Im InterviewTammo Diemer, Deutsche Finanzagentur

"Wirtschaftliche Vorteile werden konterkariert"

Der Bund stellt 2024 die Emission von Inflationsanleihen komplett ein. Das kündigt Tammo Diemer, Geschäftsführer der Deutschen Finanzagentur, die das Liquiditäts- und Schuldenmanagement des Bundes regelt, im Interview der Börsen-Zeitung an.

"Wirtschaftliche Vorteile werden konterkariert"

Im Interview: Tammo Diemer

„Wirtschaftliche Vorteile werden konterkariert“

Finanzagentur-Chef über Einstellung der
inflationsindexierten Bundesanleihen

Der Bund stellt 2024 die Emission der inflationsgeschützten Bundesanleihen komplett ein. Der Grund ist laut Tammo Diemer, Geschäftsführer der Deutschen Finanzagentur, in der mangelnden Wirtschaftlichkeit des Refinanzierungsinstrumentes zu sehen. Grüne Bundesanleihen will Diemer künftig dagegen stärken.

Herr Diemer, Inflation ist nach wie vor in aller Munde, auch wenn die Inflationsraten nicht mehr auf den mehrjährigen Hochs sind. Die Notenbanken befinden sich weiter im Kampf gegen die Teuerung. Der Bund ist am Kapitalmarkt im Inflationsbereich mit inflationsgeschützten Anleihen – sogenannten Linkern – vertreten. Wie geht es mit dem Programm 2024 weiter?

Seitens des Bundes haben wir uns entschieden, uns aus dem Markt für inflationsindexierte Anleihen zurückzuziehen. Der Bund kann auch in Phasen eines sehr hohen Finanzierungsbedarfs die erforderlichen Mittel problemlos über die konventionellen Finanzinstrumente und die grünen Bundeswertpapiere abdecken. Da wir bei diesen Produkten der Benchmark-Emittent im Euroraum sind, bedeutet das für uns auch verhältnismäßig günstige Konditionen in der Refinanzierung.

Was ist die Begründung für diesen Rückzug aus dem Markt der inflationsgeschützten Staatsanleihen, der ja doch etwas überraschend daherkommt? Sind dem Bund die Linker letzten Endes zu teuer geworden in den Phasen der Inflationsanstiege?

Langfristig gesehen werden aus Sicht des Staates die wirtschaftlichen Vorteile inflationsindexierter Bundeswertpapiere als weiteres Finanzierungsinstrument durch die damit verbundenen Risiken konterkariert. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Planungssicherheit als auch hinsichtlich des Risikos hoher Finanzierungskosten des Bundes in einzelnen Jahren.

Aufgrund der Inflationsentwicklung wird die Nachfrage der Investoren nach Linkern aber wahrscheinlich steigen. Sehen Sie darin keine Chance, ein liquides Bond-Segment aufzubauen, was in den vorigen Jahren nur bedingt gelungen ist?

In der Tat standen wir jetzt vor der Entscheidung, entweder die Linker deutlich auszubauen, um auch dort unsere Liquiditätsziele zu erreichen, oder uns allein auf die nominalen Instrumente zu konzentrieren, die die Benchmark für das Euro-Währungssystem sind. Mit dem jetzt eingeschlagenen Weg stärken wir perspektivisch die vorteilhafte Position des Bundes bei den konventionellen und den grünen Bundeswertpapieren. Der Bund wird sich auf diese Instrumente konzentrieren, um auch in Phasen eines geringeren Finanzierungsbedarfs die konventionellen und grünen Bundeswertpapiere so liquide wie möglich zu halten.

Wie sieht es mit der Wirtschaftlichkeit der Linker in diesem Zusammenhang aus?

Durch die Einbeziehung von Stressszenarien der Inflationsentwicklung in unsere Kosten-Risiko-Abwägung zeigt sich, dass der Beitrag der inflationsindexierten Anleihen zur Finanzierung des Bundes mit Blick auf ihre Wirtschaftlichkeit eher gering ist.

Was passiert mit dem bestehenden Programm an Linkern? Wird es noch Aufstockungen der Papiere geben, oder wird das Programm in diesem Umfang, so wie es Ende des Jahres bestehen wird, über die nächsten Jahre hinweg einfach auslaufen?

Aktuell stehen inflationsindexierte Bundeswertpapiere im Volumen von 66,25 Mrd. Euro aus und werden weiterhin am Markt handelbar sein. Es handelt sich um vier Linker-Papiere mit Restlaufzeiten zwischen 2,5 und 22,5 Jahren. Das Programm bleibt so bestehen.

Gibt es schon Resonanz von Investoren auf die Entscheidung, die Linker komplett einzustellen?

Die inflationsindexierten Anleihen haben in der Vergangenheit stets einen geringen Finanzierungsbeitrag geleistet. Aufgrund der Marktsituation und Investorenpräferenzen wurden den konventionellen Produkten regelmäßig sehr hohe Volumina zugeteilt. Nur 3,5% der ausstehenden Bundeswertpapiere sind an die Inflation gelinkt. Das Segment der inflationsindexierten Bundeswertpapiere hat sich damit in den vorigen 18 Jahren zu keinem hochliquiden Marktsegment gemäß unseren Standards entwickelt. Es ist ein Nischenprodukt geblieben. Am jährlichen Neuemissionsgeschäft betrug der Anteil der Linker in den vergangenen Jahren sogar nur zwischen 1,0% und 1,6%. Wir erwarten daher durch die Einstellung der Linker-Aktivitäten keine signifikante Marktreaktion.

Nun waren bzw. sind die Linker ja nie ein elementarer Bestandteil der Refinanzierungsstrategie des Bundes, die Emissionsvolumina blieben über die Jahre hinweg in etwa auf dem gleichen Niveau – mit leichten Schwankungen. Wie ist es um die wirtschaftlichen Vorteile dieses Produktes im Gesamtkontext des Bundesportfolios bestellt?

Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass diese Instrumente mit einer hohen Volatilität auf die Zinsausgaben des Bundeshaushalts wirken. Wir erwarten zwar nicht, dass sich dieses Risiko mit seinen Spitzen in der Inflationsentwicklung in den kommenden Jahren in vergleichbarer Größenordnung wiederholen wird. Aber langfristig können solche temporären Phasen nicht ausgeschlossen werden. Diese Risikoabwägung spielt bei unserer Entscheidung eine wesentliche Rolle. Jedoch hat die Begebung der inflationsindexierten Anleihen das Schuldenportfolio auch diversifiziert. Inflationsindexierte Bundeswertpapiere haben über viele Jahre einen positiven Beitrag zur Optimierung der Finanzierungskosten bewirkt, d.h., sie haben ihren Beitrag zur Balance zwischen Finanzierungskosten und Planungssicherheit des Schuldenportfolios geleistet. In den vorigen Jahren hat sich dieses Verhältnis marktbedingt aber ins Gegenteil verkehrt.

Kommen wir zu den nominalen Bundeswertpapieren: Droht nach dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Nachtragshaushalt die Liquidität der nominalen Bundeswertpapiere zu leiden, da der Finanzierungsbedarf für Bundeswertpapiere zurückgeht?

Nein. Wir haben auch im kommenden Jahr ein großes Volumen an fällig werdenden Bundeswertpapieren, was dazu führt, dass wir auch in 2024 einen großen Refinanzierungsbedarf haben werden, der sich aus den Fälligkeiten der Papiere und den weiteren Finanzierungsbedarfen ergeben wird. Und insofern ist die Liquidität der Bundeswertpapiere gesichert. Was das Handelsvolumen der Papiere angeht: Auch dieses ist ausgesprochen hoch und wird hoch bleiben. Beispielsweise hatten wir im vergangenen Jahr über das gesamte Jahr hinweg betrachtet ein Handelsvolumen, das dem Volumen des Jahres 2007, also einem Jahr vor der Finanzmarktkrise, entsprochen hat. Und wir gehen davon aus, dass sich auch das Jahr 2023 insgesamt durch hohe Sekundärmarktumsätze in Bundeswertpapieren auszeichnen wird.

Sie haben es angesprochen: Wie stufen Sie den Kapitalmarktauftritt des Bundes 2023 ein?

Wir werden in 2023 insgesamt ein Emissionsvolumen in allen Bundestiteln von 500 Mrd. Euro erreichen, zusammengesetzt aus Auktionen und Syndikaten. Das ist ein Rekordjahr für den Bund mit einer sehr guten Investorennachfrage. Ablesbar ist dies beispielsweise an der Nachfrage in unseren über 120 Auktionen, gemessen am Ordervolumen mit einer durchschnittlichen Überzeichnung von 1,5.

Und wie sind die Perspektiven für 2024?

2024 wird es gemäß unseren Planungen zu einer gewissen Reduktion des Emissionsvolumens kommen. Aber wir werden dennoch ein signifikantes Volumen haben, das sehr deutlich über den Jahren vor der Corona-Pandemie liegt.

Der Bund ist bekanntlich nicht nur bei konventionellen, sondern auch im Bereich der grünen Bundesanleihen vertreten. Wie geht es mit den Green Bonds 2024 weiter?

Wir werden 2024 das Emissionsvolumen in grünen Bundesanleihen erneut erhöhen können. Wenn wir 2023 eine Spanne zwischen 15 und 17 Mrd. Euro angestrebt haben, fassen wir 2024 eine leicht erhöhte Bandbreite zwischen 17 und 19 Mrd. Euro ins Auge, um so dieses Segment, was das Volumen der grünen Papiere betrifft, weiterzuentwickeln. Wir haben vor, 2024 eine neue Laufzeit zusätzlich zu den sieben ausstehenden grünen Bundeswertpapieren zu begeben. Und wir werden die bestehenden Anleihen weiter aufstocken und so die Liquidität dieses Segments im Sekundärmarkt weiter erhöhen und stärken.

Können Sie schon was zur neuen Laufzeit sagen?

Nein, das werden wir im Dezember bei unserer Emissionsplanung für 2024 verkünden. Bisher ist hierüber noch keine Entscheidung gefallen. Es kommt eine fünfjährige oder eine zehnjährige Laufzeit in Frage. Wenn Sie sich das grüne Laufzeitenprofil ansehen, dann sind das die offensichtlichen Kandidaten.

Nun hat sich ja am Markt im Laufe der Jahre auch ein sogenanntes Greenium herausgebildet, also ein Renditevorteil der grünen Bundesanleihen gegenüber den konventionellen, nichtgrünen Bundesanleihen, was verständlicherweise auch Marktschwankungen unterlag. Wie zufrieden sind Sie mit der Entwicklung des Greeniums?

Im langen Laufzeitenbereich, also bei zehn und 30 Jahren, ist das Greenium bzw. sind die Greenia im aktuellen Jahr zusammengelaufen, d.h., der Abstand der Renditen hat sich verringert. Damit sind wir nicht zufrieden. Hingegen haben wir im vorderen, also kürzeren Laufzeitenbereich am Primärmarkt nennenswerte Greenia erzielen können, und das ist uns wichtig. Es geht uns hierbei nicht nur um den Wert des grünen Elements per se, sondern unsere grünen Emissionsaktivitäten haben auch einen Referenzcharakter für andere Green-Bond-Emittenten.

Was streben Sie in dieser Hinsicht für 2024 am Green-Bond-Markt an?

Der Beitrag des Finanzmarktes besteht nun mal insgesamt darin, mit Hilfe grüner Anleihen und grüner Finanzmarktprodukte die Transformation der Realwirtschaft zu begleiten. Die Bewältigung der Herausforderungen des Klimawandels soll bestmöglich finanziert werden. Verlässlich und günstig aus Sicht des Emittenten. Insofern ist ein Greenium von großer Bedeutung für uns, und wir setzen viel daran, dass wir auch im kommenden Emissionsjahr 2024 wieder bedeutendere Greenia im Primärmarkt des Bundes sehen werden, insbesondere auch am langen Laufzeitende der grünen Kurve.

Was streben Sie in der Laufzeitenstruktur des Bundeswertpapierportfolios in nächster Zeit an?

In den vergangenen Jahren hat der Bund eine risikoaverse Steuerung des Schuldenportfolios verfolgt. So werden wir auch im Jahr 2024 ein relevantes Gewicht in den langen Laufzeiten haben, wie Investoren es auch in den vorigen Jahren  beobachten konnten.

Das Interview führte Kai Johannsen.

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