Auftragsbücher der deutschen Industrie leeren sich
Auftragsbücher der Industrie leeren sich
Reichweite nimmt ab – Aussichten trüben sich weiter ein – Verstärkte Konjunktursorgen
ba Frankfurt
Von Alexandra Baude, Frankfurt
Die reibungsloser laufenden Lieferketten sorgen dafür, dass die deutsche Industrie liegengebliebene Aufträge im März weiter abarbeiten kann. Allerdings fehlt der Nachschub von Neubestellungen, so dass sich die Konjunktursorgen verstärken. Zumal weitere Industriedaten schwächer als erwartet ausgefallen waren.
Die Auftragsbücher der deutschen Industrie leeren sich sukzessive, da die Lieferketten immer reibungsloser funktionieren. Mit dem dünner werdenden Auftragspolster sinkt aber auch die Reichweite, also die Zeit, die die Unternehmen bei gleichbleibendem Umsatz theoretisch produzieren müssten, um die bereits vorhandenen Aufträge abzuarbeiten. So erfreulich es zwar ist, dass der Materialmangel ein immer geringeres Problem ist – die seit vergangenem Jahr schwachen Auftragseingänge werden sich parallel zum abgearbeiteten Auftragsüberhang verstärkt auswirken. Dabei sind gerade die noch randvollen Auftragsbücher und die schwindende Lieferkettenproblematik zwei der Argumente für die Ökonomen und Institutionen, die zuletzt ihre Wachstumsprognosen für die deutsche Wirtschaft für 2023 erhöht haben.

Laut Statistischem Bundesamt (Destatis) ist der Auftragsbestand im verarbeitenden Gewerbe preis-, saison- und kalenderbereinigt im März um 1,3% im Monatsvergleich gesunken. Einen stärkeren Rückgang zum Vormonat gab es zuletzt im Januar 2012. Im Vergleich zum Vorquartal sank der Auftragsbestand im ersten Vierteljahr 2023 um 1,0%. Im Vergleich zum März 2022 verzeichneten die Statistiker ein Minus von kalenderbereinigt 1,2%. Insbesondere der Rückgang um 2,5% im Bereich der Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen trug zu dieser Entwicklung bei. Im Bereich der Herstellung von Metallerzeugnissen hingegen legten die Bestände um 2,5% zu. Im März sanken die offenen Aufträge sowohl aus dem Inland (–1,2%), als auch aus dem Ausland (–1,4%). Die Reichweite des gesamten Auftragsbestands wiederum liegt laut Destatis nun bei 7,4 Monaten. Im Februar waren es noch 7,5 Monate.
Riege schwacher Industriedaten
Die Daten dürften die einziehende Konjunkturskepsis der Ökonomen stützen, denn auch das Zahlenwerk zu Auftragseingang, Produktion und Außenhandel war im März schwächer als erwartet ausgefallen. Zudem sind die weiteren Aussichten eher trübe. So deutet der Lkw-Maut-Index, der im April nur um schmale 0,1% zugelegt hat, eine eher stabile Industrieproduktion an. Da wirtschaftliche Aktivität Verkehrsleistungen erzeugt und benötigt, gilt der Lkw-Maut-Index als früher Hinweisgeber auf den Konjunkturverlauf, insbesondere aber für die Industrieproduktion. Diese war im März unerwartet kräftig um 3,4% zum Vormonat eingebrochen – so stark wie seit einem Jahr nicht mehr. „Für die kommenden Monate stehen die Signale auf einen deutlich langsameren Produktionsgang“, betonte Bastian Hepperle, Senior Economist bei der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank. Beim Auftragsbestand zeige der Trend seit dem Höhepunkt vergangenen Sommer leicht nach unten. Noch aber sei der Auftragsbestand hoch und sorge für eine anhaltende Produktion bei den Unternehmen, auch wenn keine neuen Aufträge hereinkämen. Im März verzeichnete die Industrie aber sogar einen Bestellrückgang von 10,7%. Ein drastischeres Minus gab es zuletzt in der ersten Coronawelle im April 2020.
Auch die Entspannung bei den Materialengpässen – im April berichteten 39,2% der vom Ifo-Institut befragten Firmen über Probleme nach 41,6% im März – ist noch kein wirklicher Fortschritt, obwohl es der geringste Anteil in den vergangenen beiden Jahren war. Denn nur in 4 von 18 betrachteten Branchen liegt der Wert unterhalb des jeweiligen langfristigen Mittelwertes. „Eine tiefgreifende Entspannung steht in der Industrie noch aus“, erklärte Ifo-Experte Klaus Wohlrabe. Ein ähnliches Bild zeichnet die Einkaufsmanagerumfrage. S&P Global berichtete im April über das dritte Rekordhoch des Teilbarometers zu den Lieferzeiten in Folge. Da dieser invertiert in die Berechnung einfließt, „hat er den Hauptindex zum wiederholten Mal nach unten gezogen“, wie S&P Global mitteilte. Wenig Veränderung erwarten Ökonomen von der Mai-Umfrage – erste Ergebnisse kommen am Dienstag. Das Barometer der Dienstleister dürfte trotz leichten Rückgangs Expansion anzeigen, während trotz Stimmungsaufhellung die Industrie im Kontraktionsmodus bleiben wird. Das Ifo-Geschäftsklima wiederum, das am Mittwoch veröffentlicht wird, dürfte erstmals nach sechs Anstiegen in Folge nachgeben.