Takeda geht mit Shire ins Schuldenrisiko
Von Martin Fritz, TokioDie Stunde der Wahrheit für den japanischen Pharma-Branchenprimus Takeda und seinen französischen Chef Christophe Weber schlägt in einer Woche: Am 19. Oktober stimmt eine außerordentliche Hauptversammlung über die notwendigen Maßnahmen für die Übernahme des irischen Pharmaherstellers Shire ab. Dazu gehört vor allem die Ausgabe neuer Aktien für rund 3,6 Bill. Yen (27,7 Mrd. Euro). Dies ist für die Aktionäre besonders schmerzhaft, da es einer Verwässerung ihrer Anteile um die Hälfte entspricht. Trotzdem erwarten Analysten, dass die notwendige Zweidrittelmehrheit zustande kommt. Bisher leisteten nur ein paar japanische Altaktionäre mit 1 % der Anteile öffentlichen Widerstand. Auch einer der größten zehn Aktionäre meldete in der “Sunday Times” Zweifel an, aber blieb anonym.Die Anleger tun sich schwer mit diesem Deal: Zunächst senkten sie bei Takeda ihren Daumen, aber kauften über den Sommer wieder zu. Doch als der Konzern am 28.9. das Aktionärstreffen ankündigte, kam es zu Gewinnmitnahmen. Seit ihrem Jahrestief vom 19.6. hatte die Aktie nämlich mehr als 10 % zugelegt. Das war wohl zu verlockend. Zugleich wird der unerwartet frühe HV-Termin als Zeichen für das große Selbstvertrauen von Takeda verstanden, dass die Übernahme gelingt. Bis dahin ging man davon aus, dass das Treffen erst nach allen kartellrechtlichen Prüfungen stattfinden würde. Aber Japan und die EU untersuchen den Deal noch. Immerhin haben die Aufsichtsgremien in den USA und China bereits grünes Licht gegeben. Kurs gibt nachAllerdings hat der Takeda-Kurs bis heute nicht mehr das Niveau von Ende März vor der Bekanntgabe der Übernahmepläne erreicht. Danach ging es bis zum Tiefpunkt fast 20 % abwärts, bevor der Deal am 8. Mai zustande kam. Auf dieses Niveau sind die Titel nun zurückgefallen. Das schwache Abschneiden spiegelt die Unsicherheit der Anleger wider, ob der Shire-Deal tatsächlich den Unternehmenswert erhöhen wird. Die Shire-Anteile legten seit dem Abschluss immerhin um weitere 15 % zu. Doch nach der HV-Ankündigung wurden auch bei Shire Gewinne mitgenommen. Die Titel standen am Mittwoch bei 43,54 Pfund, waren aber rechnerisch 47,87 Pfund wert. Dieser Preis ergibt sich unter Berücksichtigung der Aktien- und Wechselkurse vom Donnerstag aus dem Takeda-Angebot, wonach Shire-Aktionäre jeweils 30,33 Dollar in bar und 0,839 neue Takeda-Papiere (bzw. 1,678 Takeda-ADS) je Aktie erhalten. Doch die Shire-Aktie blieb stets unter dem rechnerischen Wert.Die Hauptursache für die Zurückhaltung ist die hohe Verschuldung. Unterm Strich zahlt Takeda nämlich rund 70 Mrd. Euro für Shire, weil die Iren durch eigene Zukäufe selbst hohe Verbindlichkeiten schultern. In den fünf Jahren unter CEO Flemming Ornskov ist Shire rapide gewachsen – die Umsätze um den Faktor 3, die Zahl der Produkte um den Faktor 10 und die Zahl der Mitarbeiter um fast das Fünffache. Der Zukauf von Baxalta für 32 Mrd. Dollar im Jahr 2014 belastet die Bilanz bis heute, auch wenn die Nettoverschuldungsquote aus Ebitda-Ergebnis und zinspflichtigen Verbindlichkeiten seitdem von 4,5 auf 3 gesunken ist. Doch Ende 2017 schulterte Shire noch Langzeitschulden von 16,7 Mrd. Pfund (19 Mrd. Euro). Der Abbau geht zudem künftig langsamer voran. Im Januar senkte Shire das Umsatzziel für 2020 auf 17 bis 18 Mrd. Dollar. 2017 waren es 14,4 Mrd. Dollar (+8,8 %). Brückenkredit von BankenAuch Takeda steckt schon im Schuldensumpf. Zu Ende März standen 986 Mrd. Yen (7,6 Mrd. Euro) an Krediten und Anleihen in der Bilanz. Dazu kommt nun ein Brückenkredit für 31 Mrd. Dollar von SMFG, MUFG und J.P. Morgan für den Baranteil des Shire-Deals und die Schulden der Iren. Nach Analystenschätzungen läuft dies auf eine Nettoverschuldung des vierfachen Ebitdas hinaus. Takeda-Chef Weber will diesen Wert mittelfristig auf das Zweifache senken. Die meisten Mittel dürften dabei von Shire kommen. 2017 erzielten die Iren unterm Strich einen Gewinn von 4,3 Mrd. Dollar und kamen auf netto 28 % bzw. operativ 43 % Marge. Takeda schaffte bei einem Nettogewinn von 186,7 Mrd. Yen (1,4 Mrd. Euro) eine Marge von netto 10,5 % und operativ von 13,7 %. Bei ähnlich hohen Umsätzen ist klar, dass Shire mehr für den Schuldenabbau leisten wird.Dazu kommen Einsparungen von 1,4 Mrd. Dollar nach drei Jahren vor allem durch die Zusammenlegung von Forschungseinrichtungen. Außerdem erwägt Takeda einen Teilverkauf von Shire-Aktivitäten. Die Augengesundheitsmittel und ein Mittel für die Beseitigung von Kalziummangel könnten zusammen 4 bis 5 Mrd. Dollar einbringen. Dies würde jedoch erst nach dem Vollzog der Übernahme stattfinden, die Takeda für das erste Halbjahr 2019 erwartet. Weber will die bisherige Investment-Grade-Bonität von Takeda behalten. Doch die Ratingagentur Moody’s warnte schon vor einer mehrfachen Herunterstufung als Folge des Deals.Aus Sicht von Takeda gibt es zu dem teuren Zukauf wenig Alternativen. Das 237 Jahre alte Unternehmen muss seinem Heimatmarkt entfliehen, weil der Staat die Arzneimittelpreise drückt und die Bevölkerung schrumpft. Zum Ausgleich müssen Japans Pharmahersteller im Ausland Umsatz und neue Medikamente erwerben. Weber setzt dabei auf seltene Krankheiten und die USA, wo jeweils weniger Preisdruck herrscht. Das Shire-Portfolio aus teuren Arzneien für wenige Patienten erfüllt diesen Anspruch. Zugleich steigt der US-Anteil am Takeda-Umsatz von einem Drittel auf die Hälfte, während der Japan-Anteil von 34 % auf 19 % fällt. ErgebnisrückgangDas Ergebnis des ersten Quartals bei Takeda unterstrich die Notwendigkeit dieser Strategie: Der Nettoertrag sackte 46 % zum Vorjahr auf 78,2 Mrd. Yen, während der Umsatz auf 449,8 Mrd. Yen stagnierte. Grund ist der Verlust des Patentschutzes des Bestseller Velcade. Dessen Weltumsatz soll 2018 um 42 % fallen. Angesichts dieser Aussichten sollte es sich für Takeda lohnen, mit Hilfe von Shire zum achtgrößten Pharmahersteller der Welt aufzusteigen. Laut Reuters bewerten vier Analysten die Takeda-Titel als Kauf, fünf als “Outperform” und ein Analyst mit “Halten”.