GELD ODER BRIEF

Umbruch bei Sberbank überzeugt Analysten

Von Eduard Steiner, Moskau Börsen-Zeitung, 13.11.2020 Als die russische Sberbank, übersetzt die "Sparkasse", 1841 gegründet wurde, war der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski gerade mal 20 Jahre alt. Ob auch er sein Geld dort aufbewahrte,...

Umbruch bei Sberbank überzeugt Analysten

Von Eduard Steiner, MoskauAls die russische Sberbank, übersetzt die “Sparkasse”, 1841 gegründet wurde, war der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski gerade mal 20 Jahre alt. Ob auch er sein Geld dort aufbewahrte, so er es nicht vorher verspielt hatte, ist nicht bekannt. Umso bekannter ist dafür seine Definition der Russen, die ihm zufolge gewissermaßen a priori orthodoxe Christen sind – ob sie wollen oder nicht. Inzwischen freilich fühlt sich nur noch ein Teil der Bevölkerung der Orthodoxen Kirche zugehörig. Dagegen lässt sich heute, knapp 180 Jahre später, sagen: So gut wie jeder Russe war einmal oder ist noch bei der Sberbank. 70 % der Bevölkerung nutzen die Dienste des mit Abstand größten Geldinstituts des Landes, ja Osteuropas. 97 Millionen zählt es als aktive Privatkunden, dazu 2,6 Millionen aktiver Unternehmenskunden. Mit einem Netz von 14 200 Filialen überzieht die Bank das Land und ist darüber hinaus in 18 Ländern tätig. Über 270 000 Mitarbeiter beschäftigt sie. Bedeutung wächst rasantIn den vergangenen Jahren hat die Sberbank noch einmal rasant an Bedeutung gewonnen. Das liegt zum einen daran, dass die Zentralbank, die bis vor Kurzem die Mehrheit an der Sberbank hielt, ehe sie dem Finanzministerium übergeben wurde, ab 2013 den wildgewachsenen Bankenmarkt durchforstete und viele der anfänglich über 1 000 Geldinstitute zudrehte, was vor dem Hintergrund einer schleichenden Verstaatlichung aller Wirtschaftssektoren – und des Rückzugs ausländischer Großbanken nach der Finanzkrise – der halbstaatlichen Sberbank am meisten zugutekam. Und das liegt zum anderen daran, dass angesichts der langen Wirtschaftskrise seit der Krim-Annexion und dem Ölpreisverfall 2014 so manches Geldinstitut tatsächlich schwer ins Wanken kam.Der Bedeutungsgewinn der Sberbank liegt drittens aber auch daran, dass sie sich spätestens im Jahr 2020 neu positionierte und die wohl größte Weichenstellung ihrer Geschichte vornahm. Die Sberbank wird fortan nicht mehr nur Bank sein, sondern ein Techkonzernmulti. Ende September wurde das neue Logo präsentiert und die Bezeichnung “Bank” gestrichen, was bleibt ist “Sber”. Konzernchef Herman Gref bezeichnete das in steter Erweiterung befindliche Angebot als Ökosystem an “Online-Dienstleistungen für das alltägliche Leben und das Geschäft”, als das es beworben wird. Die Palette reicht von der Essenszustellung aus Restaurants und Geschäften über Telemedizin, Paket- und Warentransport, Taxi und Carsharing bis hin zu Immobilien- und Jobportalen, Cloud-Services, Zahlungsdienstleistung und Musik-Streaming. In den meisten Fällen beteiligt sich die “Sber” an bestehenden Diensten oder übernimmt diese einfach zur Gänze.Dass die “Sberbank” heute auf dem jungen und sehr dynamischen russischen Onlinemarkt mitmischt, setzte eine Entstaubung des Traditionsinstituts voraus. Er werde “den Elefanten zum Tanzen bringen”, hatte der heute 56-jährige Gref erklärt, nachdem er 2007 von der Spitze des Wirtschaftsministeriums in die Leitung der Sberbank gewechselt war. Mit ihrer finanziellen Potenz und dem Rückhalt des Kremls, der mit seiner notorischen Skepsis gegenüber der Privatwirtschaft seine Finger in den zukunftsträchtigen Branchen im Spiel haben möchte, positioniert sich die “Sber” vor allem als Sparringspartner von Yandex. Dieser einheimische Techmulti betreibt die landesweit größte Suchmaschine und war in zahlreichen Sparten, in die sich die “Sber” einkauft, Pionier.Die Sberbank geht davon aus, dass ihre neuen Dienstleistungen außerhalb des Finanzsektors im Gesamtjahr 70 Mrd. Rubel (775 Mill. Euro), respektive 3,4 %, zum Gesamtumsatz beitragen. Ohne sich zeitlich festzulegen, nannte der Konzern das ambitionierte Ziel eines künftigen Beitrags von 20 bis 30 %. Bis 2024 sei ein Anteil von 20 % vorstellbar, prognostiziert die UBS, die Ende Oktober die Coverage mit einer Kaufempfehlung startete. Auch der Großteil der weiteren Analysten ist übrigens optimistisch für die Aktie: Von den bei Bloomberg erfassten 18 Empfehlungen lauten 15 auf Kaufen und drei auf Halten. Das Konsenskursziel für die Aktie beträgt 283,81 Rubel (aktuell: 244,02 Rubel). Verlustreicher Verkauf2019 hat die Sberbank einen Gewinn von 845 Mrd. Rubel erzielt. Darin inkludiert ist der durch westliche Sanktionen erzwungene und verlustreiche Verkauf der erfolgreichen türkischen Denizbank. Ohne diesen Einmaleffekt belief sich der Konzerngewinn auf 914,8 Mrd. Rubel, was einem Plus von 10,1 % gegenüber 2018 entsprach.Die Coronakrise hat das Finanzergebnis im laufenden Jahr verschlechtert, wobei der Konzern in der Gewinnzone blieb. Im ersten Halbjahr betrug der Überschuss 337,53 Mrd. Rubel – ein Minus von 24% gegenüber 2019. Im dritten Quartal aber sprang er gegenüber dem Vorjahr um 74% auf 271,4 Mrd. Rubel. Die Stärke der Kredit- und Bankaktivität übertraf dabei die Erwartungen der Analysten von J.P. Morgan. Die Auszahlungen an Privatkrediten hätten im September den Rekordwert von 468 Mrd. Rubel erreicht.Der neuerliche Wirtschaftsabschwung und die ölpreisbedingte Rubelabwertung lasten freilich auf den russischen Banken. Die Nettorückstellungen für Kreditausfälle haben sich bei der Sberbank im dritten Quartal gegenüber dem Vorjahr auf 63,3 Bill. Rubel fast verdoppelt, gegenüber dem zweiten Quartal 2020 allerdings halbiert.Aus der Erfahrung der Krise von 2014/2015 ist man in Russland vorsichtiger geworden. Die Sberbank hat die harte Kernkapitalquote (CET1) seither deutlich verbessert, im dritten Quartal 2020 erreichte sie 13,4 %. Im vierten Quartal dürften sich der Markt und das Geschäft “etwas verlangsamen”, sagte Finanzvorständin Alexandra Buriko kürzlich. Laut Gref ist der Konzern dabei, den angepeilten Rekordgewinn von 1 Bill. Rubel zu verpassen. Für 2019 hat die Sberbank 50 % des Gewinns als Dividende ausgeschüttet. Diese Vorgabe der Regierung wird beibehalten, sofern die Eigenkapitalquote nicht unter 12,5 % fällt.