GELD ODER BRIEF

Tesla polarisiert die Analysten

Von Alex Wehnert, Frankfurt Börsen-Zeitung, 18.12.2020 Nur wenige Einzelwerte haben im Jahr 2020 an den internationalen Börsen so für Furore gesorgt wie die Aktie des Elektroautobauers Tesla. Zwischen Anfang Januar und gestern Abend hat der Titel...

Tesla polarisiert die Analysten

Von Alex Wehnert, FrankfurtNur wenige Einzelwerte haben im Jahr 2020 an den internationalen Börsen so für Furore gesorgt wie die Aktie des Elektroautobauers Tesla. Zwischen Anfang Januar und gestern Abend hat der Titel 664 % an Wert gewonnen, die Marktkapitalisierung beläuft sich auf 590,32 Mrd. Dollar. Alle anderen Autohersteller hat Tesla damit längst weit hinter sich gelassen, an der Börse ist das vom exzentrischen Milliardär Elon Musk geleitete Unternehmen zwischenzeitlich mehr wert gewesen als Volkswagen, Daimler, BMW, Toyota, General Motors und Ford zusammen.Nun steht der nächste Meilenstein für den Titel, der durch einen Aktiensplit im August an Investierbarkeit gewonnen hat, kurz bevor: Mit Handelsbeginn am 21. Dezember ist Tesla offiziell Bestandteil des US-Benchmarkindex S&P 500 – und wird dort gleich zu den Schwergewichten zählen. Die prestigeträchtige Indexaufnahme könnte für den Elektroautobauer kurzfristig einen weiteren Kursschub bedeuten, schließlich müssen Anbieter von indexreplizierenden Produkten die Aktie kaufen. Dies stellt für diese Dienstleister eine Herausforderung dar, zumal sie in anderen Titeln Verkäufe tätigen müssen, um die neue Struktur des S&P 500 abzubilden. Deswegen hatte S&P Dow Jones Indices in einem Marktkonsultationsverfahren zur Diskussion gestellt, ob Tesla in zwei Tranchen aufgenommen würde – schließlich entschied sich der Indexbetreiber dagegen.Auf die nun anstehenden unfreiwilligen und großvolumigen Käufe könnten aber kurzfristige Rücksetzer folgen – zumindest legt der historische Vergleich mit einem anderen Wachstumswert dies nahe. Nach der Aufnahme von Facebook in den S&P 500 im Dezember 2013 stieg die Aktie bis Anfang März 2014 kräftig, sackte in der Folge aber bis Anfang April um fast 20 % ab. Und laut einer Studie der Smart-Beta-Analysten von Research Affiliates haben Aktien von Unternehmen, die bei ihrem Eintritt in den Index gleich zu den größten 100 Werten gehörten, in den vergangenen 31 Jahren über die zwölf Monate nach der Aufnahme durchschnittlich 7 % an Wert verloren. Volatilität zieht Index mitAngesichts der vergleichsweise hohen Volatilität der Tesla-Aktie erscheinen solche Rückschläge durchaus möglich. Laut der britischen Großbank Barclays war die Dreimonatsvolatilität der Tesla-Aktie dreimal höher als jene des gesamten S&P 500. Nach der Aufnahme des schwergewichtigen Elektroautowertes werde die realisierte Dreimonatsvolatilität des gesamten Index nach Berechnungen der Analysten um 20 Basispunkte steigen.Die Volatilität erscheint unstrittig, bezüglich der weiteren Performance von Tesla sind die Einschätzungen aber stark gespalten: Nach Daten des Informationsdienstleisters Bloomberg empfehlen derzeit nur 30,8 % der Analysten den Titel zum Kauf, 35,9 % setzen ihn auf “Halten” und 33,3 % raten zum Verkauf. Das durchschnittliche Kursziel von 373,72 Dollar liegt weit unter dem gestern Abend erreichten Niveau von 637,60 Dollar.Bei dem E-Auto-Bauer zeigt sich allerdings bereits seit geraumer Zeit das Phänomen, dass Analysten mit ihrer Einschätzung überhaupt nicht mehr hinterherkommen. Selbst Häuser, die eine Kaufempfehlung aussprechen, setzen das Kursziel häufig unterhalb des aktuellen Niveaus an – weil sie es nicht so schnell anpassen können, wie die Aktie steigt. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis für Ende 2021 liegt bei fast 168. Von der fundamentalen Geschäftssituation werden Tesla an der Börse aber ohnehin schon lange nicht mehr angetrieben.Zwar hat Tesla inzwischen fünf Quartale in Folge mit Gewinn abgeschlossen, zudem ist das Unternehmen Pionier in seiner Sparte und besitzt gegenüber Wettbewerbern einen technologischen Vorsprung. Für Autoriesen wie Volkswagen setzt Tesla die Messlatte, die es bei der Entwicklung batteriebetriebener Fahrzeuge zu schlagen gilt. Was die Anzahl der produzierten Fahrzeuge betrifft, ist das Musk-Unternehmen aber weiterhin ein Zwerg. Das zunächst als ambitioniert wahrgenommene Ziel von 500 000 ausgelieferten Fahrzeugen im laufenden Jahr könnte Tesla laut Analysten aufgrund einer robusten Nachfrage aus China tatsächlich noch übertreffen. Konkurrent Toyota stellt jährlich dagegen ungefähr zehn Millionen Autos her. Zudem kurbeln die großen Hersteller ihre Investitionen in batteriebetriebene Fahrzeuge kräftig an. Erst am Mittwoch machten Berichte die Runde, laut denen Volkswagen die Entwicklung und Produktion eines eigenen Elektromodells für das Stammwerk in Wolfsburg deutlich früher vorantreibt als zunächst geplant. Dabei verfolgt der Konzern angeblich auch das Ziel, die Produktionszeit je Auto auf 10 Stunden zu reduzieren – für das im sächsischen Zwickau hergestellte E-Auto ID3 liegt sie bei etwa 20 Stunden. Auch Tesla verfolgt eine derartige Reduktion der Fertigungsdauer und damit verbundene Effizienzgewinne. Allerdings rechnen Analysten wie Jürgen Pieper, Autoexperte beim Bankhaus Metzler, damit, dass Volkswagen Tesla mit seinen neuen Modellen bereits in wenigen Jahren als Weltmarktführer in Sachen E-Mobilität ablösen wird.Auch General Motors kündigte im November eine Elektro-Offensive an, die Bandbreite soll bis 2025 auf 30 Modelle wachsen. Dazu sollen verbesserte Ultium-Batterien, die eine Laufzeitverlängerung um mehr als 10 % ermöglichen sollen, und neue Fertigungsstätten beitragen. “Dieser zusätzliche Wettbewerb könnte den steilen Absatzanstieg bremsen, den Tesla benötigt, um ihre Bewertung zu rechtfertigen”, kommentieren die Analysten der US-Investmentbank Needham. Sie setzen den Titel daher auf “Underperform”, formulieren dabei aber kein Kursziel.Allerdings verfolgt auch Tesla weiterhin ambitionierte Expansionspläne, in Texas wird gerade ein neues Werk errichtet und in Grünheide bei Berlin entsteht die erste europäische Fertigung des Unternehmens. Um die Wachstumspläne zu finanzieren, hat Tesla Anfang Dezember die dritte Kapitalerhöhung im laufenden Jahr angekündigt. Diese soll bis zu 5 Mrd. Dollar in die Kassen spülen, die Liquiditätsreserve könnte damit auf knapp 20 Mrd. Dollar wachsen.Tesla-Chef Elon Musk dürfte jedenfalls hoch motiviert sein, das Beste aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu machen. Denn sein eigenes Vermögen ist durch einen ausgeklügelten Vergütungsplan eng mit der Entwicklung des Geschäfts und der Tesla-Aktie verbunden.