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„Wir rechnen mit einem volatilen Seitwärtsmarkt“

Jan Viebig empfiehlt angesichts des herannahenden Zinshochpunkts eine schrittweise Erhöhung der Anleihe-Duration. Am Aktienmarkt sollten Anleger nach Meinung des Co-CIO von Oddo BHF aufgrund einer erwarteten wirtschaftlichen Abschwächung vorsichtig agieren.

„Wir rechnen mit einem volatilen Seitwärtsmarkt“

Im Interview: Jan Viebig

„Wir rechnen mit einem volatilen Seitwärtsmarkt“

Co-Chief Investment Officer von Oddo BHF rät zu vorsichtigem Vorgehen am Aktienmarkt und schrittweiser Erhöhung der Anleihe-Duration

Jan Viebig empfiehlt angesichts des herannahenden Zinshochpunkts eine schrittweise Erhöhung der Anleihe-Duration. Am Aktienmarkt sollten Anleger nach Meinung des Co-CIO von Oddo BHF aufgrund einer erwarteten wirtschaftlichen Abschwächung vorsichtig agieren.

Herr Viebig, welchen Eindruck hinterlässt bei Ihnen die Quartalsberichtssaison?

Sie läuft nicht schlecht. Was wir sehen, ist, dass sich bei den Unternehmen wiederholt, was in der Volkswirtschaft passiert. Das Wachstum verlangsamt sich, was unter anderem eine Folge der Leitzinserhöhungen ist. Zu Beginn des Quartals erwartete der Konsens für die USA einen Rückgang der Gewinne im Vorjahresvergleich um 7,2%. Jetzt geht der Factset-Konsens von einem Rückgang um 2,2% aus. Die Ergebnisse sind besser als erwartet, aber sie sinken. In Europa stagniert die Wirtschaft und bei den Gewinnen geschieht das Gleiche.

Wie stark wirken sich die Zinserhöhungen aus?

Die Zinsen sind sehr deutlich angehoben worden. Die Fed hat die Spanne ihres Leitsatzes von 0 bis 0,25% auf 5 bis 5,25% erhöht. Fünf Prozentpunkte sind enorm viel, es ist die stärkste Erhöhung seit Anfang der achtziger Jahre. Für US-Immobilien liegt der Zins bei 30-jähriger Zinsbindung über 6%. Höhere Zinsen wirken sich mit einer Verzögerung von 12 bis 18 Monaten auf die Volkswirtschaft aus. Stärkere Auswirkungen sehen wir schon im Immobilienbereich und in bestimmten Bereichen des Bankensektors.

Letzteres hat Befürchtungen über eine Bankenkrise aufkommen lassen. Wie sehen Sie das?

Was aktuell zuweilen als Bankenkrise bezeichnet wird, ist ein Problem in den USA und nicht in Europa, und in den USA ist nicht der gesamte Sektor betroffen, sondern die Regionalbanken. In der Covid-Krise sind den Banken viele Einlagen zugeflossen. Gleichzeitig hat Trump die Regulierung gelockert. Die Asset-Grenze für Banken, für die eine geringere Regulierung gilt, wurde von 50 Mrd. auf 250 Mrd. Dollar angehoben. In der Folge sind Banken mehr Risiken eingegangen. Die Silicon Valley Bank hatte unrealisierte Verluste in ihrem Held-to-Maturity-Portfolio. Das ist für sich kein Problem, wenn die Anleihen tatsächlich bis zum Laufzeitende gehalten werden. Die unrealisierten Verluste des US-Bankensektors belaufen sich auf 620 Mrd. Dollar bei einem Eigenkapital von insgesamt 2,1 Bill. Dollar. Zum Problem werden die unrealisierten und zunächst nicht ergebniswirksamen Verluste, wenn Kunden Einlagen abziehen und die Wertpapiere mit Verlusten verkauft werden müssen, um Liquidität zu schaffen. Die Silicon Valley Bank wies unrealisierte Verluste in ihrem HTM-Portfolio in Höhe von 15 Mrd. Dollar aus, bei einem Eigenkapital von 16 Mrd. Dollar. Innerhalb von nur eineinhalb Tagen wurden Einlagen in Höhe von 42 Mrd. Dollar abgezogen. Die Bank wurde daher von der Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) übernommen, um die Einlagen der Kunden zu schützen.

Wie kritisch ist die Lage am US-Immobilienmarkt?

Hier ist das Problem, dass die Zinsen stark gestiegen sind und gleichzeitig die Immobilienpreise sehr hoch sind. In den USA entspricht der Preis einer Immobilie dem 4,5-Fachen eines mittleren Familieneinkommens. Das ist ungefähr so hoch wie vor der Finanzkrise. Allerdings haben wir nicht das gleiche Problem wie 2009, nämlich notleidende Kredite, die damals in Mortgage-Backed Securities und Collateralized Debt Obligations umverpackt wurden. Außerdem gibt es derzeit anders als damals keinen Credit Crunch. Die Fed hat als Lehre aus der Finanzkrise großzügig Liquidität bereitgestellt.

Machen die Notenbanken nicht einen Fehler, drohen sie nicht zu weit zu gehen und einen schweren Einbruch der Wirtschaft auszulösen?

Die Kreditvergabe in den USA wird als Folge der höheren Zinsen weiter deutlich zurückgehen. Das ist auch das Ziel der Fed, denn es sollen weniger Kredite vergeben werden, um die Nachfrage zu dämpfen. Die EZB hat die Zinsen ebenfalls deutlich erhöht. Beide Notenbanken haben richtig auf die Inflation reagiert, und zwar aus sozialen Gründen. Die hohe Inflation bringt Menschen mit niedrigen Einkommen in Schwierigkeiten. Die Fed treibt am meisten um, ob es ihr gelingen wird, den Arbeitsmarkt zu schwächen. Die Arbeitslosenrate ist mit 3,4% historisch niedrig. Der europäische Arbeitsmarkt ist ebenfalls stark, aber es gibt ein größeres Problem. Die Kerninflation ist immer noch sehr hoch. In den zurückliegenden Monaten ist sie noch gestiegen. Die EZB ist daher gezwungen, die Zinsen weiter anzuheben. In den USA sind wir nahe am Zins-Peak, vielleicht ist dieser bereits erreicht. Die EZB wird ihren Leitzins noch um 50 Basispunkte erhöhen, vielleicht mehr. Der Einlagesatz wird auf 3,75% oder sogar 4% steigen.

Wie sehen Ihre Wachstumserwartungen aus?

Wir haben an den Anleihemärkten der USA und Europas eine inverse Zinskurve. Das ist ein sehr guter Indikator für eine kommende Rezession. Bei jeder Rezession in den Vereinigten Staaten gab es zuvor eine inverse Zinskurve. Sie ist eine relative gute Indikation, dass sich die Volkswirtschaft abschwächen wird. Wir erwarten für die USA in diesem Jahr ein Wachstum von 1,5%. In Deutschland gehen wir von minus 0,1%, also einer Stagnation aus.

Wie wird die Fed auf eine Abschwächung reagieren?

Der Markt erwartet, dass die Zinsen relativ bald wieder deutlich zurückgehen werden. In den Fed Fund Futures ist eine Senkung des US-Leitzinses um 100 Basispunkte bis zum Februar 2024 eingepreist. Das wird nicht passieren. Denn der amerikanische Arbeitsmarkt ist noch sehr stark, wodurch der private Konsum noch recht robust ist. Außerdem zeigt die Historie, dass die Fed ihren Zins typischerweise zwischen fünf und zwölf Monate lang auf hohem Niveau belässt. Nicht zuletzt ist die Kerninflation auch in den USA sehr hoch.

Was sollen Anleger aus der derzeitigen Gemengelage machen?

Angesichts des in Sichtweite geratenden Zinshochpunkts muss man am Anleihemarkt die Duration langsam schrittweise erhöhen. Wenn man glaubt, dass die Zinsen in Europa länger steigen als in den USA, werden die Zinsdifferenzen kleiner, so dass man sich außerdem darauf einstellen sollte, dass der Euro aufwertet. Je nach Basket liegt die Kaufkraftparität bei 1,41 Dollar. Durch die Flucht in Sicherheit gab es einen Angebotsschock am Devisenmarkt, der irgendwann endet. Das wird dazu führen, dass der Euro aufwertet. Ferner muss man, wenn man von einer wirtschaftlichen Abschwächung ausgeht, am Aktienmarkt etwas vorsichtiger sein. Langfristig sind wir aber unverändert überzeugt, dass Aktien eine gute Anlage sind. Momentan veranlassen die Turbulenzen bei den US-Regionalbanken und die Möglichkeit eines deutlichen Abschwungs die Investoren zur Vorsicht. Wir rechnen mit einem volatilen Seitwärtsmarkt bis September und mit dann auch besseren Einstiegskursen.

Wie gestaltet sich die Bewertungslage an den Aktienmärkten?

In den Vereinigten Staaten weist der S&P 500 ein Kurs-Buch-Verhältnis von rund 4 auf. Damit ist der Markt im Vergleich zu seiner Historie relativ teuer. In Europa liegt das Kurs-Buchwert-Verhältnis bei 1,7. Das bedeutet nicht, dass europäische Aktien billig sind. Sie sind immer niedriger bewertet als US-Aktien. Im Vergleich zur Historie befinden sie sich nahe am Mittelwert. Das ist ein Grund, für Europa relativ zu den USA etwas zuversichtlicher zu sein.

Jan Viebig ist Co-Chief Investment Officer der Oddo BHF SE und zugleich Geschäftsführer der Oddo BHF Trust GmbH. Damit ist er für die diskretionäre Vermögensverwaltung im Private Wealth Management der Bank sowie für die Polaris-Fondspalette der Oddo BHF Asset Management verantwortlich. Davor war der promovierte und habilitierte Wirtschaftswissenschaftler in leitenden Positionen unter anderem bei der Vontobel Asset Management, bei der Credit Suisse und der DWS Investment tätig.

Das Interview führte Christopher Kalbhenn.

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