GELD ODER BRIEF

Twitter-Aktie bietet nur verhaltene Perspektiven

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt Börsen-Zeitung, 12.6.2020 Der US-Kurznachrichtendienst Twitter ist aus dem politischen Diskurs in den USA und der Welt nicht mehr wegzudenken. Das an der New York Stock Exchange und nicht an der Technologiebörse...

Twitter-Aktie bietet nur verhaltene Perspektiven

Von Dieter Kuckelkorn, FrankfurtDer US-Kurznachrichtendienst Twitter ist aus dem politischen Diskurs in den USA und der Welt nicht mehr wegzudenken. Das an der New York Stock Exchange und nicht an der Technologiebörse Nasdaq notierte Unternehmen basiert auf der Geschäftsidee, dass es weltweit keinen Zusammenhang gibt, der sich nicht in 140 Buchstaben zusammenfassen und erklären lässt – auch wenn man sich inzwischen ausschweifender über Twitter äußern kann. Das Unternehmen hat damit entscheidend zur Polarisierung und Infantilisierung der politischen Debatte in den USA beigetragen – ein Phänomen, das sich beispielsweise US-Präsident Donald Trump zur Mobilisierung seiner Unterstützer und zur Diffamierung der politischen Gegner perfekt zunutze macht. Auf der anderen Seite hat Twitter aber auch die Demokratisierung der politischen Debatte gefördert, weil sich nicht nur der Präsident äußern, sondern auch jeder einfache US-Bürger per Twitter dagegenhalten kann.Wie viele Technologiewerte hat das 2006 gegründete Unternehmen über lange Jahre Verluste gemacht. Noch 2017 stand ein Nettoverlust von 108 Mill. Dollar zu Buche, bei Erlösen von 2,44 Mrd. Euro. Seit 2018 werden aber schwarze Zahlen geschrieben. Für 2019 waren es 1,47 Mrd. Dollar bei Erlösen von 3,46 Mrd. Dollar. Von den Erlösen her ist Twitter also ein eher kleineres Unternehmen, die Marktkapitalisierung wird allerdings mit derzeit 27,4 Mrd. Dollar schon eher dem weltweiten Bekanntheitsgrad der Gesellschaft und ihrer Marke gerecht.Die Analysten sind freilich nicht so recht von den Aussichten der Aktie überzeugt. Von den laut Bloomberg 42 Analysten, die die Aktie auf ihrem Radarschirm haben, raten 28 dazu, sie im Bestand zu halten, und fünf legen ihren Kunden gar den Verkauf nahe. Es gibt lediglich acht Kaufempfehlungen. Dies liegt am aus Analystensicht bescheidenen Kurspotenzial. Das durchschnittliche Kursziel für die Aktie liegt mit 29,30 Dollar unter dem Niveau von 33,49 Dollar, das sie gestern Abend erreichte. Die Bewertung der Aktie ist nicht wie bei vielen US-Technologie- und Social-Media-Werten in ätherische Sphären entrückt. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis auf Basis der Ergebnisse der vergangenen zwölf Monate liegt bei nicht übertriebenen 20,7, auf Basis der Analystenprognosen für die kommenden vier Quartale aber wegen eines erwarteten Ergebnisrückgangs bei sehr anspruchsvollen 87,7. Krise gut gemeistertDie Aktie von Twitter ist in den vergangenen Jahren deutlich unter Druck geraten. Notierte sie im November 2013 noch mit 69 Dollar, gab sie bis Ende April 2016 bis auf 14 Dollar nach. Die Covid-19-Krise hat der Titel aber recht gut gemeistert. Notierte er vor dem Ausbruch Mitte Februar bei etwas mehr als 39 Dollar, rutschte er auf ein Krisentief von 22 Dollar ab, hat sich inzwischen aber wieder fast auf den Stand von vor der Krise erholt. Eines wird damit aber klar: Twitter ist weder von den Ergebnissen noch von der Kursentwicklung her ein Überflieger. Am Hype der Technologieaktien – deren Leitindex Nasdaq Composite befindet sich trotz der Krise auf Rekordniveau – nimmt die Aktie nicht teil. Zudem ist die Aktie aufgrund eines Konfliktes des Unternehmens mit Trump zuletzt wieder in den Fokus gerückt. Damit fragen sich Analysten, ob es politische Risiken für das Unternehmen und damit die Aktionäre gibt. Twitter hatte es gewagt, besonders aggressive Tweets des Präsidenten auf den Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen zu überprüfen und mit einer Warnung zu versehen: Die Trump-Äußerungen würden gegen die Twitter-Regeln zur Gewaltverherrlichung verstoßen. Allerdings hat sich das Unternehmen nicht getraut, Trump zu zensieren, so wie es derzeit recht häufig ausländischen Kritikern der US-Politik widerfährt. Trump nahm die Ereignisse jedoch zum Anlass, per Präsidentenerlass die Section-230-Regelung außer Kraft zu setzen, die soziale Medien wie Twitter, Facebook und andere davor bewahrt, aufgrund der auf ihnen verbreiteten Inhalte verklagt zu werden. Da es bislang noch keine Klagen gegen Twitter gibt, ist es schwer abzuschätzen, welche Wirkung diese Veränderung der gesetzlichen Regeln entfaltet und wie hoch das politische Risiko für Twitter wird.Dabei nehmen langfristig auch andere politische Risiken zu: Je toxischer die politische Debatte in den USA wird und je mehr Zensurmaßnahmen es daher auf den amerikanischen Social Media gibt, desto stärker wird international das Bedürfnis werden, eigene nicht-amerikanische Plattformen zu gründen und auf diese auszuweichen. Auf der positiven Seite ist das jüngste Quartalsergebnis besser ausgefallen als erwartet, wobei das Unternehmen betont, dass die Zahl der aktiven Benutzer aufgrund der Coronakrise gestiegen ist, wenngleich die Erlöse krisenbedingt – Twitter verdient vor allem an Werbung – in der zweiten Märzhälfte und im April zurückgegangen seien. Aktuell sind es 166 Millionen, verglichen mit 134 Millionen im gleichen Vorjahreszeitraum. Damit wird allerdings auch deutlich, dass weltweit nur eine kleine Minderheit die Plattform häufig nutzt: Kritiker sagen oft, dass Politiker, Journalisten, Unternehmensvertreter und Aktivisten aller Art Twitter für intensive Meinungsgefechte nutzen, während der Großteil der Bevölkerung davon kaum Notiz nimmt.Letztlich sind die Aussichten für Twitter deutlich verhaltener als für andere Konzerne aus derselben Branche wie Facebook, die Google-Muttergesellschaft Alphabet und Pinterest. Während Analysten für die letztgenannten Unternehmen für das laufende Jahr Umsatzanstiege zwischen 4 und 14 % voraussagen, rechnen die Analysten bei Twitter im Schnitt mit einem Umsatzrückgang von rund 5 % auf 3,3 Mrd. Dollar. Bewertung angepasstSo merken beispielsweise die Analysten der Deutschen Bank (“Hold”) an, dass sie zwar ihre Bewertung zurück auf das Niveau von vor der Covid-19-Krise anheben, aber Probleme hätten, darüber hinaus weiteres Kurspotenzial auszumachen. Daher empfehlen sie lieber andere Aktien, die ihrer Ansicht nach Aussichten auf eine schnellere Erholung haben. Dem ist wenig hinzuzufügen. Als Investor muss man die Aktie aufgrund der verhaltenen Perspektiven nicht unbedingt im Portfolio haben.