Gewinnprognosen unter der Lupe

Wall Street blickt Berichtssaison unruhig entgegen

Investoren an der Wall Street sorgen sich, dass eine hartnäckige Inflation Zinssenkungen der Fed verzögert. Dennoch bleiben Analysten in ihren Gewinnprognosen optimistisch. Damit drohen schwere Enttäuschungen.

Wall Street blickt Berichtssaison unruhig entgegen

Wall Street blickt Berichtssaison unruhig entgegen

Datendienste sehen Enttäuschungspotenzial bei Gewinnentwicklung im S&P 500 – Sorge um verzögerte geldpolitische Lockerung treibt Investoren um

Die Sorge, dass eine hartnäckige Inflation Zinssenkungen der Fed verzögert, treibt Investoren an der Wall Street um. Zugleich zeigen Daten, dass Analysten ihre Gewinnprognosen für die anstehende Berichtssaison weniger stark nach unten korrigiert haben als üblich. Damit drohen Investoren schwere Enttäuschungen.

xaw New York

Vor dem Start der Berichtssaison zum Auftaktquartal 2024 droht die Stimmung am US-Aktienmarkt zu kippen. Ölpreisanstiege wecken bei den Analysten Sorgen darum, dass sich die Inflation hartnäckiger hält als erhofft – was den Spielraum der Federal Reserve für Zinssenkungen begrenzen würde. Zwar hellte der aktuelle Arbeitsmarktbericht die Stimmung zum Wochenabschluss noch auf. Denn trotz einer starken Nachfrage nach Arbeitskräften lässt der Lohndruck infolge eines wachsenden Angebots nach – laut Christian Scherrmann, US Volkswirt bei der DWS, ein „willkommenes Zeichen dafür, dass die Arbeitsmärkte allmählich zu einem inflationsfreundlicheren Gleichgewicht tendieren“.

Terminwetten zurückgeschraubt

Dennoch nehmen die Wetten auf baldige Zinssenkungen am Futures-Markt ab, und Aussagen des Präsidenten der Fed von Minneapolis heizten entsprechende Befürchtungen nun noch an. In diesem Umfeld besteht laut dem Datendienstleister Factset durchaus noch größeres Enttäuschungspotenzial mit Blick auf die anstehenden Quartalsberichte.

Denn Analysten haben ihre Prognosen für die Gewinne pro Aktie im S&P 500 im Verlauf der vergangenen drei Monate lediglich um 2,5% nach unten korrigiert – und damit in deutlich geringerem Maß als im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre. Zwar verzerren Ausreißer wie das vom Ausbruch der Corona-Pandemie geprägte zweite Quartal 2020, während dessen Marktstrategen ihre Schätzungen um 37% zurücknehmen mussten, die Statistik. Doch auch sonst waren in den vergangenen Jahresvierteln größere Korrekturen üblich.

Bank of America übt sich in Optimismus

Investmenthäuser wie Bank of America haben ihre Schätzungen für die Gewinne pro Aktie in der US-Benchmark zuletzt aber sogar angehoben. Die Analysten rechnen für das erste Quartal mit einem durchschnittlichen Zuwachs von 12% zum Vorjahr und geben damit die höchste Prognose an der Wall Street ab. Nach einem Jahr des Umbruchs hätten sich die US-Unternehmen auf ein schwieriges Nachfrageumfeld eingestellt und profitierten von einem allgemein verbesserten konjunkturellen Ausblick.

Gerade letzteren zieht die Investmentgesellschaft American Century aber noch in Zweifel. „Wenngleich sich eine Rezession weniger wahrscheinlich ausnimmt, steuert die Wirtschaft unserer Ansicht nach doch auf eine scharfe Verlangsamung zu“, kommentieren Multi-Asset-Investmentchef Richard Weiss und seine Kollegen die Aussichten. Die hohe Ausgabenfreude der Verbraucher, die noch 2023 ein überraschend robustes Wachstum gestützt habe, werde im laufenden Jahr voraussichtlich an Schwung verlieren.

Einzelhandelserlöse im Fokus

Bereits während der Weihnachtssaison 2023 hätten die Erlöse im Einzelhandel weniger stark angezogen als im Vorjahr. Denn Konsumenten konzentrierten sich angesichts anhaltend hoher Preisniveaus und einem Schwund der während der Pandemie angesammelten Ersparnisse stärker auf Basisgüter – ein Trend, der sich 2024 noch verstärken werde. Die bisherige Widerstandsfähigkeit der Verbraucher sei überdies ohnehin kein Garant für die Gesamtwirtschaft, da die Konsumausgaben auch vor allen Abschwüngen seit den 1960er-Jahren geklettert seien. Trübe sich die Konjunktur nun wie zu erwarten ein, müssten Investoren mit fallenden Treasury-Renditen und einer Ausweitung der Credit Spreads rechnen. Damit stehe wieder ein verstärkter Drang in weniger riskante Anlagen bevor.

Bank of America rechnet unterdessen damit, dass sich die Kapitalausgaben großer Cloud-Dienstleister im Gesamtjahr 2024 auf 180 Mrd. Dollar belaufen werden, was einen Anstieg von 27% gegenüber 2023 bedeuten würde. Zwar räumen die Analysten ein, dass Unternehmen in Reinvestitionszyklen häufig eine Underperformance hingelegt hätten, der Boom um künstliche Intelligenz (KI) könne sich aber von dieser Tendenz abheben.

Hoffnung auf anhaltenden KI-Boom

„Halbleiter und Netzwerkdienstleister sind die offensichtlichsten Nutznießer, aber ein erhöhter Energieverbrauch und der physische Ausbau von Datenzentren werden zu einer höheren Nachfrage nach Elektrifizierung, Strom- und Gasversorgung und Rohstoffen führen“, kommentiert Bank of America. Produktivitätsgewinne durch KI könnten starken Rückenwind für die US-Wirtschaft liefern.

Bereits 2023 bescherte die Euphorie um lernfähige Algorithmen Tech-Riesen wie Microsoft und Chipdesignern wie Nvidia eine Kursrally, die zur Stütze für die gesamte Wall Street wurde. Die trotz der jüngsten Inflationsbedenken aufgeheizte Stimmung für den US-Aktienmarkt schlägt sich auch in den globalen ETF-Mittelflüssen nieder. Laut Vanguard hat sich der Zustrom in börsengehandelte Fonds seit Ende 2023 beschleunigt.

Starke Mittelkonzentration

Vehikel auf den S&P 500 sind dabei so dominant wie nie: Diese haben im vergangenen Jahr 137 Mrd. Dollar aufgesaugt und kamen damit auf 27% der globalen Mittelzuflüsse. Infolge des starken Zustroms nehmen die USA an den globalen Aktienmärkten inzwischen nahezu ein so hohes Gewicht ein wie während des Nachkriegs-Wirtschaftsbooms in den 1950er und 1960er Jahren. Inzwischen entfallen 60,5% der globalen Marktkapitalisierung auf die Vereinigten Staaten.

Dabei ist globale Angebot an öffentlich handelbaren Werten laut J.P. Morgan 2024 um 120 Mrd. Dollar geschrumpft, da der IPO-Markt nur langsam anläuft und Unternehmen in großem Stil Aktien zurückkaufen. Die hohe Buyback-Aktivität wirkt dabei als kurzfristige Kursstütze – die Mittelkonzentration im US-Markt könnte sich laut Analysten aber rapide auflösen. Insbesondere das Ende der Negativzinspolitik in Nippon weckt bei Brokern wie Charles Schwab Sorgen vor einer Abwanderung japanischer Anleger. Diese haben bisher über 3 Bill. Dollar in den USA investiert, nun wird eine Beteiligung im Heimatmarkt aufgrund von Wechselkurseffekten aber attraktiver.

Zögert sich eine Lockerung der Federal Reserve nun hinaus, blieben auch die Kosten für das Währungshedging bei Dollar-Anlagen japanischer Investoren für längere Zeit höher. In dem Umfeld aus geldpolitischer Verunsicherung und nagender konjunktureller Zweifel richten sich die Blicke nun auf die US-Großbanken. J.P. Morgan, Citigroup und Wells Fargo öffnen am kommenden Freitag die Bücher – und dürften den Ton für den weiteren Verlauf der Berichtssaison vorgeben.

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