NOTIERT IN BRÜSSEL

Bange Blicke nach Bukarest

In Rumänien müsste eigentlich Feierstimmung herrschen. Vor wenigen Tagen wurde überall im Land der 100. Jahrestag der Staatsgründung begangen. Und am 1. Januar übernimmt das Land erstmals die EU-Ratspräsidentschaft. Doch so richtig Freude will...

Bange Blicke nach Bukarest

In Rumänien müsste eigentlich Feierstimmung herrschen. Vor wenigen Tagen wurde überall im Land der 100. Jahrestag der Staatsgründung begangen. Und am 1. Januar übernimmt das Land erstmals die EU-Ratspräsidentschaft. Doch so richtig Freude will zurzeit nicht aufkommen – weder in Bukarest noch in Brüssel. Denn ausgerechnet jetzt schwelt im Land eine schwere Regierungskrise. Auf dem großen Staatsgeburtstag protestierten Demonstranten gegen die sozialdemokratische Regierung und warfen ihr Korruption vor. Ministerpräsidentin Viorica Dancila hatte in den letzten Wochen zudem gleich acht Ministerposten neu besetzt. Und Staatspräsident Klaus Johannis hatte die Regierung mit Blick auf die Vorbereitung auf die Ratspräsidentschaft schon als “Unfall der rumänischen Demokratie” bezeichnet. Es gehe “drunter und drüber”, und im Land sei keinerlei Perspektive eines guten, verantwortungsvollen Regierens mehr zu erkennen. *In dieser Woche hat die gesamte rumänische Regierung nun Brüssel besucht und am Mittwoch auch an der Sitzung der EU-Kommission teilgenommen. Deren Präsident Jean-Claude Juncker begrüßte Dancila mit Handkuss und sagte später, das Land sei gut vorbereitet auf seine Aufgabe ab Januar. Eher als bilaterales Thema zwischen Brüssel und Bukarest sieht Juncker die “Meinungsverschiedenheiten” in Sachen Rechtsstaat. Diese hätten mit der Ratspräsidentschaft nichts zu tun. Dem stimmen allerdings längst nicht alle zu. Denn erst Mitte November hatte die EU-Kommission dem Land in einem Lagebericht ein desolates Zeugnis ausgestellt und erhebliche Defizite in Bereichen wie Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung angeprangert. Junckers erster Stellvertreter Frans Timmermans hatte bedauernd festgestellt, dass Rumäniens Reformprozess ins Stocken geraten sei und dass sogar Rückschritte gemacht wurden. “Es ist sehr wichtig, dass Rumänien den Kampf gegen die Korruption unverzüglich wieder aufnimmt und zudem die Unabhängigkeit der Gerichte gewährleistet”, sagte Timmermans mit Blick auf die umstrittene Justizreform der Regierung. *Für die EU ist es alles andere als optimal, wenn zum Jahreswechsel eine Ratspräsidentschaft antritt, die sich in erster Linie mit sich selbst beschäftigt und möglicherweise nur wenig Kraft für die großen europäischen Herausforderungen aufbringen kann. Hierzu gehört natürlich das Managen des Brexit Ende März. Hierzu gehört auch die Europawahl im Mai. Denn durch die Wahl schließt sich das Zeitfenster für den Abschluss der zahlreichen noch offenen Gesetzesvorlagen schon Anfang April. Und dann steht im Mai ja auch noch der große Gipfel in Sibiu (Hermannstadt) auf der Agenda, auf dem die EU grundlegende Weichen für eine künftige Neuausrichtung stellen will. Und nebenbei geht es natürlich auch noch um die großen Streitfragen rund um den nächsten mittelfristigen Haushaltsrahmen für die EU und um eine Reform der Asylpolitik. “Die Umstände für unsere Ratspräsidentschaft sind schon speziell”, räumte in dieser Woche auch der EU-Botschafter Rumäniens, Cosmin Boiangiu, in Brüssel ein. *Seine Präsidentschaft hat Rumänien unter das Motto “Zusammenhalt, ein gemeinsamer europäischer Wert” gestellt. Doch ob es Bukarest tatsächlich gelingt, den Zusammenhalt zu festigen und Brücken zu bauen, daran gibt es Zweifel. Siegfried Muresan, christdemokratischer EU-Abgeordneter aus Rumänien und stellvertretender Haushaltsausschuss-Vorsitzender im Europaparlament, sagt, die Menschen in Rumänien und die Diplomaten seien bereit für die erste Ratspräsidentschaft. Nur die Regierung sei ein Problem. Es fehle Glaubwürdigkeit, aber auch politische Erfahrung, um etwa zehnstündige Ratssitzungen auf EU-Ebene erfolgreich leiten zu können. Mut macht da Andreas Schwab (CDU), der an die belgische Ratspräsidentschaft von 2011 erinnert. Damals habe Belgien auch keine Regierung gehabt, so der EU-Abgeordnete. Aber die Ratspräsidentschaft sei dennoch äußerst effektiv gewesen.