Alien-Invasion und L-pokalypse am Times Square
“Keine Verletzten, kein Feuer, keine Hinweise auf extraterrestrische Aktivitäten”, teilte die New Yorker Polizei in einem Tweet kurz nach den Weihnachtsfeiertagen mit und bezog sich damit nicht auf weihnachtlichen Familienkrach, unvorsichtig abgebrannte Kerzen am Weihnachtsbaum oder den Besuch des Christkindes. Das New York Police Department gab Entwarnung, nachdem ein Zwischenfall in einer Trafostation des Energieversorgers Con Edison im Stadtteil Queens den Himmel über New York vor zwei Wochen blau erleuchtet und in den sozialen Medien zu wilden Spekulationen über eine mögliche Invasion aus dem All geführt hatte. Kurz davor hatte es einen lauten Knall gegeben, dann war im Norden von Queens ein alles durchdringendes Summen zu hören, während in vielen Wohnungen die Lichter flackerten. Rauch stieg in den Nachthimmel auf, der in künstliches Licht getaucht war. “Wir dachten es wäre ein Ufo”, zitierte die “New York Times” einen Anwohner, Yiota Androtsakis. “Es war unheimlich”, erklärte sein Nachbar Mike, der seinen vollen Namen sicherheitshalber nicht nennen wollte. “Es war wie etwas aus dem All, als würden wir überfallen”, sagte Mike noch. Auf der Notrufhotline 911 gingen Hinweise auf einen angeblichen Flugzeugabsturz ein. Tatsächlich spürte der nahe gelegene La Guardia Airport den Zwischenfall bei Con Edison, was zu einigen Verspätungen führte. *Die Metropolitan Transportation Authority (MTA) teilte mit, dass die New Yorker U-Bahnlinie 7 wegen des Stromausfalls bei Con Edison, die übrigens schon seit 1824 und damit länger als jedes andere Unternehmen ohne Unterbrechung an der Nyse notiert ist, zeitweise ausgefallen war. Überhaupt sahen sich viele New Yorker wohl schon am Morgen nach dem Zwischenfall in ihrer Einschätzung bestätigt, dass eine Alien-Invasion im Vergleich zum Pendeln mit den öffentlichen Verkehrsmitteln der Stadt wohl das geringere Übel gewesen wäre, auch wenn die sogenannte “L-pokalypse” nun doch ausfallen soll. Denn die Reparaturen in einem U-Bahn-Tunnel unter dem East River, die nach den bisherigen Planungen die U-Bahnlinie “L” ab dem Frühjahr für mehr als ein Jahr stillgelegt und damit für chaotische Zustände im Pendelverkehr zwischen Brooklyn und Manhattan gesorgt hätten, sollen nun ohne Streckensperrung vonstatten gehen. Das kündigte der Gouverneur des Bundesstaates New York, Andrew Cuomo, der bei der MTA das Sagen hat, in der vergangenen Woche zur Überraschung der meisten Beobachter an. “Ich fühle mich so, als hätten wir drei Jahre lang eine Hochzeit geplant”, sagte Brad Hoylman, der im Senat des Bundesstaats auch Teile von Manhattan entlang der Linie L vertritt. “Wir kommen zum Altar, der Bräutigam ist abgehauen, und den Typen neben uns haben wir noch nie gesehen”, erklärte der Abgeordnete zu den Plänen für die Tunnelreparatur. *Die U-Bahnlinie L wird jeden Tag von 225 000 New Yorkern genutzt, die zwischen Brooklyn und Manhattan pendeln. Über den gesamten Streckenverlauf steigen täglich 400 000 Fahrgäste ein. Bei den Feierlichkeiten an Silvester auf dem Times Square, wo zum Jahreswechsel nach Einschätzung der meisten New Yorker ebenfalls apokalyptische Zustände herrschen, sind jedes Jahr zwischen 1 Million und 2 Millionen Menschen dabei. Das behauptet zumindest die Times Square Alliance, die die landesweit im Fernsehen übertragene Silvesterparty organisiert und auf Schätzungen der New Yorker Polizei verweist. Die Stadt, die jede Möglichkeit nutzt, New York als Nabel der Welt zu vermarkten, widerspricht nicht. Experten wie Keith Still, der an der Manchester Metropolitan University das Verhalten von Menschenmassen erforscht, halten die offiziellen Zahlen dagegen für übertrieben. “Im Allgemeinen wird die Größe von Massen um den Faktor 10 bis 100 überschätzt”, sagt der Professor für Crowd Science. Die Menge, die an Silvester bis zu 15 Stunden wartet, bevor sie von der New Yorker Polizei durch aufwendige Sicherheitskontrollen auf den Times Square geleitet wird, dürfte laut Still weniger als 100 000 Menschen umfassen.