BoJo denkt schon an die nächste Wahl
Von Andreas Hippin, LondonAlexander Boris de Pfeffel Johnson (52) hat sich aus dem Rennen um die Nachfolge von Premier David Cameron zurückgezogen und damit all diejenigen Lügen gestraft, die ihm vorgeworfen hatten, sich aus Karrieregründen an die Spitze der Brexit-Befürworter gesetzt zu haben. William Shakespeare hätte seine Freude an dem ehemaligen Journalisten, der vor dem Referendum seine Arbeit an einer Biografie des Dramatikers beiseite gelegt hatte, um sich dem Wahlkampf zu widmen. BoJo, wie er oft genannt wird, arbeitet an seiner Zukunft. Der ehemalige Londoner Bürgermeister ist der beliebteste Politiker Großbritanniens und hätte vermutlich große Unterstützung in der Bevölkerung gefunden.Die nun demonstrierte Selbstlosigkeit seines Einsatzes für den Austritt wird seinem Ansehen aber nur guttun. Zudem muss er nun nicht die zähen Verhandlungen mit der EU führen, die auf das Votum für den Austritt aus der Staatengemeinschaft folgen werden. “Fange vieles an, aber führe nichts zu Ende” – BoJo kennt diese Grundregel für den politischen Aufstieg nur zu gut. Er stieß seit seinem Amtsantritt in der Londoner City Hall ein Projekt nach dem anderen an. Geworden ist aus den meisten nicht viel, aber die Logik ist einfach: Bringt man etwas zum Abschluss, kann das Ergebnis hinter den Erwartungen zurückbleiben. Lässt man den Ausgang offen, muss man nur den Geräuschpegel hoch genug halten, um kritische Nachfragen gar nicht erst aufkommen zu lassen – am besten durch ein neues Projekt. Das wirkt zugleich aktiv und innovativ. Und wenn die Unzufriedenheit über die Ergebnisse der nun anstehenden Gespräche mit Brüssel wächst oder sich eine andere gute Gelegenheit ergibt, wird er da sein, um die Früchte seiner Arbeit zu ernten. Mangelnde FührungsstärkeVielleicht hätte er auch jetzt schon für die Parteiführung kandidiert, aber nicht ohne die Unterstützung des Justizministers Michael Gove (48), der plötzlich selbst Ambitionen auf den Posten des Premierministers entwickelte. “Ich habe wiederholt gesagt, dass ich nicht Premierminister werden will”, gab Gove zu. “Das war immer meine Ansicht.” Aber die Ereignisse seit vergangenen Donnerstag hätten ihn zum Umdenken bewogen. Er sei zu der Einsicht gelangt, dass Johnson weder über die erforderliche Führungsstärke verfüge noch über die Fähigkeit, ein Team für die bevorstehenden Aufgaben aufzubauen.BoJo und Gove hatten bei Vote Leave eng zusammengearbeitet. “Richard III. trifft Scarface, mit ein bisschen ,Der Pate` vermischt”, kommentierte Ben Wright von der BBC die dramatischen Aspekte der Geschehnisse in der konservativen Partei. Nun gilt Innenministerin Theresa May (59) als aussichtsreichste Kandidatin (vgl. BZ vom 29. Juni). Rund 125 000 Parteimitglieder werden über den neuen Parteichef und Premierminister entscheiden, dessen Name am 9. September verkündet werden soll. May hat schon angekündigt, dass sie in diesem Jahr kein EU-Austrittsverfahren nach Artikel 50 mehr einleiten würde.