NOTIERT IN BRÜSSEL

Belgiens Liebe zu einem Kannibalen

Es sind nicht einmal mehr 90 Tage! In Belgien, speziell in Brüssel, werden mittlerweile die Tage heruntergezählt bis zum Beginn des Sportereignisses des Jahres. Die Tour de France gibt sich nämlich die Ehre. Und sie streift nicht nur das Land - wie...

Belgiens Liebe zu einem Kannibalen

Es sind nicht einmal mehr 90 Tage! In Belgien, speziell in Brüssel, werden mittlerweile die Tage heruntergezählt bis zum Beginn des Sportereignisses des Jahres. Die Tour de France gibt sich nämlich die Ehre. Und sie streift nicht nur das Land – wie schon so oft – mit einigen wenigen Kilometern. Nein, sie beginnt in diesem Jahr in Brüssel – zum ersten Mal seit 1958. Und dass dieser “Grand Départ” in diesem Jahr hier stattfindet, hat auch einen guten Grund: Es ist 2019 genau 50 Jahre her, dass die belgische Radsportlegende Eddy Merckx erstmals die Tour gewann. *Édouard Louis Joseph Baron Merckx, der mittlerweile 73 Jahre alt ist und immer noch in Brüssel lebt, gilt nicht nur als der vielleicht größte Fahrer der Radsportgeschichte. In Belgien ist er auch ein Volksheld. Eine Metro-Station in der Hauptstadt ist bereits nach ihm benannt; zugegeben, eine nicht besonders schöne, aber immerhin. Und jetzt im Sommer soll dann anlässlich der Tour auch noch im Stadtteil Woluwe-Saint-Pierre ein Eddy-Merckx-Platz eingeweiht werden. Eigentlich dürfen Brüsseler Gemeinden Straßen und Plätze nur nach bereits verstorbenen Personen benennen. Aber was soll’s. An diesem Platz befand sich früher immerhin das Lebensmittelgeschäft der Eltern. Der kleine Eddy ist hier aufgewachsen und hat hier seine ersten Runden mit dem Rad gedreht. Man könnte auch sagen: Er hat hier Blut geleckt. Irgendwann trainierte er dann wie ein Besessener. Und wegen seines unbändigen Siegeswillens und seines aufreibenden Fahrstils hatte er dann schnell den Spitznamen “der Kannibale” weg. *Um den Stellenwert, den der fünfmalige Tour-de-France- und fünfmalige Giro-d’Italia-Sieger in Belgien hat, richtig einzuschätzen, reicht vielleicht auch der Hinweis auf eine Wahl im Jahr 2005 im belgischen Fernsehen, bei der die größten Belgier überhaupt bestimmt werden sollten. Merckx erreichte den dritten Platz. Unter den noch lebenden Kandidaten war er die Nummer 1. Schon neun Jahre vorher war der Radsportkönig durch den belgischen König in den Adelsstand erhoben worden. Seither trägt er den Titel eines Barons. Und anlässlich seines 65. Geburtstages gab die belgische Post auch eine Briefmarke mit seinem Porträt heraus. *Auch einige Skandale konnten Eddy Merckx nie wirklich etwas anhaben. Gleich drei Mal in seiner aktiven Karriere war er in Dopingverdacht geraten. Bei ihm wurden 1969, 1973 und 1977 Aufputschmittel gefunden. Er selbst bestreitet bis heute, gedopt zu haben. Lange nach seiner aktiven Zeit hatte er dann eine Fahrradfirma, die Bikes unter seinem Namen herstellte. Mit dieser war er vor mehr als zehn Jahren in einen Korruptionsfall verwickelt. Es ging um 48 Fahrräder, die die Polizei im Brüsseler Stadtteil Anderlecht kaufen wollte. Merckx soll vorab über die Preisangebote der Konkurrenz informiert worden sein. Im Februar hat die Brüsseler Staatsanwaltschaft den Fall eingestellt. Die Vorfälle seien verjährt. So kann man es auch machen. *Nun kommt also die 106. Tour de France in die Heimatstadt des Mannes, der 111 Mal das Gelbe Trikot überstreifen konnte. Das ist bis heute Rekord. Die Stadt Brüssel organisiert bereits jetzt zahlreiche kulturelle oder sportliche Angebote, die helfen sollen, die Zeit bis zum Startschuss zu überbrücken. Am 5. Juli stellen sich in der belgischen Hauptstadt die Fahrer und Teams vor. Am 6. Juli beginnt dann die erste Etappe der diesjährigen Rundfahrt, die von Brüssel über Charleroi wieder zurück nach Brüssel führen wird.Dass die Touristenattraktion Manneken Pis auch mit in die großen Brüsseler Radfeierlichkeiten einbezogen wird, ist selbstverständlich. 50 Tage vor dem Start wird der kleine Mann ebenfalls das Gelbe Trikot überstreifen, das er bereits 1958 getragen hatte. In der Feierwoche vom 4. bis 7. Juli wird das Pinkelmännchen dann noch einmal im Gelben Trikot zu sehen sein.