Schlägt nun die Stunde der Nebenwerte?
Aktienmärkte
Schlägt nun die
Stunde der Nebenwerte?
Berenberg AM sieht Chancen für "Hidden Champions"
Von Tobias Möllers, Frankfurt
Die bisherige Jahresbilanz des MDax ist ernüchternd. Zwar hat auch der Dax nach seinem Allzeithoch von Ende Juli bei 16.528 Zählern in den vergangenen Monaten deutlich Federn gelassen, auf Jahressicht steht aber immer noch ein sattes Plus von 8% unter dem Strich. Ganz anders der MDax der mittelgroßen Werte, der alle zwischenzeitlichen Gewinne wieder abgegeben hat und inzwischen bei 25.260 Punkten notiert und damit knapp 200 Zähler niedriger als noch zu Jahresbeginn.
Dabei wurden die Nebenwerte nicht nur zuletzt hart abgestraft, 2022 verzeichneten sie sogar den stärksten Kurseinbruch seit Jahrzehnten. Sein Allzeithoch verzeichnete der Index Ende 2021 bei 36.428 Punkten. „In den letzten zwei Jahren haben wir den stärksten Drawdown von Small Caps gegenüber Large Caps in Europa seit Jahrzehnten erlebt – sogar stärker als während der Finanzkrise“, konstatiert Peter Kraus, Leiter des Bereichs Small-Cap-Aktien bei Berenberg Wealth und Asset Management.
Für Kraus dennoch kein Grund zur Resignation: „Die Bewertung europäischer Nebenwerte befindet sich inzwischen nahe dem 10-Jahres-Tief sowohl im Vergleich zu ihrer eigenen Historie als auch im Vergleich zu Large Caps. Für langfristig orientierte Investoren könnten sich so Chancen ergeben.“ Laut Kraus sei das rezessive Umfeld bereits eingepreist, Analysten sehen eine sich abzeichnende Bodenbildung.
„Wir sind in einem rezessiven Umfeld, keine Frage. Aber keine Rezession wurde von Markteilnehmern so lange erwartet und thematisiert wie diese. In dieser Zeit wurde bereits viel Negativität eingepreist, so dass weitere böse Überraschungen zwar nicht ausgeschlossen werden können, aber wenig wahrscheinlich sind“, sagt Kraus. Auch würden Frühindikatoren wie der Citi US Economic Surprise-Index darauf hindeuten, dass sich die Konjunktur wieder verbessert, nachdem auch das produzierende Gewerbe bereits den Tiefpunkt erreicht haben könnte.
In den USA sieht der Berenberg-Manager sogar schon wieder Hoffnungen auf ein Goldilocks-Szenario, in dem die Konjunktur zwar abkühlt, die Wirtschaft aber eine schwere Rezession vermeiden kann, aufkeimen. Wenn die Inflationsraten absinken, könnten auch die Notenbanken wieder anfangen, die Zinsen zu lockern. „So weit sind wir sicherlich noch nicht, aber es spricht vieles dafür, dass wir die dunkelsten Stunden gesehen haben, bevor die Sonne aufgeht“, glaubt Kraus.
Schlägt nun also die Stunde der Nebenwerte? Zumindest sei der konjunkturelle Sonnenaufgang oft ein Treiber für Unternehmen aus der zweiten Reihe. Zudem ist Kraus überzeugt, „dass der langfristige Trend, den wir bei den Nebenwerten seit Jahrzehnten gesehen haben, ungebrochen ist“. Angesichts der weiter hohen Leitzinsen schränkt der Berenberg-Manager allerdings ein, dass die Nettoverschuldung ein wichtiges Kriterium von Unternehmen bleibe, hoch verschuldetet Unternehmen hätten ein Problem.
Berenberg setzt auf Qualitätsunternehmen mit hohen Kapitalrenditen und starken Bilanzen, die von strukturellen Wachstumstrends profitieren. „Solchen Unternehmen dürfte es leichter fallen, die Erträge und den Cashflow pro Aktie stärker als der Markt zu steigern, wenn sich die Anzeichen der Erholung verdichten“, so Kraus. Für die Berenberg European Small und Micro Cap Fonds bevorzuge sein Team generell inhabergeführte Unternehmen, die Verschuldung und damit verbundene Abhängigkeiten von Fremdkapitalgebern traditionell vermeiden.
2G Energy gut positioniert
Konkret setzt Berenberg aktuell unter anderem auf Titel aus der Halbleiter-Industrie wie die schweizerische Inficon oder die italienische Technoprobe. Diese Unternehmen würden das Anforderungsprofil mit Blick auf eine internationale Vorreiterrolle und starke Margen, die es ermöglichen, inflationsgetriebene Preissteigerungen abzufedern, erfüllen. Das sind für Kraus die Unternehmen der Zukunft. Hierzulande sei 2G Energy als Marktführer in der Produktion hocheffizienter und flexibler Blockheizkraftwerke, die sowohl Strom als auch Wärme produzieren, interessant. Das Unternehmen sei gut positioniert für die Energiewende.
Grundsätzlich sei das Problem bei den „Stars aus der zweiten und dritten Reihe“, dass sie häufig übersehen würden, obwohl diese „Hidden champions“ in ihren Marktnischen nicht selten globale Marktführer seien. „Mit ihrer Innovationskraft profitieren sie von der Digitalisierung, von Veränderungen im Gesundheitswesen oder nachhaltigen Technologien, was nicht selten mit Wachstumsraten von 20, 30 oder 40% einher gehen kann“, so Berenberg-Mann Kraus.