GELD ODER BRIEF

Swatch Group gerät ins Hintertreffen

Von Daniel Zulauf, Zürich Börsen-Zeitung, 11.10.2019 Hinter dem Namen Swatch Group steht einer der spektakulärsten Erfolge in der jüngeren Schweizer Industriegeschichte. 36 Jahre nach ihrer Lancierung erhält nun auch die legendäre Swatch ihren...

Swatch Group gerät ins Hintertreffen

Von Daniel Zulauf, ZürichHinter dem Namen Swatch Group steht einer der spektakulärsten Erfolge in der jüngeren Schweizer Industriegeschichte. 36 Jahre nach ihrer Lancierung erhält nun auch die legendäre Swatch ihren eigenen Hauptsitz im Multimarken-Konzern. Eine ultramoderne Holzkonstruktion des japanischen Stararchitekten Shigeru Ban macht die Schweizer Uhrenkapitale Biel zu einem neuen Ausflugsziel für Architekturliebhaber. Die Swatch sei nach wie vor die wichtigste Marke des Unternehmens, sagte Swatch- Group-CEO Nick Hayek. Ohne sie gäbe es die gesamte Schweizer Uhrenindustrie nicht mehr – jedenfalls nicht in ihrer jetzigen Form.Allerdings hat die bunte Modeuhr ihren Zenit längst überschritten. Inzwischen lebt der Konzern hauptsächlich von seinem breiten Sortiment an Luxusuhren. Dazu gehören Marken wie Breguet, Blancpain, Glashütte Original und natürlich Omega.Dass die Swatch trotzdem noch ein 220-Millionen-Franken teures Denkmal erhält, hat einen Grund: Ihre Lancierung brachte den Schweizer Uhrenherstellern die industrielle Masse zurück, die nötig war, um die in den 1980er Jahren stark aufgekommene Konkurrenz billiger japanischer Quarzuhren zurückzudrängen.Auf dieses Fundament baut der Konzern bis heute. Er setzt auf seine industriellen Stärken als größter Hersteller von Schweizer Uhren. Durch die Fusion der beiden Uhrengruppen SSIH und Asuag erlangte Swatch Group 1983 das Monopol auf die Fertigung mechanischer Uhrwerke.Mit der Renaissance der mechanischen Zeitmesser und der stark gestiegenen Nachfrage nach Luxusmarken seit den 1990er Jahren wurde die Verwaltung dieses Monopols zu einem zentralen strategischen Element des Konzerns. Doch inzwischen haben die Mitbewerber eigene Herstellungskapazitäten aufgebaut, und es sieht nicht danach aus, dass die Bieler in der Zukunft noch eine Monopolrente einfahren können. Verlust an BedeutungEher ist das Gegenteil der Fall. Jules Boudrand vom Wirtschaftsprüfer Deloitte stellt fest, dass das Label Swiss Made im Einsteigersegment der Quarzuhren zunehmend an Bedeutung verliert. Verantwortlich dafür sind die veränderten Präferenzen der Konsumenten. Sie messen dem Design und den Funktionalitäten der Uhren in diesem Segment eine größere Bedeutung zu als dem Etikett “Made in Switzerland”. Nutznießer sind trendige Modelabels, aber auch die neuen Anbieter von Smartwatches wie Apple oder Samsung.Unbesehen davon scheinen sich die Spielregeln im internationalen Luxusgütermarkt in den vergangenen 15 Jahren gründlich verändert zu haben. Als Aufsteiger präsentieren sich die beiden breit diversifizierten französischen Konzerne LVMH und Kering. LVMH und Kering haben sich über den Erwerb von Markenfirmen mit klingenden Namen großgekauft und sich dabei auch einige traditionsreiche Schweizer Uhrenmarken angelacht. Auch der Genfer Richemont-Konzern mauserte sich nach dem Erwerb des Pariser Juweliers Cartier (1988) z. B. durch die Übernahme eines Tabakkonzerns zum diversifizierten Luxusgüteranbieter. Mit seinem Portefeuille an renommierten Uhrenmarken (A. Lange & Söhne, Vacheron Constantin, Jaeger-LeCoultre, Panerai, Piaget, IWC, Baume & Mercier) ist Richemont inzwischen der härteste Konkurrent.Das aggressive Akquisitionsverhalten hat sich für die Newcomer im Uhrengeschäft prächtig ausbezahlt. In puncto Börsenwert standen Kering, Richemont und Swatch Group 2003 noch mehr oder weniger am gleichen Punkt. Fünfzehn Jahre später liegt Swatch Group mit einem Börsenwert von aktuell 13 Mrd. sfr drei Längen hinter Richemont und fünf Längen hinter Kering zurück. LVMH liegt mit einer Marktkapitalisierung von 187 Mrd. Euro uneinholbar weit voraus.Noch offenkundiger wird die Schere zwischen Swatch Group und ihren Mitbewerbern, wenn man den Börsenwert ins Verhältnis zum Umsatz setzt. Zwar hat Swatch Group die Verkäufe seit 2003 auf aktuell 8,5 Mrd. sfr mehr als verdoppelt. Doch der Börsenwert ist nur unterproportional gestiegen. Der Konkurrenz gelang eine deutliche Bewertungsexpansion.Grund für diese Verschiebungen sind die Gewinnmargen. Während LVMH und Kering ihre Eigenkapitalrendite seit 2003 auf 19 % verdoppelt bzw. auf 25 % vervierfacht haben, hat sie sich bei der Swatch Group (und auch bei Richemont) im Verlauf der vergangenen zehn Jahre auf 7,6 % bzw. 8,2 % halbiert.Für Luca Solca vom amerikanischen Vermögensverwalter Sanford Bernstein gründet das Streben nach Größe im Luxusgütermarkt auf einer zwingenden Logik. Er sieht bedeutende Skaleneffekte auf mehreren Ebenen. “Ein Luxushaus, das sich in alle Richtungen ausdehnt, kann die Beziehung zum Kunden besser valorisieren als ein Anbieter mit einem engen Sortiment”, sagt er. Für Solca wären Fusionen deshalb eine strategische Konsequenz.Derweil sieht sich Swatch Group mit dem Problem einer ungenügenden Preisdisziplin im Vertriebsnetz konfrontiert. “Ihre Ladenformate wie Tourbillon oder Hour Passion funktionieren nicht wirklich gut”, weiß Luca Solca. Swatch Group bleibt auf die unabhängigen Multimarkenhändler angewiesen und kann deren Preispolitik nicht direkt kontrollieren. Solca sagt, er sehe online Angebote für Luxusuhren, die 20 bis 25 % unter dem offiziellen Listenpreis lägen. Die Käufer würden so zur Schnäppchenjagd erzogen. Zahlreiche ÜbernahmenIn der nächsten Rezession werde man ziemlich viele Übernahmen und Fusionen sehen, und die größten Konzerne würden aus diesem Prozess als Gewinner hervorgehen, prophezeit der erfahrene Branchenkenner. Swatch Group werde zunächst versuchen, sich nach den bewährten Prinzipien selbst zu helfen. Ziehe die Nachfrage nicht an, werde der Konzern früher oder später die Kapazitäten reduzieren und so die Kosten senken. “Bis jetzt habe ich keine Anzeichen dafür gesehen, dass das Unternehmen eine strategische Änderung vollziehen will. Aber ich bin mir sicher, dass man an solchen Ideen arbeitet.” Das Kurs-Gewinn-Verhältnis der Swatch-Group-Aktien bewegt sich derzeit deutlich unter dem mehrjährigen Mittelwert von 17. Dahinter könnte sich mehr verbergen als nur eine zyklische Delle. Der Markt scheint bei Swatch Group eine Neubewertung vorzunehmen.