Von der Finanzameise zum Börsenelefanten
Von Norbert Hellmann, SchanghaiChinas führender Finanztechnologie-Player Ant Financial will nach jahrelangem Abwarten nun endlich den von Börsianern so sehnlich erhofften Schritt zum Initial Public Offering (IPO) wagen. Ein Erfolg bei dem nun in Hongkong und Schanghai anstehenden Mammut-Börsengang scheint programmiert, denn der Gründer und Haupteigentümer ist niemand Geringerer als Jack Ma (55) und damit ein Naturtalent für das Großziehen von vielversprechenden Technologiefirmen. Von Chinas Vorzeige-Entrepreneur und Gründer des Onlinehandelsriesen Alibaba weiß man, dass er einen hervorragenden strategischen Riecher für die technologische Erschließung von Massenkonsumenten-Diensten besitzt. Die Erfolgsstory der Alibaba als führende E-Commerce-Plattform in China und einer der weltgrößten Börsenwerte spricht für sich.Ma hatte im Jahr 2014 lange mit sich gerungen, ob er Alibaba wirklich an die New Yorker Börse bringen und sich den Strapazen einer ständigen marktmäßigen und regulatorischen Wall-Street-Beobachtung aussetzen sollte. Angesichts des Wunsches, sich einer globalen Investorengemeinde zu stellen, kam ein Börsenauftritt auf dem chinesischen Festland aber nicht in Frage, während die Hongkonger Börse nicht die notwendigen regulatorischen Voraussetzungen für das Listing von gründerdominierten Unternehmen und die in den USA üblichen Aktienklassen mit Mehrfachstimmrechten zu bieten hatte.Mittlerweile aber findet man eine ganz andere Börsenlandschaft vor. Während chinesische Unternehmen in den USA immer stärker angefeindet und sogar mit Delistingkampagnen konfrontiert werden, hat sich die Hongkonger Börse als Bühne für Technologiesektor-Listings mächtig herausgeputzt. Zudem steht mit dem Schanghaier Star Market und einer Reform des starren Listingregimes im Reich der Mitte nun auch auf dem chinesischen Festland eine geeignete Plattform für Tech-Debütanten bereit. Alibaba hat das neue Umfeld bereits genutzt, um im September 2019 ein 12,5 Mrd. Dollar schweres Zweitlisting an der Hong Kong Exchanges zu stemmen, das auf eine fulminante Anlegerresonanz gestoßen ist.Mit Ant Financial, die als Betreiber der in China von über 600 Millionen Kunden genutzten Bezahl-App Alipay das Finanzwesen des weltgrößten Konsumentenmarktes wie kaum ein anderes Unternehmen abdeckt, dürfte man nun ein leichtes Spiel haben, globale Anlegerkreise zu erschließen wie auch das Massenkleinanlegertum an den chinesischen Festlandbörsen zu begeistern. Der von Ma vor zwei Jahren zum Executive Chairman und strategischen Lenker der Ant Financial beförderte Eric Jing bringt es auf den Punkt: “Die auf dem Star Market in Schanghai implementierten innovativen Maßnahmen und die besondere Rolle des Hongkonger Finanzplatzes haben nun die Tür für globale Investoren geöffnet, um Zugang zu Spitzentechnologieunternehmen aus aufstrebenden dynamischen Ländern zu finden und diesen Gesellschaften einen geeigneten Kapitalmarktauftritt zu bieten.”Während eine ganze Reihe von chinesischen Staatsfirmen und nicht zuletzt die Großbankenriege des Landes mit einem dualen Listing in Hongkong und Schanghai aufwartet, wird nun erstmals ein privates Unternehmen und dazu noch ein Abkömmling des Technologiesektors gleichzeitig ein Börsenentree in Hongkong und Schanghai anstrengen und damit in gewisser Weise Geschichte schreiben. Die ersten Schätzungen für eine börsennotierte Ant Financial laufen auf eine potenzielle Marktkapitalisierung von 200 Mrd. Dollar hinaus, damit wäre Ant Financial mit einem Schlag in den Kreis der weltweit 40 marktwertstärksten Unternehmen aufgestiegen und würde ein ähnliches Börsengewicht auf die Waage bringen wie derzeit China Construction Bank und Bank of America als die jeweils zweitgrößten Kreditinstitute in China und den USA.Trotz der riesigen Dimensionen, in die Ant Financial mittlerweile vorgedrungen ist, kokettieren Ma und Jing noch immer mit dem Mikrofinanzcharakter als wahrem Aushängeschild des Unternehmens. Dabei ist der chinesische Name des Unternehmens nämlich Mayi Jinfu (Ameisen-Finanzdienst) beziehungsweise Ant Financial auf Englisch noch immer Programm. Denn im Ant-Geschäft – sei es bei dem aus der Schwesterfirma Alibaba herausgeschälten Bezahldienst Alipay, den Online-Mikrokreditprogrammen oder dem riesenhaften Geldmarktfonds Yue E Bao (Restguthabenschatz), mit dem Alipay-Guthaben von einer Geldmarktverzinsung profitieren können, – geht es stets darum, mit winzigen Beträgen, die sich aber läppern, ein großes starkes Gebilde zu formieren.In einem Brief an die Mitarbeiter verspricht Chairman Jing denn auch, dass sich Ant Financial auch als Börsengigant an ihrem Ameisenbaucharakter festhalten will: “Small is beautiful, small is powerful”, sei das Credo. Mit jeder kleinen Anstrengung hoffe man, auf kontinuierliche Weise kleine, aber feine Veränderungen in der Welt zu bewirken, lautet die salbungsvolle Botschaft an Ants rund 9 000 hoffentlich ameisenfleißige Beschäftigte.