InterviewChristophe Nagy, Comgest

„Unternehmen, die wir mögen, würden wir gerne für immer halten“

US-Tech-Aktien waren zuletzt wieder deutlich im Aufwind. Fondsmanager Christophe Nagy erklärt, wo er noch Potenzial nach oben sieht und welche Unternehmen er für unterbewertet hält.

„Unternehmen, die wir mögen, würden wir gerne für immer halten“

IM INTERVIEW: CHRISTOPHE NAGY

„Unternehmen, die wir mögen, würden wir gerne für immer halten“

Fondsmanager von Comgest sieht Potenzial bei Tech-Aktien, aber nicht für alle Bereiche

US-Tech-Aktien waren zuletzt wieder deutlich im Aufwind. Comgest-Fondsmanager Christophe Nagy erklärt, wo er noch Potenzial nach oben sieht, welche Unternehmen er für unterbewertet hält und warum die hohen KGV amerikanischer Unternehmen gerechtfertigt sind.

Viele Analysten sehen den amerikanischen Aktienmarkt zurzeit eher kritisch. Das wackelige konjunkturelle Umfeld mit einer drohenden Rezession und die anhaltend hohe Inflation belasten die Märkte. Wie ist Ihre Einschätzung mit Blick auf den US-Markt? Wie sehen Sie den Tech-Sektor?

Man muss hier zwischen der kurzfristigen und der mittel- bis langfristigen Situation unterscheiden. Langfristig gibt es Trends, die ein Wachstum des Tech-Sektors in Höhe des 1,5 bis 2,2-Fachen des BIP-Wachstums unterstützen. Vor allem der erwartete Produktivitätszuwachs ist ein wesentlicher Grund dafür, warum sich mehr IT-Ausgaben von IT-Dienstleistungen in Richtung Software und Halbleiter bewegen. Annahmen zufolge kann der Tech-Sektor in einem normalisierten Umfeld um 7 bis 8% wachsen. Kurzfristig ist die Situation anders. In diesem Jahr erwartet der Markt für den Sektor kein Wachstum bei den Erträgen und einen Rückgang der Erträge in der ersten Jahreshälfte. Ein großer Teil davon ist auf einen Rückgang durch Bestandskorrekturen bei Halbleitern zurückzuführen. Software könnte dieses Jahr um 12% wachsen. Einige andere Bereiche dürften dieses Jahr um 6% zurückgehen. Kommunikationsdienste wie Alphabet oder Meta stehen im Moment unter Druck. Ich gehe davon aus, dass dieser Bereich zurückgehen wird. Es gibt also zwei Extreme im Technologiesektor.

Der Nasdaq 100 ließ zuletzt andere Börsenbarometer weit hinter sich – die Bewertungen kletterten auf mehrmonatige Hochs. Gibt es fundamentale Gründe für diesen Aufschwung?

Die Margen im Technologiebereich fielen bislang um 0,5% höher aus als erwartet. Erwartet worden war eigentlich ein Umsatzrückgang um 3% sowie ein Rückgang bei Margen und Gewinnen von 12%. Das erklärt, warum der Sektor aktuell so stark ist. Hinzu kommt, dass der Technologiebereich von den Erwartungen beim Thema künstliche Intelligenz angetrieben wird. Mit Blick auf Ausgaben für Rechenzentren und Halbleiter fragen sich nun viele, welche zusätzlichen Einnahmen daraus für Unternehmen wie Microsoft, Nvidia, Google und in geringerem Maße auch Amazon entstehen. Das sind sehr große Werte und die haben den Markt angetrieben.

Welche Unternehmen gehören für Sie denn neben Microsoft zu den Profiteuren des KI-Aufschwungs?

Der Nutzen wird sich auf viele Unternehmen verteilen, etwa auf Softwareanbieter. Intuit bietet mit Turbo Tax in den USA eine Software für Steuererklärungen für Privatpersonen an. Wenn Sie damit Ihre Steuererklärung auf der Grundlage Ihres Profils und der Steuern des Vorjahres erstellen, schlägt das Programm vor, auf welche Posten Sie sich bei Ihrer Steuererklärung konzentrieren sollten und wo Sie eine Erstattung bekommen könnten. Mit Quick Books bietet Intuit daneben eine Software für die Buchhaltung von kleinen Unternehmen an. Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Blumenhändler in Chicago: Die Software zeigt Ihnen, wie ähnliche Unternehmen mit Blick auf die Bilanz, die GuV oder die Gewinnmarge geführt werden, und macht Vorschläge, um die Rentabilität zu verbessern. Das ist nur ein Beispiel für künstliche Intelligenz. Auch Visa verwendet künstliche Intelligenz schon seit längerer Zeit, um Betrug zu erkennen. Sie analysieren das Nutzungsmuster eines Karteninhabers, ist das Muster ungewöhnlich, dann ist das ein Warnsignal und Visa sperrt die Karte. Künstliche Intelligenz gibt es also bereits in vielen Sektoren – in der Technologie, in den Unternehmensdienstleistungen –, so dass der Nutzen von KI-Innovationen nicht auf ein paar wenige Unternehmen beschränkt sein wird.

Sehen Sie neben KI noch andere Technologien oder Innovationen, die das Interesse an der Branche ankurbeln könnten?

Die Digitalisierung ist extrem vorteilhaft für den Halbleiterbereich. Monolithic Power Systems ist eines unserer Unternehmen. Die Halbleiter von Monolithic Power haben eine um 20 bis 30% höhere Leistungsdichte als ihre Konkurrenten, und zwar sowohl bei höherer Effizienz als auch bei geringerer Chipgröße. Sie werden in Servern in Rechenzentren auf der ganzen Welt eingesetzt. Monolithic Power ist eines dieser Unternehmen, die unter dem Radarschirm liegen und wirklich auf langfristige Trends setzen. Der Energieverbrauch wird künftig weiter steigen und es wird darauf ankommen, sie so effizient wie möglich zu nutzen. Monolithic Power dürfte von diesem Trend profitieren.

Bei einem Blick auf das KGV wirken die meisten US-Tech-Titel im Vergleich mit europäischen Unternehmen noch immer recht hoch bewertet. Ist diese hohe Bewertung gerechtfertigt?

Im Allgemeinen sind US-Aktien teurer als europäische Aktien. Das gilt für die meisten Sektoren. Dabei spielt sicher die Stabilität des Umfelds eine Rolle. Ein weiterer Faktor ist die Tatsache, dass es sich bei den USA eher um einen Binnenmarkt handelt. Die hohe Bewertung für einige Unternehmen ist vollkommen gerechtfertigt. Bei Microsoft etwa gibt es eine enorme Preismacht im Office-Geschäft. Das macht derzeit etwa 20% des Umsatzes aus, dabei steigen die Preise um 7%, die Zahl der Nutzer wächst ebenfalls im Bereich von 10%. Es ist also ein sehr dynamisches Geschäft, und wenn sie erst einmal die Funktionen der künstlichen Intelligenz integriert haben, werden sie eine noch viel größere Preissetzungsmacht haben. Das ist aus unserer Sicht aktuell noch nicht in den Erwartungen enthalten. ASML und Dassault sind zwei Weltmarktführer aus Europa, aber davon gibt es hier nur wenige. Die meisten der führenden Technologieunternehmen sitzen in den USA. Wenn man Software oder Halbleiter nimmt, dann haben sie typischerweise einen Netzwerkeffekt, den die europäischen Konkurrenten nicht haben, und damit höhere Margen. All das rechtfertigt aus meiner Sicht eine Prämie. Wenn es in den USA eine Rezession gäbe und in Europa nicht, dann wird sich der Abstand verringern. Aber auf Sicht von drei, fünf Jahren halte ich den Aufschlag für gerechtfertigt.

Seit dem Abflauen der Coronakrise standen Tech-Aktien unter Druck. Sind sie bei einem sich abzeichnenden Ende der US-Leitzinserhöhungen auch mittelfristig wieder eine attraktive Anlage?

Ja, wenn Sie in große, gut kapitalisierte Unternehmen investieren, so wie wir es tun. Diese Unternehmen haben keine Schulden und sind also nicht von höheren Zinsen betroffen. Andererseits trifft es ihre Konkurrenten, insbesondere die kleineren, weniger gut kapitalisierten Unternehmen. Die Risikokapitalgeber sind vorsichtiger. Die Wettbewerbslandschaft wird sich über einen Horizont von zwei bis drei Jahren bereinigen. Das ist ziemlich vorteilhaft für die Technologieunternehmen, in die wir investieren, wie Oracle, Microsoft, Intuit, Alphabet. Bei einer Rezession werden die Gewinne nach unten korrigiert, auch in der Technologiebranche. Ich glaube nicht, dass irgendein Unternehmen im Technologiebereich hundertprozentig immun ist. Aber die größeren Unternehmen, die kritische Dienstleistungen anbieten, wie Cloud Computing für Unternehmen, Datenbanken wie Oracle, Buchhaltungssoftware wie Intuit, werden weniger betroffen sein. Diese Unternehmen verkaufen auf Abonnementbasis. Mit zwei- bis dreijährigen Verträgen werden sie zwar nicht so schnell wachsen, aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass viele dieser Unternehmen in einem rezessiven Umfeld schrumpfen werden.

Zur Person: Christophe Nagy trat 2009 als Analyst und Portfoliomanager mit Schwerpunkt US-Aktien bei Comgest ein. Als Co-Leiter der US-Aktienstrategie kommt ihm eine entscheidende Rolle beim Aufbau des US-Aktienteams und der Ausrichtung der Research-Aktivitäten zu. Vor Comgest war er ab 1991 bei Mercer Consulting tätig, 1998 wechselte er mit Zuständigkeit für globale Wachstumsportfolios zu Carmignac Gestion und 2002 übernahm er bei Edmond de Rothschild Asset Management die Aufgabe eines Senior-Portfoliomanagers.

In den USA zieht der Wahlkampf zur Präsidentschaft herauf, der durchaus auch wieder Donald Trump zurück ins Amt spülen könnte. Was würde ein volatiler Präsident für die volatilen Tech-Märkte bedeuten?

Wenn ich die Liste von oben nach unten durchgehen müsste, wäre da zum einen besonders die Politik gegenüber China und zum anderen die Steuerpolitik. An beiden Fronten sind sich beide Lager, Republikaner und Demokraten, meiner Meinung nach ziemlich einig. Die Biden-Administration hat den Technologietransfer nach China erschwert, was von der Trump-Administration initiiert wurde. Ähnlich sieht es bei den Steuern aus: Es gibt eine Art Einigkeit darüber, dass die Unternehmenssteuern in dieser Höhe wirklich stark verändert werden sollten. Die beiden Kandidaten werden eher in sozialen Fragen aufeinanderprallen als in Fragen, die sich direkt auf die Technologie auswirken.

Sie setzen auf Qualitätswachstumsaktien. Was sind die größten Positionen in Ihrem Depot?

Wir konzentrieren uns auf das Wachstum des Gewinns pro Aktie über fünf Jahre und die Rendite auf das investierte Kapital als Maßstab für Wachstum und Qualität. Dabei streben wir mindestens 10% an. Das Wachstum wird in der Regel durch einen großen, wachsenden Markt und durch den Ausbau von Marktanteilen angetrieben. Auf dieser Grundlage sind unsere größten Positionen Microsoft, Oracle, Apple, Eli Lilly, Johnson & Johnson und Visa. Eine weitere Position ist Service Corp, ein Bestattungsunternehmen, und wie bereits erwähnt Intuit.

Welche Unternehmen haben Sie noch im Fokus?

Wir bauen Positionen sukzessive auf. Wir erhöhen die Gewichtung, wenn wir uns mit der Position wohler fühlen, und zwar über mehrere Jahre hinweg. Wir haben also Unternehmen mit 1% im Portfolio, die in drei Jahren vielleicht bei 5 oder 6% stehen werden. Wir haben eine kleine Softwarefirma wie Tyler Technologies, die Software für Kommunen, Landkreise und Bundesstaaten anbietet. Eine sehr spezialisierte Art von Software und ein sehr wiederkehrendes, sichtbares Wachstum. Die meisten Städte geben ihre eigene Software inzwischen auf. Sie kaufen lieber die Software von Tyler. Ein anderes Beispiel außerhalb der Technologie ist Biomarin. Das ist ein Unternehmen, das sich mit seltenen Krankheiten befasst. Es ist eines der vielversprechendsten Unternehmen im Bereich der Gentherapie. Es hat eine fantastische Therapie zur Behandlung von Hämophilie, eine Krankheit, bei der die Blutgerinnung gestört
ist, entwickelt. Dieses Unternehmen haben wir jetzt seit zwölf Jahren im
Portfolio. Es ist also wirklich eine langfristige Beteiligung. Unternehmen, die
wir mögen, würden wir gerne für immer halten.

Das Interview führte Tobias Möllers.

Wir bauen Positionen sukzessive auf und erhöhen die Gewichtung, wenn wir uns mit der Position wohlfühlen.