Silke Stremlau

„Widersprüche machen das Ganze spannend“

Immer mehr institutionelle Investoren setzen auf nachhaltige Kapitalanlagen. Silke Stremlau ist seit mehr als 20 Jahren mit dem Thema vertraut, lange war sie bei der Ratingagentur Imug tätig und seit drei Jahren ist sie verantwortlich für die Kapitalanlage der nachhaltig orientierten Hannoverschen Kassen.

„Widersprüche machen das Ganze spannend“

Wolf Brandes.

Frau Stremlau, Anleihen spielen die größte Rolle im Portfolio der Pensionskasse. Wie bringen Sie die Ziele Rendite und Sicherheit unter einen Hut? Besonders, wenn dann noch die Nachhaltigkeit zu berücksichtigen ist. Sind Staatsanleihen für Sie noch ein Thema?

Staatsanleihen machen immer noch 30% unseres Portfolios aus. Das sind aber vor allem langlaufende Papiere mit hohen Kupons aus der guten alten Zeit. Wir haben im vorigen Jahr Staatsanleihen ausschließlich verkauft und wollen den Anteil weiter reduzieren. Das ist seit Jahren von der Rendite her nicht mehr prickelnd. Andererseits würden wir opportunistisch durchaus etwa bei Spanien oder Italien Rendite mitnehmen. Die Nachhaltigkeit ist für uns bei Staatsanleihen kein Problem. Nachhaltigkeit sehen wir als Leitplanke, und wenn wir bestimmte Papiere nicht kaufen können, dann jammern wir nicht.

Sind die meisten Staatsanleihen investierbar?

Nein. Wir kaufen keine US-Staatsanleihen wegen der Todesstrafe als Ausschlusskriterium. Es gab mal eine spannende polnische Anleihe, die wir nicht gekauft haben, weil es in Polen Probleme mit Grundrechten und der Gewaltenteilung gibt.

Spanien und Italien sind kein Problem?

Vom Nachhaltigkeitsrating sind die Länder okay. Italien hatte aber mal schlechte Bewertungen im Bereich Governance und ist immer noch ein Wackelkandidat. Das Land hat im Bereich Klima und Solar einen wahnsinnigen Aufholbedarf. Aber fahren Sie mal durch Italien, da gibt es nur wenige Dächer mit PV-Anlagen. Lassen Sie uns lieber über Unternehmensanleihen reden, das ist weitaus spannender.

Die Rendite einer zehnjährigen italienischen Staatsanleihe liegt bei 0,9%. Reicht Ihnen das?

Nein, bei Neuanlagen müssen mindestens 1,6% erzielt werden. Wir haben zwar schon mal überlegt, ob wir einen besonders nachhaltigen Green Bond mit 1,3% kaufen. Aber eigentlich sind die 1,6% gesetzt. Allerdings über einen langen Zeitraum von 30 Jahren. Als Pensionskasse sind wir ein Buy-and-Hold-Investor.

Bundesanleihen gibt es als Green Bonds. Was halten Sie davon?

Prinzipiell finden wir es gut und richtig, dass die Bundesregierung das Segment ausbauen und hier eindeutig Geld in Klimaschutzprojekte investieren will. Aber wir betrachten das zugleich mit einem weinenden Auge, weil eine Rendite unter null für uns nicht akzeptabel ist. Auch der tolle Social Bond der DKB ist mit 0,3% für uns nicht drin.

In Ihrem Bericht heißt es, ein Highlight sei der Kauf eines ersten Green Bonds gewesen. Worum hat es sich dabei gehandelt?

Acciona ist ein spanisches Unternehmen im Bereich erneuerbarer Energien. Da hat die Rendite gestimmt und für uns war es eine große Freude, erstmals einen Green Bond zu kaufen, weil Anlagezweck und Rendite gepasst haben.

Wie gehen Sie bei Unternehmensanleihen vor, wenn sie neu investieren wollen?

Wir haben unsere Wünsche bei verschiedenen Banken platziert. Auch als kleines Haus bekommen wir Angebote. Im zweiten Schritt müssen wir ein externes Nachhaltigkeitsrating einkaufen, um einen 360°-Blick zu bekommen. Der kritische Blick von außen ist wichtig. Noch entscheidender ist aber unsere Bewertung des Geschäftsmodells.

Wählen Sie die Geschäftspartner wie Banken auch nach Nachhaltigkeitskriterien aus?

Ja, aber hier sind wir nicht so streng wie bei den Investments. Partner müssen die UN-PRI unterzeichnet haben oder im Bereich Nachhaltigkeit aktiv sein.

Können Sie ein Beispiel für eine gezeichnete Unternehmensanleihe nennen?

Zum Beispiel Lenzing. Das Textilunternehmen produziert ökologische Stoffe unter anderem auch für Tchibo. Wir haben auch einen Bond von Signify aus den Niederlanden gekauft, die im Bereich LED-Technik arbeiten. Zu den Käufen zählte auch der Darmstädter Energieversorger Entega, der eine klare Politik im Bereich erneuerbarer Energie verfolgt. Auch die Deutsche Telekom ist aus Nachhaltigkeitsgesichtspunkten ein sehr gutes Unternehmen.

Nachhaltigkeit ist die eine Seite, Bonität die andere. Wie halten Sie es mit Kreditratings?

Sicherheit ist extrem wichtig, aber wir haben nicht nur „AA“-Bonds im Bestand. Aber natürlich können wir nur im Bereich Investment Grade anlegen, High Yield geht nicht.

Die Nachhaltigkeitsziele der UN, SDG, werden immer wichtiger. Die 17 Ziele sind allerdings unübersichtlich. Wie gehen Sie vor?

Wie führen eine eigene Analyse durch, inwieweit das Investment auf die SDG-Ziele der UN einzahlt. Ich gebe Ihnen aber recht, die SDG-Ziele machen es nicht einfacher. Was mich zudem an der SDG-Debatte stört, ist, dass das Thema auch für Greenwashing genutzt wird. Die Commerzbank zum Beispiel führt in ihrem Report auf, dass sie Job-Fahrräder vor der Zentrale stehen hat. Ich habe den Eindruck, jede kleine Aktion wird genannt, die auf die Ziele einzahlt. Deshalb wollen wir wissen, wie viel Prozent des Umsatzes haben einen klaren SDG-Bezug.

Bei vielen SDG-Zielen ist der Investmentbezug nicht einfach herzustellen. Was machen Sie?

Für uns sind alle Ziele wichtig. Beim Investment geht es aber in der Regel konkret um eines der 17 Ziele. Zum Beispiel Klimaschutz, also erneuerbare Energien. Dort sind wir in Spezialfonds von Aquila investiert.

Von den positiven Zielen zu den negativen Ausschlusskriterien. Wie wichtig sind die?

Das ist die erste Hürde. Unsere Ausschlusskriterien sind vor zehn Jahren in Zusammenarbeit mit der Agentur Imug und unserem externen Nachhaltigkeitsrat entwickelt worden. Die werden laufend diskutiert und aktualisiert. So ist beispielsweise das Thema Kohle vor drei Jahren hinzugekommen. Das ist jetzt ein No-Go.

Wie streng arbeiten Sie, welche Schwellenwerte gelten?

Wir unterscheiden die Kriterien je nach Assetklasse und haben unterschiedliche Ansätze für Unternehmen, Staaten und Banken. Bei Unternehmen schließen wir zum Beispiel Militär und Atomenergie mit einer 5-Prozent-Hürde aus. Klassiker ist VW mit seiner Beteiligung an MAN. Weil MAN Motoren für französische U-Boote liefert. Das ist aber unter 5% am gesamten Umsatz.

Würden Sie dann VW kaufen . . .

…im Moment trotzdem nicht. Angefangen von der Dieselaffäre bis hin zum Eindruck, dass die Autoindustrie glaubt, immer weiter ganz viele Autos verkaufen zu können – nur eben E-Autos. Das passt nicht zu unserem Ansatz, wir kritisieren den Flächenverbrauch durch Straßen, den Verkehr in den Städten, die umweltschädliche Produktion von Autos. Solange sich die Branche nicht über ganz andere Konzepte von Mobilität Gedanken macht, werden wir keine VW-Anleihe kaufen.

Das ist aber kein hartes Ausschlusskriterium, sondern ein qualitativer Ansatz, oder?

Ja qualitativ-diskursiv. Als Investoren stellen wir schon die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Dazu muss man beurteilen, wie zukunftsfähig ist das Geschäftsmodell etwa von VW. Dafür braucht man keine Ratings, sondern eine Haltung in der Kapitalanlage und eine Vision von einer lebenswerten Zukunft.

Rassismus als Ausschlusskriterium findet man seltener. Sie nennen ein Beispiel in dem Bericht. Worum geht es?

Das kommt, Gott sei Dank, nicht so häufig vor. In unserem Fall war es ein nachhaltiger Immobilienfonds, der Wohnungen energetisch saniert und für faire Mieten neu vermietet. In der Einladung zur Gesellschafterversammlung hat sich der Geschäftsführer jedoch negativ zur Migrations- und EU-Politik geäußert. Bei weiteren Recherchen fanden wir Verbindungen zu rechten Positionen und zur AfD. Daher haben wir uns entschlossen, den Fonds zu verkaufen. Außerdem werden wir künftig bei jedem neuen Projekt prüfen, ob es Verbindungen in rechtsextreme Kreise gibt.

Wie sieht es mit Immobilien aus?

Der Anteil liegt bei knapp 10%, die wir als Direktinvestment angelegt haben. Aber inzwischen sind die Renditen bei Immobilien so gering, dass wir das auf Hold gesetzt haben. Wir erwarten 2 bis 3%, aber bekommen das inzwischen zum Teil nicht mehr.

Sind Sie bei Aktien unterwegs?

Mit einem sehr kleinen Anteil und dem Ziel, diesen auf 3 bis 5% auszubauen. Wir decken das über einen Publikumsfonds der GLS ab. Leider können wir die Aktienquote nicht so hochfahren, wie es von der Rendite wünschenswert wäre. Es gibt im Hintergrund bei uns kein großes Trägerunternehmen, das nachschießen kann. So sind wir durch die Risikobudgets beschränkt.

Welche Zielkonflikte gibt es?

Der klassische Zielkonflikt besteht darin, dass unsere Mitglieder am liebsten alles dunkelgrün anlegen möchten, aber wir wegen der Verpflichtungen keine Green Bonds zu Minizinsen kaufen können. Ein zweiter Zielkonflikt betrifft das Thema Immobilien. Um unseren Rentnern mehr zahlen zu können, müssten wir die Mieten erhöhen. Aber das passt nicht zu unseren Zielen als sozial verantwortlicher Investor.

Kritiker werfen dem ESG-Investment vor, dass der Geldanlage zu viele Ziele aufgebürdet werden…

…das sehe ich anders. Man muss einfach als Investor das Thema Nachhaltigkeit abdecken. Erstens ist es eine ethische Verpflichtung; die Kapitalanlage nur als Spiel aus Risiko und Rendite zu sehen, ist zu kurz gegriffen. Geld hat immer eine Wirkung, und dieser muss ich mir als Investor bewusst sein. Und zweitens: Nachhaltigkeit ist Risikovorsorge. Als ESG-Anlegerin schaue ich mir Unternehmen unter einem ganzheitlichen Aspekt an. Wir stehen vor großen Umbrüchen in dieser Gesellschaft: von der Energiewende über die Agrarwende bis hin zur Konsumwende. Wenn ich als langfristige Investorin agiere, brauche ich auch Unternehmen, die diese Themen in ihr Geschäftsmodell integriert haben.

Nachhaltiges Investieren ist oft widersprüchlich. In vielen ESG-Portfolios findet sich Bayer trotz der Glyphosat-Diskussion. Wie gehen Sie damit um?

Widersprüche machen das Ganze spannend. Damit muss man sich auseinandersetzen. Es gibt beim grünen Investment kein schwarz oder weiß. Ich finde es gut, dass es die verschiedenen Bereiche hellgrün und dunkelgrün gibt. Dunkelgrün ist Bayer natürlich nicht, auch wegen der Gentechnik und der Chemikalien. Gleichzeitig ist Bayer ein Unternehmen, das im Nachhaltigkeitsbereich einiges bewegt. Wir würden keine Bayer-Anleihe kaufen, aber für einen eher hellgrünen Ansatz ist das vertretbar.

Wären Anleger nicht schockiert, wenn Sie in Ihrem grünen Fonds Bayer finden?

Es muss draufstehen, was drin ist. Richtig ist, dass viele Privatanleger sich nicht so mit der Materie befassen und dann überrascht sind. Das ist auch der Grund, warum es jetzt die Nachhaltigkeitsampel für alle Finanzprodukte geben soll. Ebenso wichtig wie die Taxonomie und die Offenlegungsverordnung.

Wird mit der Offenlegungsverordnung alles besser?

Die Finanzindustrie ist sehr erfinderisch. Die Regulierung muss einhergehen mit der Aufklärung der Anleger. Das Problem Greenwashing wird mit einer Verordnung nicht aus der Welt geschafft sein.

Das Interview führte