Niedrige Verzinsung

Zinswende ade

Seit einigen Wochen geistert durch die Kapitalmärkte, dass es zu einem deutlicheren, wenn nicht sogar nachhaltigen Renditeanstieg bei den Staatsanleihen der Eurozone und den US-Staatsbonds (US-Treasuries) kommen könnte. Die Anleger positionierten...

Zinswende ade

Seit einigen Wochen geistert durch die Kapitalmärkte, dass es zu einem deutlicheren, wenn nicht sogar nachhaltigen Renditeanstieg bei den Staatsanleihen der Eurozone und den US-Staatsbonds (US-Treasuries) kommen könnte. Die Anleger positionierten sich dafür, was allein schon für einen Anstieg der Renditen bei den betreffenden Papieren sorgte. Diese Erwartung steigender Zinsen bzw. Staatsanleiherenditen ist nicht nur überzogen, sie wird sich ins Gegenteil verkehren. Die Renditen werden wieder fallen, im Ergebnis bleibt der Markt auf historisch niedrigen Zins- bzw. Anleiherenditeniveaus und das aus sieben Gründen.

Erstens: die Covid-19-Pandemie. Diese Pandemie ist mitnichten in ein paar Wochen oder Monaten vorüber. Sie wird die Wirtschaft, die Politik und die Gesellschaft noch lange Zeit im Griff haben. Die große Hoffnung war, dass das Ausrollen der Impfprogramme dazu führen wird, dass die Wirtschaft und damit auch die Gesellschaft schnell zur Normalität zurückkehren. Es zeigt sich aber immer mehr, dass es eben nicht so einfach ist. Bei Impfstoffen zeigen sich zum Teil sehr erhebliche Nebenwirkungen, auch von Impftoten wird immer wieder berichtet. Das bedeutet im Ergebnis, dass die Skepsis in der Bevölkerung über Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Impfstoffe nicht im Handumdrehen abnimmt, sondern vermutlich eher noch zunehmen wird. Im Ergebnis wird die Bevölkerung nicht so schnell geimpft, wie das mancher Experte im Vorfeld erwartet hatte. Mancher geht davon aus, dass es zu einer langsamen Durchseuchung kommen wird und eben nicht zu schnellen weitreichenden Impferfolgen. Das bedeutet, dass sich die gegenwärtige Situation mit allen ihren Beeinträchtigungen in wirtschaftlicher, aber auch in sozialer Hinsicht fortsetzen wird – zumindest die nächsten Monate. Wirtschaftliche Beeinträchtigungen sind nicht das Umfeld für Zins- bzw. Renditesteigerungen von Anleihen.

Geldpolitik bleibt locker

Zweitens: lockere Geldpolitik. In diesem Umfeld werden die großen Zentralbanken ihren Kurs der ultralockeren Geldpolitik wohl kaum ad acta legen, sondern, im Gegenteil, sie sind wachsam und werden eher noch mal nachlegen, wenn es zu neuerlichen Beeinträchtigungen in wirtschaftlicher Hinsicht kommt. Solche Beeinträchtigungen könnten sogar schneller kommen, als mancher wahrhaben möchte, nämlich dann, wenn weitere Virusmutationen auftreten, gegen die Impfstoffe nicht wirken, und womöglich mit anderen Impfstoffen nachgeimpft werden muss. Die Auswirkungen auf Wirtschaft und Soziales sind dann offenkundig. Das ist wahrlich keine Situation, die sich irgendjemand wünscht, aber sie lässt sich eben auch nicht ausschließen. Somit bleibt die Geldpolitik locker, und das bedeutet eben nicht höhere Zinsen, sondern niedrigere.

Drittens: die Pleiten bei SME (Small and Medium Enterprises). Die Geldpolitik wird in nächster Zeit noch mit einem ganz anderen wirtschaftlichen Phänomen konfrontiert. Insolvenzanmeldungen von Firmen kleinerer und mittlerer Größe sind vielerorten erst mal aufgeschoben. Aber aufgeschoben ist bekanntermaßen nicht aufgehoben. Diese Pleitewelle rollt unaufhaltsam auf die Märkte zu. Viele hoffen, dass eine schnelle Konjunkturtrendwende diese Welle aufhalten wird oder zumindest nicht so gravierend ausfallen lässt. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Sollte es zu einer großen Insolvenzwelle in vielen Ländern kommen, spricht das nicht für einen Übergang zu einer restriktiveren Geldpolitik. Denn schließlich sind viele dieser kleineren und mittleren Firmen auch Zulieferer von großen Konzernen, die dadurch auch in Mitleidenschaft gezogen werden. Und die Insolvenzen selbst hinterlassen ebenfalls Spuren in Form von Arbeitslosen und damit Konsumausfall. Die insolventen Firmen fallen zudem als Nachfrager für Investitionsgüter aus. Man muss wahrlich kein Hellseher sein, um sich ausmalen zu können, was das für das Thema Zinswende bedeutet: Zinswende ade.

Inflation wird enttäuschen

Viertens: Erholung der Konjunktur und Inflationsanstieg. In diesem Umfeld dürfte aus der viel zitierten Konjunkturerholung in dem erhofften Ausmaß wohl kaum etwas werden. Sicher: Wenn es zu Öffnungen kommt, dann wird es in einigen Bereichen Nachholeffekte geben, vermutlich vor allem im Restaurantbereich und im Tourismus. Aber das werden vielfach Einmaleffekte sein. Denn es ist ja kaum zu erwarten, dass nun etwa alle Bundesbürger gleich mehrmals im Jahr in den Urlaub fahren oder statt zu Hause jetzt ausschließlich im Restaurant speisen. Zudem ist zu berücksichtigen, wie lange die Unsicherheit bzw. in weiten Teilen der Bevölkerung auch Angst und Sorge in Sachen Pandemie schon vorhanden ist. Es handelt sich ja nicht um einen zweiwöchigen Lockdown, der danach in Normalität mündet. Allein die Unsicherheit, dass es zu erneuten Infektionswellen kommen könnte und dass der eigene Arbeitsplatz womöglich noch über Monate in Gefahr sein könnte, wird dazu führen, das der Konsum eben nicht so starke Erholungstendenzen entfalten wird, wie mancher denkt. Damit wird auch die Inflationsentwicklung nicht das vielfach erwartete Ausmaß annehmen. Ergebnis: Konjunktur- und Inflationsentwicklung werden keinen Anlass zu Sorge in Sachen höherer Zinsen geben. Kurzum: Die Renditen bleiben auch vor diesem Hintergrund niedrig.

Fünftens: Der Reflation Trade läuft aus. Wenn die Konjunktur- und Inflationsentwicklung nicht diesen erwarteten Weg geht, dann wird auch der Reflation Trade, der die Renditen am Bondmarkt nach oben getrieben hat, somit ins Leere laufen. Marktteilnehmer werden diese Position folgerichtig abbauen. Somit wird der Reflation Trade die Renditen noch ein wenig nach oben treiben können, bevor von dieser Seite dann sukzessive der Antrieb für höhere Rendite wegfallen wird, wenn offenkundig wird, dass Konjunktur und Inflation eine schwächere Entwicklung zeigen werden, die eben nicht die Zentralbanken auf den Plan rufen wird.

Flucht in Sicherheit

Sechstens: Flucht in Sicherheit. In dieser Gemengelage bleibt die Unsicherheit an den Kapitalmärkten hoch. Und was war schon in früheren Krisen dann zu beobachten: Flucht in die sicheren Häfen – davon profitieren immer auch die sicheren Bundesanleihen und US-Staatsanleihen. Allein diese Flucht in Sicherheit drückt schon deutlich auf die Renditen.

Siebtens: Investoren kaufen bei Renditeanstiegen. Seit Jahren kennen die Anleger bei den Anleiherenditen im Trend nur eine Entwicklung: hin zu immer niedrigeren Niveaus. Seit dem 30. November 2011 sind die Marktteilnehmer zudem mit einem bis zu jenem Datum nicht bekannten Phänomen konfrontiert: negative Anleiherenditen bzw. Zinsen – später auch Leitzinsen. Wenn es nun wirklich zu vorübergehenden Anleiherenditesteigerungen kommt, werden Anleger zugreifen. Positive Renditen werden sofort gern eingebucht. Versicherer und Pensionsfonds werden in großem Stil zugreifen. Allein das bremst den Renditeanstieg ab bzw. macht ihm womöglich den Garaus.

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