„Wir haben die „Magnificent Seven“ im Moment sogar untergewichtet“
Im Interview: Stephen Kelly
„Wir haben die Magnificent Seven untergewichtet“
Axa-Fondsmanager hält Tech-Größen teilweise für überbewertet – Gesundheits- und Healthcare-Sektor bietet interessante Chancen
Die „Magnificent Seven“ haben in den letzten Monaten die Aktienmärkte angetrieben und den S&P 500 auf neue Höhen geführt. Aktienstratege Stephen Kelly von Axa IM hat den Index im Jahr 2023 trotzdem geschlagen. Im Interview der Börsen-Zeitung verrät er, wie ihm das gelungen ist und worauf er nun setzt.
Herr Kelly, Sie setzen weniger stark als das Gros Ihrer Branche auf die „Magnificent Seven“. Obwohl gerade diese Titel zuletzt stark gelaufen sind, haben Sie im letzten Jahr den S&P 500 geschlagen. Wie haben Sie das angestellt?
Wir hatten letztes Jahr einige sehr gute Mid-Cap-Werte, die stärker zur relativen Performance beigetragen haben. Eine Software-Aktie wie Servicenow war ein sehr starker Performer. Auch Workday war im letzten Jahr ein starker Wert. Neben Technologietiteln hatten wir zudem einige Unternehmen aus dem Bereich der Basiskonsumgüter, die sich sehr gut entwickelt und uns sehr gute Erträge beschert haben. Wir halten Freshpet. Das Unternehmen stellt frische Tiernahrung her, expandiert schnell und steigert seinen Umsatz rapide. Außerdem hatten wir Bellring Brands, ein Unternehmen für Spezialproteine, das wir vor kurzem aus ESG-Gründen verkaufen mussten, das aber sehr gute Renditen für uns erzielt hat.
Klingt nach einem sehr breit gefächerten Fonds.
Absolut, ja. Royal Caribbean, eine Kreuzfahrtgesellschaft, hat im letzten Jahr sehr gute Rendite für uns erwirtschaftet. Ebenso eines unserer Restaurantunternehmen, Chipotle Mexican Grill. Beide haben wir schon seit vielen, vielen Jahren im Portfolio. Anders als bei vielen anderen Fonds, mit denen wir verglichen werden, sind wir über alle Sektoren hinweg diversifiziert. Wir hatten im letzten Jahr gute Erträge aus gutem Umsatzwachstum sowie Modelle, die sich bewährt haben, mit guten Managementteams, die ihre Wachstumschancen sehr gut nutzen. Es geht bei uns nicht nur um einen Sektor oder fünf Aktien.
Was unterscheidet Ihren Fonds noch von anderen?
Es ist ein wachstumsorientierter Mid-Cap-Fonds, der die Riesenplayer untergewichtet – auch wenn wir aufgrund ihrer Wachstumsmerkmale und Risikosteuerung in einige von ihnen selektiv investieren. Unsere einfache Philosophie ist, dass wir Mid Caps für einen langen Zeitraum kaufen, in dem sich diese zu einem Large Cap und dann im Idealfall zu einem Mega Cap entwickeln. Und zwar nicht nur aufgrund externer Makrofaktoren, sondern weil sie sich von anderen Unternehmen unterscheiden. Sie sind innovationsorientiert und das wird sich letztendlich in Gewinnwachstum verwandeln. Das ist der eigentliche Schwerpunkt: Wir nehmen Aktien in unser Portfolio auf, von denen wir glauben, dass sie gute Wachstumschancen bieten, und die bereits bewiesen haben, dass das Managementteam diese Wachstumschancen auch umsetzen kann. Wir machen keine IPOs, sondern warten mit Investments in der Regel, bis die Unternehmen eine mittlere Größe erreicht haben. Was wir den Anlegern anbieten wollen, ist ein diversifiziertes Portfolio, das auf Mid Caps und auf Wachstum ausgerichtet ist.
Ganz auf die großen sieben verzichten Sie aber nicht?
Wir waren im letzten Jahr bei Nvidia, die dramatisch gestiegen sind, übergewichtet. Auch Microsoft sind stark angestiegen. Beide haben positiv zur Performance beigetragen, aber die Outperformance kam eher von anderen Aktien als von den „Magnificent Seven“, aber natürlich haben wir auch die „Magnificent Seven“ immer im Blick, je nachdem, was auf dem Markt passiert. Aktuell sind wir bei Microsoft neutral gewichtet. Insgesamt haben wir die „Magnificent Seven“ im Moment sogar untergewichtet. Zum Teil, weil sie so stark gestiegen sind und zum Teil wollen wir einfach in andere Teile des Marktes investieren.
Droht angesichts der rasanten jüngsten Rally an den Aktienmärkten eine KI-Blase oder halten Sie die hohen Bewertungen etwa der „Magnificent Seven“ für gerechtfertigt?
Ich halte einige von ihnen für überbewertet. Nvidia ist immens gestiegen. Zwar sind auch die Gewinnschätzungen und Einnahmen immens gestiegen, aber irgendwann tritt das Gesetz der großen Zahlen in Kraft. Es wird nicht ewig so wachsen können wie bisher. Darum haben wir hier reduziert. Es gibt einige andere Unternehmen, die zweifellos zu teuer geworden und nun lächerlich überbewertet sind, Social-Media-getriebene Aktien. Da haben wir wahrscheinlich Elemente einer Blase, aber es ist nur eine sehr kleine Untergruppe von Unternehmen, bei denen es diese Blase gibt. Auf der anderen Seite wird eine sehr große Gruppe von Unternehmen in den nächsten vier bis fünf Jahren von der künstlichen Intelligenz profitieren. Es ist aber wirklich noch zu früh, um zu sagen, welche Unternehmen das sein werden.
Also kein Vergleich mit der Dotcom-Blase?
An diesem Punkt des Zyklus ist es nicht mit der Internetblase aus dem Jahr 2000 zu vergleichen. Die Unternehmen erwirtschaften echte Cashflows, echte Gewinne, und ihre Marktkapitalisierung steht angesichts ihrer Wachstumsraten nicht im Widerspruch zu ihrem Beitrag zum Gesamtindex. Eine Blase gibt es bei den Aktien der „Magnificent Seven“ zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Wir werden sehen, was mit der Zeit passiert. Aber wenn es sich zu einer Blase entwickelt, werden wir wissen, wie wir sie überstehen können.
Die KI-Rally geht also weiter?
KI ist ein Produktivitätswerkzeug, das im Laufe der Jahre vielen Unternehmen helfen wird. Und bestimmt wird es einige sehr große Unternehmen geben, die aus der KI-Technologie hervorgehen. Ich werde aber jetzt nicht versuchen, zu erraten, welche Unternehmen das sein werden, denn das ist nicht unser Stil. Wir machen keine IPOs. Wir investieren nicht in Small Caps. Wir warten ab, was tatsächlich passiert. Wenn der Trend groß genug ist, kann man es sich leisten, zu warten. Und das ist sozusagen unsere Strategie.
Wo investieren Sie denn in diesem Bereich?
Wir setzen auf Unternehmen wie die Software-Holding Servicenow, die wir schon seit langem besitzen. Servicenow führt schrittweise Tools für künstliche Intelligenz ein, Add-ons für ihre Produkte. Wir werden sehen, wie lange der Nvidia-Hype anhält. Aber eines weiß ich: Kurzfristig wird das Unternehmen nicht noch einmal um 100% wachsen. Und es wird sich auch nicht auf unbestimmte Zeit immer weiter verdoppeln. Darum haben wir unsere Beteiligung reduziert.
Nach diesem starken letzten Jahr, worauf konzentrieren Sie sich in diesem Jahr, welche Unternehmen könnten schneller wachsen als der Markt? Wo lauert die nächste Growth-Story?
Es gibt eine ganze Menge Unternehmen, die schneller wachsen werden als der Markt. Wir haben nach der Reduzierung bei einigen der Magnificent-7-Unternehmen Gelder in den Gesundheitssektor umgeschichtet. Der ist durch den ganzen Lärm um Medikamente zur Gewichtsreduzierung von Eli Lilly und Novo interessant geworden. In der zweiten Jahreshälfte 2023 hat der Trubel allerdings eine negative Stimmung für die Wachstumsaussichten von Healthcare-Unternehmen erzeugt, die direkt oder indirekt mit dem Thema Fettleibigkeit verbunden sind.
Und dennoch investieren Sie in diesem Bereich?
Schauen Sie sich beispielsweise unsere Beteiligung an Dexcom an, das Blutzuckermessgeräte herstellt. Das ist ein kleines Messgerät, das man am Arm oder am Bauch trägt und das den Blutzuckerspiegel überwacht und Diabetikern mitteilt, ob sie über- oder unterzuckert sind, und ihnen sagt, wie sie ihr Insulin verabreichen müssen, wie sie den Blutzuckerspiegel mit Hilfe von Diäten in den Griff bekommen können. Es ersetzt einen Stich in den Finger und damit haben Sie eine 24-Stunden-Überwachung. Also eine viel bessere Lösung im Vergleich zur aktuell herkömmlichen. Das ist ein unglaublich wertvolles Instrument, was sich Ende des letzten Jahres aber nicht in der Bewertung des Unternehmens widergespiegelt hat.
Sind Sie auch in anderen Unternehmen im Gesundheitssektor investiert?
Ja, neben Dexcom ergaben sich auch Möglichkeiten in anderen Bereichen der Medizintechnik, in Verbindung mit unserer Einschätzung, dass sich die Wirtschaft etwas abschwächen wird. Das Gesundheitswesen ist ja ein sehr defensiver Sektor. Wir haben daher Dexcom aufgestockt und drei neue Beteiligungen in das Portfolio aufgenommen. Neurocrine Biosciences, ein großes Mid-Cap-Biotech-Unternehmen mit neuen Produkten, die auf den Markt kommen. Ein Gentestunternehmen, Natera, das führend im sehr wichtigen Markt für Krebsdiagnostik ist. Und dann noch ein Unternehmen für medizinische Geräte, Shockwave, das Ärzten hilft, Patienten zu operieren, die sie zuvor aufgrund von verstopften Arterien nicht operieren konnten. Wir sind der Meinung, dass diese Unternehmen in den kommenden zwölf Monaten sehr gut aufgestellt sind. Unser Anteil des Gesundheitswesens ist daher jetzt so hoch wie nie zuvor. Ungefähr 19% des Portfolios entfallen derzeit darauf, was etwa 6% über der Benchmark liegt.
Ganz grundsätzlich und nach dem starken letzten Jahr: Wie schätzen Sie das Potenzial der Assetklasse Aktien für dieses Jahr ein?
Die jüngste Rally wurde von den Big Caps angetrieben. Es gibt eine Menge anderer, mittelgroßer Unternehmen auf dem Markt, die sich ein wenig erholt haben, aber immer noch attraktiv bewertet sind. Da gibt es viele gute Wachstumsunternehmen, die immer noch ein Umsatzwachstum von 20, 30, 40% verzeichnen und weit unter den Bewertungsniveaus gehandelt werden, die noch vor Covid galten, wenn man das Preis-Umsatz-Verhältnis zugrunde legt. Es gibt also immer noch Möglichkeiten auf dem Markt. Ich glaube, dass der durch die hohen Leitzinsen entstandene Bewertungsdruck jetzt nachlässt. Ich würde mir wünschen, dass die Märkte eine Zeit lang seitwärts laufen, damit sich alles wieder beruhigt und alle Unsicherheiten abklingen und wir sehen, wo wir stehen.
Es gibt eine Menge Veränderungen in der Welt. Die digitale Transformation, die Revolution im Gesundheitswesen, all das schafft Veränderung. Wandel schafft Chancen und Chancen schaffen Investitionen.
Blicken Sie mehr auf langfristiges Wachstumspotenzial oder auch auf kurzfristige Erfolge?
Tendenziell langfristig. Wenn Positionen stark gestiegen sind, reduzieren wir sie, und wenn sie fallen, stocken wir auf – wie bei Dexcom. Wir verbringen viel Zeit damit, uns mit makroökonomischen Aspekten zu beschäftigen und uns Gedanken über das Zinsumfeld und die Inflation zu machen und darüber, was passieren wird. Im Jahr 2021 haben wir zum Beispiel ein paar Banken gekauft, aber wir haben dabei versucht, sicherzustellen, dass diese Banken Wachstumscharakter im Sinne unseres Investmentansatzes haben, und nicht einfach eine Wells Fargo oder eine Goldman Sachs in das Portfolio aufzunehmen. Wir versuchen also immer, uns an dieses Qualitätswachstums-Mantra zu halten.
Also keine kurzfristigen Investments?
Wir kaufen nie etwas auf Sicht von zwei Monaten oder für ein bestimmtes Ereignis. Wir würden nie sagen: „Wenn das passiert, wird diese Aktie um 30% steigen, und dann können wir sie verkaufen.“ Das ist nicht das Ziel.
Zur Person: Stephen Kelly verwaltet die Axa-IM-Strategie US Responsible Growth Equity seit deren Auflage im Jahr 1997. Seine Investmentphilosophie hat sich bis heute nicht geändert. Auf dem US-Markt ist der studierte Wirtschaftswissenschaftler schon 32 Jahre lang tätig.
Das Interview führte Tobias Möllers.