Warten auf Kaufsignale für die Siltronic-Aktie
Von Joachim Herr, MünchenHalbleiteraktien gleich Volatilität: Am Montag in dieser Börsenwoche fand sich mal wieder der Beweis für diese einfache Gleichung. Kaum gab es leichte Anzeichen für eine Entspannung im amerikanisch-chinesischen Handelskonflikt, schon sprangen die Aktienkurse von Chipherstellern und ihrer Zulieferer nach oben. Die Anteile von Infineon etwa legten zum Handelsstart um fast 4 % zu, Dialog Semiconductor um mehr als 3 %. Für Siltronic, dem Münchner Hersteller von Siliziumscheiben (Wafer) für die Halbleiterindustrie, ging es in der ersten halben Handelsstunde sogar um mehr als 6 % nach oben. Am Schluss blieb immerhin ein Tagesplus von 3 %.Im Mai und an den ersten Tagen im Juni hatten Halbleiteraktien wegen des Handelsstreits dagegen überdurchschnittlich an Wert verloren. Viel Unruhe brachten vor allem die Sanktionen gegen den chinesischen Netzwerkausrüster Huawei, einem großen Kunden der Chipindustrie. Der Kurs von Siltronic gibt an Tagen mit negativen Nachrichten aus diesem Themenfeld schon mal mehr als 5 % nach. Anzeichen für Belebung Einen positiven Impuls setzte dagegen in der Mitte der vergangenen Woche der Ausblick von Micron Technology. Der US-amerikanische Chipkonzern erkennt frühe Anzeichen, dass sich die Nachfrage wieder belebt. Das zog an jenem Tag den Siltronic-Kurs um 2 % nach oben. Für Entspannung sorgten auch die Kniffe von Intel, Qualcomm und Micron, dank Gesetzeslücken Huawei wieder mit elektronischen Bauelementen zu beliefern.Böse unter die Räder kam die im MDax und TecDax notierte Siltronic-Aktie am 18. Juni. Da kappte das Unternehmen, an dem Wacker Chemie noch knapp 31 % hält, zum zweiten Mal in diesem Jahr die Geschäftsprognose. Der Kurs stürzte an diesem Tag zeitweise um 15 % ab, zum Handelsschluss um 7,7 %. Die Analysten der Deutschen Bank rechnen damit, dass es 2019 nicht die letzte Warnung vor einem niedrigeren Gewinn gewesen ist.Der Vorstand begründete die jüngste Korrektur mit den von der US-Regierung beschränkten Lieferungen an chinesische Abnehmer. Wichtige Kunden von Siltronic hätten deshalb Aufträge für die zweite Jahreshälfte deutlich reduziert. Noch bis Anfang April hatte der Vorstand auf eine klare Belebung in der zweiten Jahreshälfte gehofft.Das Unternehmen rechnet nun mit einem Rückgang des Jahresumsatzes um 10 bis 15 % (ohne die Bereinigung von Währungseffekten). Für die operative Marge werden 30 bis 35 % erwartet – bezogen auf das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda). Das klingt immer noch gut, auch im Vergleich mit anderen Industriebranchen. Allerdings hatte der Vorstand zuvor 33 bis 37 % in Aussicht gestellt, und im vergangenen Jahr hatte der Konzern sogar 40,5 % erzielt. Im Februar hieß es noch, in diesem Jahr werde die Marge nur leicht darunter liegen. In den vergangenen zwei Jahren hatte Siltronic vom erheblichen Anstieg der Durchschnittspreise der Wafer profitiert. Von Quartal zu Quartal ging es angesichts einer wachsenden Nachfrage nach oben. Diese stieß auf ein begrenztes Angebot, da die Wafer-Hersteller ihre Kapazitäten kurzfristig nicht mehr stark erhöhen konnten. Allein vom vierten Quartal 2016 bis zum Schlussabschnitt 2017 nahmen die Durchschnittspreise um 30 % zu. Danach flachte sich der Anstieg etwas ab, lag 2018 aber geschätzt noch bei 20 %.Der Vorstand von Siltronic rechnet auch nach der gesenkten Prognose mit einem leichten Anstieg der durchschnittlichen Verkaufspreise in diesem Jahr. Die Analysten von Berenberg zweifeln daran und rechnen nur mit stabilen Preisen, fürs kommende Jahr sogar mit einem Rückgang um 5 %. Berenberg hat das Kursziel für Siltronic von 78 auf 60 Euro gesenkt und empfiehlt weiterhin, die Aktie zu halten. Die richtige Zeit, den Titel zu kaufen, sei noch nicht gekommen.Aus dem von Siltronic vorhergesagten Umsatzrückgang schließen die Branchenexperten von Berenberg, dass der Waferindustrie 2019 der stärkste Absatzrückgang seit der Finanz- und Wirtschaftskrise vor zehn Jahren bevorsteht. Die Nachfrage sei kurzfristig gesehen sehr unsicher und ohne die Aussicht auf einen positiven Impuls dürfte die Aktie noch länger unter ihrem angemessenen Wert bleiben.Auch die Analysten von Kepler Cheuvreux senkten das Kursziel – und zwar von 71 auf 59 Euro. Sie raten wie auch die Deutsche Bank (Kursziel: 60 Euro) zum Halten der Aktie und begründen ihre Vorsicht vor allem mit der hohen Abhängigkeit des Unternehmensgewinns von Preisänderungen. “Vor der Dämmerung” Viel optimistischer sind die Branchenbeobachter vom Bankhaus Lampe: “Gerade vor der Morgendämmerung ist es am dunkelsten”, lautet ihre blumig formulierte Einschätzung. Sie rechnen weiterhin damit, dass sich der Halbleitermarkt im gerade angebrochenen zweiten Halbjahr stabilisiert und im nächsten Jahr erholt. Impulse könnten vor allem von den Speicherchips kommen. Siltronic ist gemessen an der Relation von Risiko und Chance nach ihrer Ansicht der attraktivste Wert, um auf die nächste Erholung der Branche zu setzen. Lampe empfiehlt die Aktie nach wie vor zum Kauf, wenn auch mit einem nun von 101 auf 90 Euro verringerten Kursziel.Die Frage ist wohl nicht, ob das zyklische Halbleitergeschäft wieder anziehen wird, die entscheidende Frage für Investoren ist, wann das mit relativ großer Gewissheit abzusehen ist. Das Warten auf Kaufsignale erfordert Geduld und Wachsamkeit. Christoph von Plotho, der Vorstandschef von Siltronic, verbreitet nach wie vor viel Zuversicht für die Zeit nach der aktuellen Marktschwäche: Zum einen verweist er auf die Position von Siltronic als Technologieführer in der Waferindustrie. Zum anderen ist er von immer mehr Wachstumstreibern und Anwendungen für Halbleiter und einer weiter wachsenden Siliziumfläche in elektronischen Geräten überzeugt – dank Megatrends wie der Digitalisierung, Big Data, Elektromobilität und Künstliche Intelligenz.