Anlagethema im Brennpunkt

Wohin gehen die Renditen? Ein Erklärungsansatz

Daniel Winkler, Multi Asset Strategist bei Lampe Asset Management, erläutert, warum die Fed die Zinsen länger höher halten dürfte.

Wohin gehen die Renditen? Ein Erklärungsansatz

Wohin gehen die Renditen? Ein Erklärungsansatz

Der versuchte Ausbruch der zehnjährigen US-Treasury-Rendite aus ihrem langfristigen Abwärtskanal (09/1981-03/2020-­Abwärtsbewegung) in der zweiten Augusthälfte 2023 war spektakulär. Mit 4,35% in der Spitze zog die Benchmark-Rendite jenseits des Atlantiks die Aufmerksamkeit des Marktes auf sich. Erste Stimmen wurden laut, welche die Marke von 5,00% als nächstes, kurzfristiges Anlaufziel postulierten. Vor rund dreieinhalb Jahren rangierte die zehnjährige US-Treasury-Rendite zumindest zeitweise unter 0,50%. Was ist in der Zwischenzeit passiert, und vor allem, wie geht es in den kommenden Quartalen in Sachen Renditeentwicklung weiter?

Die jüngste Versteilerung der Renditekurve (Bear Curve Steepening) zeigt unseres Erachtens, dass sich die Anleger weniger mit der nächsten Zinsentscheidung auseinandersetzen und mehr mit den weitaus größeren Kräften, die Wachstum und Inflation über dieses Jahr hinaus prägen werden: geopolitische Konfrontation, transformative Technologien und extreme Wetterbedingungen.

Zwar ist die Verbraucherpreisinflation in den USA in nur zwölf Monaten von 9% auf rund 3% gesunken, und die Arbeitslosigkeit liegt immer noch auf dem niedrigsten Stand seit 50 Jahren. Jedoch signalisieren steigende langfristige Zinssätze, dass die Annahme von anhaltenden Deflationskräften (Globalisierung, Technologie und Demografie) hinterfragt werden muss. Hier kommt eine Würdigung des neutralen Zinssatzes ins Spiel. R-Star, oft auch als R* bezeichnet, ist der reale Zinssatz, bei dem sich die Nachfrage nach Ersparnissen und Investitionen in der Wirtschaft im Gleichgewicht befindet. Ein neutraler Leitzins ist weder wachstumsfördernd noch inflationshemmend. Mit anderen Worten: Die Geldpolitik ist weder straff noch locker.

In den jüngsten Wirtschaftsprognosen der Fed vom Juni 2023 wird der längerfristige Leitzins im Median auf 2,5% geschätzt. Zieht man das Inflationsziel der US-Währungshüter von 2% ab, so ergibt sich ein geschätzter neutraler Zinssatz von 0,5%, was der mittleren Schätzung der Fed seit 2019 entspricht. Ein wesentlicher Knackpunkt bei der neutralen Rate: Er ist nur im Nachhinein einigermaßen beobachtbar.

Ein Übermaß an Ersparnissen, das sich während der Pandemie angesammelt hat (Stichwort historisch einmalige Reaktion von Fiskal- und Geldpolitik auf die Coronakrise) sowie die Tatsache, dass Unternehmen und Hausbesitzer langfristige Kredite zu niedrigen Zinssätzen aufgenommen haben, könnte dazu führen, dass der neutrale Zinssatz steigt – zumindest auf kurze Sicht. Das bedeutet, dass der Leitzins höher sein müsste, um das Wachstum zu bremsen. Der neutrale Zinssatz könnte daher kurzfristig bei 1,5% oder 2,0% liegen, wie jüngste Untersuchungen von New York Fed und Internationalem Währungsfonds zeigen. Damit wäre ein aktueller Leitzins von 5% bei gegebenen Inflationserwartungen nicht hinreichend restriktiv.

Neuer Inflationsdruck

Russlands Einmarsch in der Ukraine, Chinas Drohungen gegen Taiwan und die anhaltenden Unruhen im Nahen Osten haben zu einer Aufstockung der nationalen Waffenarsenale geführt. Die zunehmenden Spannungen haben nicht nur zu erheblichen Erhöhungen der Verteidigungsausgaben geführt, sondern auch neue Handelszölle gerechtfertigt und kostspielige Anpassungen der Lieferketten erzwungen. Während diese geopolitischen Spannungen einen neuen Inflationsdruck erzeugen, werden die zunehmenden technologischen Fortschritte (Stichwort KI) wahrscheinlich das Gegenteil bewirken; Robotik und Automatisierung senken die Herstellungskosten. Ferner wird sich die internationale Arbeitsteilung, sprich Globalisierung, partiell in bestimmten Regionen wieder durchsetzen. Und auch die Demografie wird als inflationsdämpfender Faktor wieder in den Fokus rücken. Mittel- bis langfristig dürfte R* demnach wieder sinken.

Summa summarum könnten die aktuellen realen Zinssätze nicht so restriktiv wirken, wie die Marktteilnehmer und Zentralbanken dachten, und infolgedessen werden Zinserhöhungen weder die Wirtschaft verlangsamen noch die Inflation so stark abschwächen, wie die Fed erwarten würde. Letztlich dürfte die Fed unseres Erachtens die Zinsen länger höher halten, als der Markt dies bislang erwartet. Dies könnte kurzfristig zu weiteren Renditeausschlägen nach oben führen, die sich jedoch über die kommenden Monate nivellieren sollten.

Letztlich dürften die langfristigen Renditen den Verlaufspfad von R* vorwegnehmen und gegen Jahresende moderat tiefer rangieren. In anderen Worten: Die Inflationsraten dürften weiter fallen, die mittelfristigen Inflationsrisiken dürften in den Hintergrund und Wachstumssorgen in den USA in den Vordergrund treten.

Daniel Winkler

Multi Asset Strategist Investment-Strategie Lampe Asset Management

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