Arbeitsloser Finanzausschuss
Es gab Zeiten, da wusste die Abgeordneten des Bundestags-Finanzausschusses nicht, wo ihnen der Kopf stand in der Gesetzgebung. Die Bundesregierung lieferte eine Reformvorlage nach der nächsten. Die Parlamentarier kamen mit den Beratungen kaum hinterher. Die Zeiten vollgestopfter Tagesordnungen sind seit dieser Legislaturperiode passé. Gerade einmal drei Mini-Vorhaben hat der Ausschuss derzeit auf seiner Tagesordnung: eine technische Reform zur Stromsteuerbefreiung, die Anpassung deutschen Rechts an die EU-Prospektverordnung mit Erleichterungen für kleinere Emittenten sowie den Gesetzentwurf für strengere Kontrollen von Schwarzarbeit. Sie werden Deutschland kaum rocken.Beraten und beschlossen hat der Ausschuss in dieser Legislaturperiode nur Gesetzgebungsvorhaben, bei denen die Regierung von äußeren Entwicklungen getrieben ist, Europarecht umsetzen musste oder dem Verfassungsdruck nachgab. Dazu gehört etwa das Brexit-Steuerbegleitgesetz – getrieben vom Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU -, die Umsetzung einer EU-Richtlinie zu Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung, ein Gesetz zur steuerlichen Förderung des Mietwohnungsbaus sowie ein Gesetz, das Betreiber digitaler Plattformen in die Haftung nimmt, wenn Online-Händler – gern aus Asien – hierzulande keine Umsatzsteuer abführen. Richtungsweisende Finanzpolitik zur Stärkung des Standortes hierzulande stellt man sich anders vor. Allein das Familienentlastungsgesetz, das über höhere Grundfreibeträge und mehr Kindergeld sowie eine Abmilderung der inflationsbedingten kalten Progression den Bürgern mehr Geld in der Tasche lässt, war ein spürbarer Schritt, aber auch keine politische Heldentat. Die Regierung muss regelmäßig die Grundfreibeträge überprüfen, damit das Existenzminimum steuerfrei bleibt.Im Ausschuss setzt die Opposition die Themen mittlerweile selbst, weil aus dem Bundesfinanzministerium wenig kommt. Der Ausschuss lädt Experten zu Fachgesprächen und Anhörungen. Das sind interessante Nachhilfestunden im Parlament: etwa zur Abschaffung des Solidaritätszuschlags, zu Lehren aus der Finanzkrise zehn Jahre danach, zur steuerlichen Forschungsförderung oder zur neuen Blockchain-Technologie. Dabei gäbe es Themen genug auf der Agenda der Regierung, die aber im Parlament nicht ankommen. Die steuerliche Forschungsförderung hängt in der großen Koalition fest. Die konkrete Ausgestaltung ist zwischen Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und der Union strittig. Ähnlich steht es mit der reformbedürftigen Grundsteuer. Scholz bläst heftiger Gegenwind aus unionsgeführten Bundesländern entgegen. Aus Sicht der Wirtschaft ist eine Unternehmenssteuerreform überfällig. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) macht sich aus Standortgründen dafür stark. Die Unionsfraktion im Bundestag entwirft nicht nur konkrete Vorschläge, sie startet an diese Montag auch eine öffentliche Gesprächsreihe zur “Modernisierung des Unternehmenssteuerrechts in Deutschland”. Das ist eine koalitionsinterne Kampfansage der besonderen Art.