so wie Politiker – deutlich öfter als in anderen Ländern Kampfsport betreiben. So auch Andrej Guriew, Gründer und mit seiner Familie Hauptaktionär des russlandweit größten und weltweit viertgrößten Herstellers von Phosphor-Düngemitteln, Phosagro. Sportlich hat es der 59-jährige Judokämpfer sogar zum staatlich ausgezeichneten Trainer geschafft. Finanziell indes mit seinem Unternehmen zu einem Vermögen von geschätzt 4,3 Mrd. Dollar, was Platz 26 auf der russischen Forbes-Reichstenliste bedeutet.Ob er auch beim Sport noch höher hinaus will, ist nicht bekannt. Mit Phosagro aber auf jeden Fall. Sein gleichnamiger Sohn, der das Unternehmen als Generaldirektor führt, während der Vater gemeinsam mit dem Ex-Chef der Londoner Börse Xavier Rolet dem Aufsichtsrat vorsitzt, will gerade in Europa den Marktanteil erhöhen. Im Gesamtjahr 2019 soll der Export nach Europa auf 2,7 Mill. Tonnen steigen, ließ der Konzern auf dem Investorentag in London Ende September wissen. Bis 2025 will man dann auf 3,1 Mill. Tonnen erhöht haben, was einer Steigerung des Marktanteils von derzeit 14 auf 22 % gleichkäme. Die gesamte Düngemittelproduktion des Konzerns soll übrigens von 9 Mill. Tonnen (Ende 2018) auf 9,4 bis 9,5 Mill. Tonnen 2019 und auf 11,7 Mill. Tonnen 2025 anschwellen. Begründete HoffnungPhosagros Hoffnung ist begründet. Die EU nämlich, die fast den gesamten phosphatbasierten Dünger importiert, hat im Mai verfügt, jene Düngemittel, die einen hohen Gehalt von Schwermetallen (Kadmium, Arsen, Blei, Quecksilber und Nickel) aufweisen, ab 2022 einzuschränken. Die Russen sehen hier einen günstigen Moment für sich gekommen, zumal die Vereinten Nationen dieses Jahr Leitlinien für eine nachhaltige Düngung (vor allem die Reduktion des Kadmiumgehalts) ausgegeben haben: Gerade afrikanische Konkurrenten – insbesondere aus Tunesien und Marokko – werden von der europäischen Neuregelung betroffen sein, da ihre Produkte mehr Kadmium enthalten.Russland hat ähnlich wie das marktstarke China, Jordanien oder Brasilien vergleichsweise “grünere”, sprich kadmiumärmere Produkte und könnte daher auch preislich von der Neuregelung profitieren. Und doch sollte man diese nicht als entscheidenden Faktor für die neue Strategie sehen, meinen Experten. Die Produktionssteigerung bis 2025 sei ohnehin geplant gewesen. Zu diesem Zweck werden bis dahin ganze 3 Mrd. Dollar investiert.Phosagro hat neben Europa, das derzeit für ein Viertel des im Vorjahr erzielten Konzernumsatzes von 233,4 Mrd. Rubel steht, auch andere Weltgegenden im Blick. Als aussichtsreicher Markt wird gerade Afrika gesehen. Derzeit hat der Markt für die russischen Düngemittelproduzenten noch keinen besonderen Stellenwert, werden dort doch nur 5 bis 6 Mill. Tonnen Mineraldünger jedes Jahr gebraucht. Phosagro beispielsweise liefert jährlich gerade mal 300 000 Tonnen in den heißen Kontinent. In den kommenden fünf Jahren freilich solle sich der Export verdoppeln oder verdreifachen. Hürden in AfrikaDas Bevölkerungswachstum spielt den Düngemittelproduzenten in die Hände. Russland will diesbezüglich gerade in Afrika nichts versäumen, weiß aber natürlich auch um die dortigen Hürden wie beispielsweise mangelnde technische Ausbildung, niedrige Zahlungsfähigkeit und starke einheimische afrikanische Konkurrenz, die Phosagro ja aus Europa vertreiben will. Was hingegen die Konkurrenz im russischen Inland betrifft, so ist diese aufgrund der großen Rohstoffressourcen prinzipiell groß. Die Nase weit vorn hat dennoch Phosagro mit 27 % Marktanteil, wie die russische Vereinigung für Düngemittelproduzenten (Rapu) auflistet.Und der Markt wird interessanter, erfährt doch die lange rückständige Landwirtschaft – unter anderem aufgrund des seit 2014 wirkenden Importembargos auf westliche Agrarprodukte – einen Entwicklungsschub. Die zuletzt signifikant höheren Produktpreise, aber auch die staatlichen Förderprogramme spülen Geld in die Kassen der Agrarkonzerne, die dieses vermehrt in die immer qualitativ höhere Düngung stecken. Im Vorjahr wurde bereits die höchste Nachfrage seit 25 Jahren verzeichnet. Gemessen am physischen Gewicht stieg die Nachfrage im ersten Halbjahr 2019 um 14,1 % auf 5,46 Mill. Tonnen. Phosagro, das 72 % seiner Produktion (neben Europa vor allem nach Lateinamerika) exportiert, hat seinen inländischen Absatz im ersten Halbjahr um 14,3 % auf 1,65 Mill. Tonnen gesteigert. Der Binnenmarkt bleibe für alle großen russischen Düngemittelkonzerne prioritär, ließ Andrej Guriew in seiner Funktion als Rapu-Präsident wissen. Höherer Cash-flowBei Phosagro werden die Investitionen bis 2025 einen jährlichen Zuwachs des Ebitda um 450 Mill. Dollar ermöglichen, hieß es in der Präsentation auf dem Investorentag. Damit würde der freie Cash-flow erhöht, an dem sich der neuen Konzernpolitik zufolge auch die Aktiendividende orientiert. Künftig wolle man über 75 % des freien Cash-flows als Dividende ausschütten, sofern das Verhältnis von Nettoverschuldung zum Ebitda weniger als 1,5 beträgt, wurde im September mitgeteilt.Bei einem Nettogewinn von 22,5 Mrd. Rubel wurde 2018 ein freier Cash-flow von 21 Mrd. Rubel generiert, das Verhältnis von Nettoverschuldung zum Ebitda betrug 1,8, wobei es im ersten Halbjahr 2019 auf 1,3 gesunken ist. 2018 hatte die Dividendenrendite 7,3 % betragen. Die neue Dividendenpolitik schaffe vor allem mehr Transparenz, meinen Analysten.Das 2020er KGV beträgt 7. Von den bei Bloomberg erfassten vier Analystenempfehlungen lauten drei auf “Kaufen” und eine auf “Halten”. Das Konsenskursziel beträgt 2916,13 Rubel. Die Aktie kostet aktuell 2 435 Rubel.