Sberbank erfreut Anleger mit hohem Gewinn
Von Eduard Steiner, MoskauEs gab eine Zeit, da hatte Russlands größte und mit ganz knapp über 50 % der Aktien mehrheitlich staatliche Bank, Sberbank, diversen Äußerungen zufolge Angst, allmählich zu einer Industrieholding zu mutieren. Als hyperdominantes Geldinstitut auf dem russischen Finanzmarkt nämlich drohte es im Zuge der Finanzkrise 2008 und 2009 auf den zahlreichen Aktiva, die die zuvor expansionswütigen Großunternehmer auf Pump erworben hatten, lange sitzen zu bleiben.Heute, ziemlich genau ein Jahrzehnt später, ist aus der Angst, sich ziemlich viel mit Geschäften außerhalb des Finanzsektors beschäftigen zu müssen, plötzlich eine Lust geworden. Nicht im Bereich der traditionellen Industrie wohlgemerkt. Umso mehr aber in zukunftsträchtigen Branchen wie der künstlichen Intelligenz und vor allem der Internet-Technologie und des E-Commerce. Der letzte Coup, der am 25. Juli mitgeteilt wurde: Die Sberbank gründet gemeinsam mit der landesweit größten Internet-Investitionsholding, Mail.ru Group, ein Joint Venture, das zur größten Internetplattform für Essen und Essenszustellung werden soll. Das verbindliche Abkommen dazu soll im Herbst unterzeichnet werden. Geplant sind ab nächstem Jahr Investitionen von bis zu 64 Mrd. Rubel (872 Mill. Euro). Mail.ru bringt den Essenszusteller Delivery Club und einen Teil des Taxibestellservice Citymobile ins Gemeinschaftsunternehmen ein. Die Sberbank ihrerseits etwa 38 Mrd. Rubel und die Restaurant-Dienstleistungsplattform Foodplex.Letztere hat der staatliche Koloss im Vorjahr gemeinsam mit der zweiten großen Internetholding Rambler Group gegründet. Im Herbst nun wird die Sberbank überhaupt 46,5 % von allen Online-Geschäften der Rambler Group, die ihrerseits gerade mit der chinesischen Alibaba über ein Gemeinschaftsunternehmen verhandelt, übernehmen. Goldene Yandex-AktieDamit nicht genug, hält die Sberbank seit zehn Jahren die Goldene Aktie der größten russischen Internet-Suchmaschine Yandex, mit der sie in vielen Spezialservices kooperiert. Und Sberbank-Chef German Gref sitzt seit 2014 im Aufsichtsrat von Yandex.Analysten meinen, dass die Expansion der Sberbank über Yandex hinaus auch damit zu tun hat, dass es zwischen der Bank und Yandex Ungereimtheiten gibt. Faktum ist aber auch, dass die Sberbank ein starker Player im gesamten Sektor (aktuell tastet sie sich sogar in Musikstreaming-Dienste vor) werden will und ihre Tätigkeit nicht auf die eines Investitionsfonds beschränkt sieht. Davon zeugen auch die eigenen technologischen Projekte, etwa im Bereich der künstlichen Intelligenz – allesamt Steckenpferde des politisch liberalen Ex-Wirtschaftsministers und Konzernchefs Gref. Hauptziel der Unternehmensstrategie bis 2020 ist, die Konkurrenzfähigkeit mit den globalen Tech-Konzernen zu sichern und gleichzeitig die beste Privat- und Geschäftsbank zu bleiben.Das Kerngeschäft des Geldinstituts, dessen staatliche Anteile in den Händen der russischen Zentralbank liegen, bleiben freilich die Finanzen. Dies umso mehr, als die dominante Marktstellung in den vergangenen Jahren, in denen der zersplitterte Sektor von der Zentralbank durchforstet und – auch angesichts der Wirtschaftskrise – konsolidiert wurde, nur noch weiter gewachsen ist. In der zunehmend staatlichen Finanzbranche gibt die Sberbank den Takt bei Veränderungen der Einlagen- und Kreditzinsen vor. Gegenwärtig unterhält das Geldinstitut mit 260 000 Mitarbeitern über 14 000 Filialen.Gewiss, die wirtschaftliche Talsohle von 2014 bis 2016 (2015 fiel die russische Wirtschaft überhaupt in eine Rezession) machte auch vor der Sberbank nicht halt. Im Unterschied zu fast allen Geldinstituten des Landes aber schrieb sie immer Gewinne – in den vergangenen paar Jahren sogar in immer neuer Rekordhöhe. Die Agentur Moody’s hat ihr zudem in einer Analyse aktuell bescheinigt, dass sie die rentabelste unter allen staatlichen Banken in den BRICS-Ländern ist (Gesamtkapitalrendite 2018: 2,9 %). Allerdings sei der Anteil der Problemkredite (8,1 % des gesamten Kreditportfolios) vergleichsweise hoch, und die schwache Wirtschaft im Land drücke auf das Geschäft.Nachdem der Gewinn der Sberbank im Vorjahr um 11,1 % auf 831,7 Mrd. Rubel gestiegen war, kletterte er im ersten Halbjahr 2019 um 11,6 % auf 476,9 Mrd. Rubel. Im zweiten Quartal betrug der Überschuss 250,3 Mrd. Rubel, was einer Steigerung um 16,3 % im Jahresvergleich entspricht. Die Bank erklärt die Steigerung vor allem mit einer “dynamischen Entwicklung des Retailgeschäfts und einem Fokus auf die Kreditsteigerung im Segment Klein- und Mittelbetriebe”. Tatsächlich wuchs das Retailgeschäft im ersten Halbjahr um 7,8 % auf 7,3 Bill. Rubel, womit dieses Segment nun 35 % im Kreditportfolio einnimmt, während es zu Jahresbeginn 32 % gewesen sind. Demgegenüber war beim Geschäft mit Unternehmerkrediten ein Rückgang um 6,9 % auf 13,3 Bill. Rubel zu verzeichnen.Russland erlebt seit einiger Zeit einen Boom bei Privatkrediten, was allerdings angesichts rückläufiger Reallöhne inzwischen zunehmend als Gefahr betrachtet wird. Befeuert wird dies aktuell allerdings auch durch die Zentralbank, die eine weitere Senkung auf einer der nächsten Sitzungen nicht ausgeschlossen hat. RestrukturierungDie Sberbank verdankt ihren hohen Gewinn auch der Restrukturierung und Rücklagenbildung beim hoch verschuldeten kroatischen Handelskonzern Agrokor, an dem das Geldinstitut beteiligt ist. Agrokor war freilich nicht das einzige Problem, das die Sberbank im Ausland hatte. Das andere sind die westlichen Sanktionen, die laut Gref dazu geführt haben, dass die Bank von ihrer Türkei-Tochter Denizbank weder Dividenden beziehen noch sie finanzieren konnte. Das hat dann auch zur Folge gehabt, dass diese eigentlich sehr erfolgreiche Auslandsbeteiligung im Juli abgestoßen wurde. Die Russen hatten die Bank 2012 von der belgischen Dexia gekauft.Die Aktie, die seit Jahresbeginn 19 % zugelegt hat, notiert aktuell bei 222 Rubel. Das KGV beträgt 5,4. Die Dividendenrendite liegt bei 7,2 %. Von den 18 bei Bloomberg aufgeführten Voten lauten 15 auf Kaufen und drei auf Halten. Das Konsenskursziel beträgt 327,15 Rubel.