NOTIERT IN BERLIN

Berlin zählt im Januar fast 2000 Obdachlose

Das Land Berlin hat beim bisher ersten Versuch, die Zahl der Menschen zu erfassen, die ohne festen Wohnsitz in der Hauptstadt leben und dabei im öffentlichen Raum, im Freien oder in Notunterkünften übernachten müssen, fast 2 000 Obdachlose gezählt....

Berlin zählt im Januar fast 2000 Obdachlose

Das Land Berlin hat beim bisher ersten Versuch, die Zahl der Menschen zu erfassen, die ohne festen Wohnsitz in der Hauptstadt leben und dabei im öffentlichen Raum, im Freien oder in Notunterkünften übernachten müssen, fast 2 000 Obdachlose gezählt. In der “Nacht der Solidarität” vom 29. auf den 30. Januar wurden von freiwilligen Helfern insgesamt 1 976 Menschen ohne Obdach registriert, wie die Berliner Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Die Linke) am Donnerstag berichtete. Fast 1 000 von ihnen wurden in Einrichtungen der Kältehilfe angetroffen. 807 Menschen brachten die Nacht auf der Straße zu. “Etwa ein Drittel dieser Menschen hat den Zählteams über ihre Lebenssituation berichtet. Wir wissen jetzt mehr über das Alter obdachloser Menschen, ihr Geschlecht, woher sie kommen und erstmals auch, wie lange sie schon wohnungslos sind”, sagte Breitenbach. In einem nächsten Schritt sollen die Daten ausgewertet werden, dann soll in Zusammenarbeit mit den Bezirken sowie der Wohnungslosenhilfe beraten werden, wie bestehende Hilfsangebote verbessert werden können und welche zusätzlichen Unterstützungsleistungen erforderlich sind. Im Frühjahr ist eine erste Strategiekonferenz geplant, die im Herbst fortgesetzt wird. Im Frühjahr oder Sommer des nächsten Jahres ist die nächste Zählung geplant, um den Einfluss der Jahreszeiten auf die Obdachlosigkeit zu ermitteln. Das Ergebnis der ersten Zählung liegt unter den bisherigen Schätzungen, die in Berlin von 6 000 bis 10 000 Obdachlosen ausgegangen waren. Der sozialpolitische Sprecher der FDP im Abgeordnetenhaus, Thomas Seerig, vermutet deshalb “systematische Fehler, weil man nicht alle auffinden konnte, wodurch die Grundlage für eine zielgenauere Politik weiterhin fehlt”. Breitenbach räumte ein, dass einige Obdachlose nicht gezählt werden wollten, “aber es werden sich keine 8 000 Menschen in dieser Nacht versteckt haben”. Die Armutsforscherin Susanne Gerull sieht ebenfalls keine systematischen Fehler. *Die Methode, bei der Freiwilligenteams in mehr als 610 Zählgebiete ausschwärmten, orientiert sich an einem in New York entwickelten Modell, wo bei der bisher letzten Zählung im vergangenen Jahr 63 092 Obdachlose gezählt wurden. In Paris waren es zuletzt 3 641 Menschen ohne Obdach. In Hamburg wurden 2018 bei der bis dahin größten Befragung dieser Art in Deutschland 1 910 Obdachlose registriert, was gegenüber einer ähnlichen Untersuchung im Jahr 2009 fast einer Verdoppelung entsprach. Auch die Bundesregierung hat sich mittlerweile vorgenommen, die Dimensionen der Obdachlosigkeit nicht mehr nur zu schätzen. Im Herbst hat sie einen Gesetzesentwurf zur Einführung einer bundesweiten Statistik zur Wohnungslosigkeit beschlossen, die ab 2022 belastbare Daten liefern soll. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe schätzte die Zahl der Wohnungslosen 2017 auf rund 860 000. Ganz auf der Straße leben in Deutschland demnach mehr als 50 000 Menschen.