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Bundesbank vollzieht 180-Grad-Wende bei Eurobonds

Die Bundesbank und die EZB werben für Eurobonds bei Rüstungsausgaben. Das ist ordnungspolitisch heikel. Doch die Notenbanken könnten damit zwei Ziele erreichen, die sie offiziell gar nicht nennen.

Bundesbank vollzieht 180-Grad-Wende bei Eurobonds

Bundesbank vollzieht 180-Grad-Wende bei Eurobonds

Von Dirk Meyer

Wer hätte gedacht, dass die Bundesbank einmal für Eurobonds – europäische Anleihen mit Garantien der EU-Mitgliedstaaten – werben würde? Genau das tat Bundesbankpräsident Joachim Nagel Anfang Oktober im fernen Athen und von der Presse weitgehend unbeachtet: „Warum nicht über einen gemeinsamen Verteidigungshaushalt auf europäischer Ebene nachdenken? Dies hätte einen positiven Nebeneffekt: ein sicheres Asset.“ Ähnlich äußerte sich EZB-Präsidentin Christine Lagarde. Sie betonte, dass „die gemeinsame Finanzierung öffentlicher Güter wie Verteidigung dazu beitragen würde, einen sicheren und liquiden Pool öffentlicher EU-Schulden zu schaffen“.

Erhebliche Souveränitätsverluste

Diese nicht ganz neue Idee beinhaltet zwei brisante Änderungen gegenüber den derzeitigen Strukturen: Eine Hinwendung zu einer europäischen Verteidigungsunion, die auf Basis von EU-Schulden finanziert wird. Im Sinne ‚europäischer öffentliche Güter‘ (Draghi-Report/Sept. 2024) könnte eine europäische Verteidigung Effizienzpotenziale heben und die Leistungsfähigkeit der Armeen steigern – durch gemeinsame Standards, Beschaffungen, Finanzierung und Militärbetrieb.

Zu lösen wäre zuvor die Unvereinbarkeit einer Parlamentsarmee in Deutschland und französische Streitkräften, die dem Oberbefehl des Präsidenten unterstehen. Doch die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP) kennzeichnet derzeit vornehmlich Strukturen eines zwischenstaatlichen bzw. nationalen Politikbereiches. Eine Verteidigungsunion setzt demgegenüber die Übereinstimmung von Entscheidung, Finanzierung und Haftung voraus, soll Trittbrettfahren einzelner Mitglieder ausgeschlossen werden. Klar ist, dass hiermit erhebliche Souveränitätsverluste der Mitgliedstaaten verbunden wären, bspw. für die Atommacht Frankreich; ebenso finanzielle Umverteilungslasten auf Kosten der mediterranen Länder mit zurzeit geringen Militärausgaben gemessen am BIP. Die notwendige Einstimmigkeit zur EU-Vertragsänderung wäre deshalb unwahrscheinlich.

Begrenzte Schuldentragfähigkeit

Gemeinsame Schulden zur Finanzierung wären als Gegenleistung denkbar. Doch sind Eurobonds ordnungspolitisch keinesfalls angezeigt. Denn Verteidigung stellt eine staatliche Kernaufgabe dar, die grundsätzlich mit ordentlichen EU-Eigenmitteln, sprich Beiträgen der Mitgliedstaaten, zu bewerkstelligen ist. Lediglich unabwendbare Notlagen – ein anstehender Verteidigungsfall – ließen eine Schuldenaufnahme kurzfristig zu. Hinzu kommt, dass der EU-Haushalt eine reguläre Schuldenaufnahme zurzeit ausschließt (Art. 310 u. 314 AEUV). Entsprechend sollte der kreditfinanzierte Corona-Wiederaufbaufond (2021) i.H.v. 807 Mrd. Euro eine einmalige Ausnahme bleiben. Notwendig wäre eine einstimmige Änderung der Eigenmittelverordnung (Art. 311 AEUV), damit auch die EU – wie die Staaten – eigene Kreditpapiere regulär ausgeben dürften.

Dirk Meyer ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr in Hamburg.
Dirk Meyer ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr in Hamburg.
HSU/Christian Gelhausen

In diesem Fall würde die EU für die Kreditrückzahlung einschließlich der Zinsen haften. Doch womit? Sie wäre von Zuführungen der Mitgliedstaaten abhängig, soweit man ihr keine eigene Steuerhoheit zubilligt. Die Staaten wären Garantiegeber, die im Innenverhältnis zur EU die Rückzahlung der Kredite durch Beiträge sicherstellten. Bei Ausfall eines Mitgliedstaates müssten die anderen bis zur festgelegten Beitragsobergrenze einspringen. Ob das im Krisenfall so eintritt, darf bezweifelt werden. Infolgedessen ist die Schuldentragfähigkeit der EU begrenzt, was sich im baldigen Anstieg ihres Kreditzinses widerspiegeln dürfte. Die von Nagel geäußerte Absicht, damit ein sicheres Kreditpapier bspw. für Banken und Versicherungen als Anlagemöglichkeit schaffen zu wollen, dürfte deshalb unerreichbar sein. Denn die Summen wären enorm. Allein 2025 betragen die geplanten Verteidigungsausgaben der Mitgliedstaaten 381 Mrd. Euro.

Unausgesprochene Ziele

Doch zwei offiziell nicht genannte Ziele könnte die EZB mit ihrem Vorschlag erreichen. Zum einen würde die EU-Kommission den hochverschuldeten Staaten fiskalisch den Kreditzugang offenhalten. Die EZB müsste nicht mehr einspringen und Staatsanleihekaufprogramme durchführen, die ggf. einen Verstoß gegen das Verbot der monetären Staatsverschuldung darstellen (Art. 123 AEUV).

Sollte auch die Europäische Union ihre vornehmlich der noch bestehenden Solidität Deutschlands zu verdankenden niedrigen Zinsen verlieren, kann sie zum anderen rechtlich minder problematisch die EU-Anleihen ankaufen und monetarisieren – eine Rüstungsfinanzierung über die Notenpresse ähnlich den Vereinigten Staaten während des Vietnamkrieges. Nur trug damals das Ausland die Last einer globalen Leitwährung bei Abwertung der Dollarguthaben. Jetzt würde ein weiterer Inflationsschub zulasten der EU-Bürger drohen.

Dirk Meyer

Professor für Volkswirtschaftslehre an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr in Hamburg