Brexit-Furcht beflügelt Wirtschaft
Das britische Bruttoinlandsprodukt wuchs von Januar bis März um 1,8 % zum Vorjahreszeitraum. Die Firmen steigerten ihre Produktion so stark wie zuletzt vor über 30 Jahren. Ein schnelles Ende des Aufschwungs gilt allerdings als wahrscheinlich, weil mit dem Brexit-Aufschub auch der Grund für die rapide gewachsene Lagerhaltung entfällt.bet London – Die britische Wirtschaft hat zu Jahresbeginn deutlich an Fahrt aufgenommen. Das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte von Januar bis März 2019 um 0,5 % gegenüber dem letzten Quartal 2018 zu, wie das nationale Statistikbüro am Freitag schätzte. Zum Vorjahresquartal beträgt das Plus 1,8 % und damit so viel wie seit Herbst 2017 nicht mehr. Analysten sind sich weitgehend einig, diese bemerkenswerte Zunahme zu einem guten Teil auf die Unsicherheit rund um den Brexit zurückzuführen.In den ersten drei Monaten des Jahres galt ein chaotisches Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der EU als ernst zu nehmende Gefahr mit potenziell harten Konsequenzen. In Erwartung möglicher Zölle und nichttarifärer Handelshindernisse, die schon ab Ende März hätten gelten können, entwickelte sich die britische Wirtschaft anders, als man es lange Zeit gewohnt war: Während der Dienstleistungssektor, die dominierende Stütze des Landes, sein Wachstum gegenüber dem letzten Quartal 2018 verlangsamte, kletterte der Ausstoß des verarbeitenden Gewerbes um überraschend starke 2,2 %. Das ist laut der Statistikbehörde der höchste Anstieg seit Herbst 1988.Die Erklärung für die hohe Güternachfrage wurde durch Einkaufsmanagerindizes bestätigt: Die Firmen füllten in hohem Tempo ihre Lager auf, um für Unterbrechungen in den internationalen Lieferketten durch einen unkontrollierten Brexit gerüstet zu sein. Nirgendwo in den sieben führenden Industrienationen wuchs die Bevorratung so schnell wie im Vereinigten Königreich. Der Produktionszuwachs erfasste nahezu alle Branchen, darunter sehr stark den (allerdings volatilen) Pharmasektor. Auch die deutliche Zunahme des Konsums der Haushalte um 0,7 % zum Vorquartal ist laut der Großbank Unicredit wahrscheinlich auf Bevorratung zurückzuführen.Der Brexit-Effekt beschränkte sich nicht auf Großbritannien. Einerseits führte er zu einem Anstieg der Importe durch britische Firmen, die sich mit europäischen Gütern eindeckten; andererseits wuchsen die britischen Warenexporte, weil auch ausländische Kunden für den Brexit vorsorgen wollten. Weil die Importe jedoch überwogen, legte das Handelsdefizit um Sondereffekte bereinigt auf 2,3 % des nominalen BIP zu, den höchsten Wert seit mindestens Anfang 2017.Wenig überraschend ist der Brexit-Effekt keine verlässliche Größe. Die Aufregung um den EU-Ausstieg hat im April ihren vorläufigen Höhepunkt überschritten. Bereits im März nahm die Wirtschaftsleistung wieder um 0,1 % gegenüber Februar ab. Geschäftsklima-Umfragen deuten darauf hin, dass die Bevorratung nachlässt. Das ist angesichts des neuen Brexit-Fahrplans, der einen möglichen EU-Austritt auf Ende Oktober terminiert, nicht verwunderlich. Zudem hat sich der unkontrollierte Brexit als Szenario erwiesen, das die Mehrheit der politischen Kräfte im Land unbedingt vermeiden möchte.Sollte vor diesem Hintergrund ein Abverkauf der gefüllten Lager einsetzen, könnte der temporär positive Wachstumseffekt ins Gegenteil umschlagen. Analysten rechnen für das zweite Quartal mit einer Abschwächung des BIP-Wachstums auf 0,2 % oder 0,3 % zum ersten Quartal. Die Großbank Barclays prognostiziert für April bis Juni eine Stagnation und für das Gesamtjahr 2019 eine BIP-Zunahme um 1,2 %. Im Jahr 2018 hatte das britische BIP um 1,4 % expandiert, im Jahr 2017 um 1,8 %.