AUSBLICK

Zinsgetriebene Rally ein zweischneidiges Schwert

Fundamental trübt sich das Bild für Aktien ein

Zinsgetriebene Rally ein zweischneidiges Schwert

Von Christopher Kalbhenn, FrankfurtDie Kehrtwende der Notenbanken sorgt für eine beeindruckende Hausse an den Anleihemärkten und verleiht auch den Aktienmärkten Flügel. Zwar hat der überraschend starke US-Arbeitsmarkt die Zinssenkungsspekulation am Freitag gedämpft. In etlichen Industrieländern befinden sich die Anleiherenditen dennoch auf bislang ungesehenen Tiefen. In der abgelaufenen Woche hat die zehnjährige Bundrendite mit einem Rekordtief von -0,40 % das Niveau des Einlagensatzes der EZB erreicht, und die 20-jährige Bundrendite betrat vorübergehend erstmals den Negativzinsbereich, ehe sie durch den US-Arbeitsmarktbericht wieder leicht positiv wurde. Jubel könnte schnell verfliegenDer Notenbankschwenk und die nachgebenden Anleiherenditen sind der Treibstoff hinter der Rally an den Aktienmärkten, die von relativ zu verzinslichen Wertpapieren günstigen Bewertungen und dem Mangel an Anlagealternativen profitieren. Allerdings ist ihr zins- bzw. notenbankgetriebener Aufschwung seit Jahresbeginn ein zweischneidiges Schwert. Denn fundamental hat sich ihre Lage durch die Wachstumsabschwächung und die politischen Unsicherheiten vor allem aufgrund der Handelskonflikte und des Brexit eingetrübt. Nicht zu vergessen, dass sich der Konjunkturzyklus in einem weit fortgeschrittenen Stadium befindet. Der Jubel über die nun erwarteten drei bis vier Zinssenkungsschritte der Fed könnte schnell verfliegen, wenn sich die wirtschaftliche Lage tatsächlich so verschlechtern würde, dass die Zinssenkungen auch gerechtfertigt wären.Einige Banken und Assetmanager raten vor diesem Hintergrund zur Vorsicht. So hat Columbia Threadneedle die Aktienquote in ihren Multi-Asset-Portfolios auf neutral zurückgefahren. In letzter Zeit habe sich die Lage überwiegend zum Schlechteren verändert. Die Handelskriege seien erneut ausgebrochen, die Gefahr eines ungünstigen Brexit sei wieder präsent und zumindest aus einigen Winkeln der Finanzmärkte kämen Warnsignale bezüglich der künftigen Konjunktur- und Gewinnentwicklung. Die Bottom-up-Gewinnprognosen für den globalen Aktienmarkt insgesamt seien gegenüber dem Vorjahr sowohl für 2019 als auch für 2020 um 9 % gesunken. Mittlerweile werde für dieses Jahr weltweit mit einem Nullwachstum der Unternehmensgewinne gerechnet, während die Prognose im letzten Quartal 2018 noch plus 10 % betragen habe. Mögliche Unterstützung von Seiten der Notenbanken sei kein Garant für weiter steigende Aktienkurse. Risikoanlagen wie Aktien könnten zwar weiterhin Unterstützung finden, solange Leitzinssenkungen genügten, um schwache Gewinne oder Cash-flows auszugleichen, so der Assetmanager. Allerdings sei dies ein prekäres Gleichgewicht, das sich besser für Unternehmensanleihen eigne.Die Hamburg Commercial Bank rechnet mit Kursrückgängen an den Aktienmärkten in der zweiten Jahreshälfte. Wenn die geldpolitische Lockerung der Notenbanken nicht so stark ausfalle wie erhofft, könnte sich schnell Enttäuschung in Form von sinkenden Aktienkursen breitmachen, so das Institut. “Unser Über- bzw. Unterbewertungsmodell zeigt zumindest für den S&P 500 eine steigende Überbewertung an, für den Dax liegt nach dem Modell noch eine Unterbewertung vor.” Ihre pessimistische Einschätzung begründet die Bank auch mit erheblichen Risiken für die Konjunkturentwicklung und verweist auf den Handelskonflikt sowie den Brexit. Den Dax (aktuell bei 12 569) erwartet die Bank Mitte 2020 bei 11 300 Zählern.