Bürokratieabbau klappt nur mit Kulturwandel
Bürokratieabbau klappt nur mit Kulturwandel
Bürokratie lässt sich nicht allein durch Gesetzesstreichung abbauen. Die Politik muss auch ihr tief sitzendes Misstrauen gegen die Bürger über Bord werfen.
Von Stephan Lorz, Frankfurt
In vielen Statistiken der Industrieländerorganisation OECD liegt Deutschland bei Verwaltung und Regulierung auf den vorderen Plätzen – und zwar in positiver Hinsicht. So etwa bei der Einbeziehung der Öffentlichkeit in die Gesetzgebung oder bei der Folgenabschätzung und Evaluierung bestehender Regeln. Die Statistiken suggerieren eine bürokratisch „heile Welt“ hierzulande, während anderswo die OECD-Kriterien gerissen werden.
Doch der Eindruck täuscht: Seit Jahren wird die ausufernde Bürokratie, der um sich greifende behördliche Kontrollwahn, die steigenden Dokumentationspflichten sowie das langsame und bisweilen übergriffige Verwaltungshandeln als größtes Hindernis für Investitionen bezeichnet und obendrein für den aufkommenden Staatsverdruss verantwortlich gemacht. In den Statistiken wird eben nur gemessen, was auf dem Papier steht und beziffert werden kann. Ob die Angaben wirklich umgesetzt werden und in welcher Form das geschieht, kommt nicht zum Ausdruck; schon gar nicht die damit einhergehende bürokratische Belastung.
Neue Ideen nötig
Das ist der OECD auch bewusst, weshalb sie zu einer Bürokratiedebatte eingeladen hat, um diese Lücke mit Inhalten zu füllen – und zu ventilieren, wie Bürokratieabbau wirklich gelingen kann. Denn Deutschland hat hier bislang kaum Erfolge erzielt, obwohl es schon zuhauf Meldestellen zur Entbürokratisierung gibt, in Bundes- und Landesministerien entsprechende Ämter eingerichtet wurden, und der Normenkontrollrat seit Jahren auf einzelne Verwaltungs- und Gesetzesmissstände hinweist und die damit zusammenhängenden hohen Kosten kritisiert. Doch die Bürokratielast wächst weiter.
Insofern ist die Hoffnung groß, dass mit der neuen Bundesregierung, die der Verwaltungsdigitalisierung und dem Bürokratieabbau sogar ein eigenes Ministerium widmet, nun eine Trendwende einhergeht. Immerhin wird bis zum Ende der Legislaturperiode ein Bürokratieabbau um 25% versprochen. Der Präsident des Normenkontrollrats, Lutz Göbel, spricht von einem „Königsweg“ und knüpft daran große Hoffnungen. Ganz im Gegensatz zur vergangenen Regierung, wo Bürokratieabbau „keine Priorität“ gehabt habe.
Tiefgehender Umbau
Doch schnell wird in der Debatte klar, dass es nicht reicht, nur eine Reihe von Gesetzen zu streichen, zu verschlanken oder Unternehmen sowie Bürger von Dokumentationspflichten zu befreien. Wichtiger ist die Durchdigitalisierung der Prozesse, eine Modernisierung des Beamtenrechts und eine Neufassung des Gesetzgebungsprozesses. Stichworte sind: gemeinsame Softwareschnittstellen für Bund, Länder und Behörden zum Austausch von Daten, stete Prüfung und Anpassung der Gesetze auf Praxistauglichkeit – und zwar vor und nach dem Gesetzgebungsprozess – sowie mehr Freiräume für die Verwaltung und einheitliche Standards auf allen Ebenen.
Vor allem heißt das, keine Einzelfallgerechtigkeit mehr anzustreben, sondern auf Pauschalierungen und Stichproben zu setzen. Wenn dann in der Öffentlichkeit Kritik geäußert wird, weil Spezialfälle nicht abgedeckt seien, müsse das „die Politik eben aushalten“, mahnt Matthias Schmid vom Justizministerium. Letztendlich muss sich Deutschland insofern von der bisherigen Verwaltungs- und Beamtenkultur trennen und die Gesetzgebung als Dienstleistung begreifen. Und das ist nach Ansicht von Göbel der schwierigste Teil des Bürokratieabbaus.