Geldpolitik

Bundesbankchef Nagel lässt aufhorchen

In der EZB-Zinsdebatte bezieht Bundesbankpräsident Joachim Nagel klar Position – und liebäugelt mit mehr Zinsschritten als vielfach erwartet. Eine klare Meinung hat er auch zu den Grenzen der EZB im Kampf gegen Klimawandel.

Bundesbankchef Nagel lässt aufhorchen

Bundesbankchef Nagel lässt aufhorchen

Bedarf für EZB-Zinserhöhungen wohl auch über Juli hinaus – Keine nachhaltige Klimapolitik mit Anleihekäufen möglich

Die Euro-Notenbanker ringen derzeit auf offener Bühne über das Ausmaß weiterer Zinserhöhungen. Bundesbankpräsident Joachim Nagel bezieht nun klar Position – und liebäugelt mit mehr Zinsschritten als vielfach erwartet. Eine klare Meinung hat er auch zu den Grenzen der EZB im Kampf gegen den Klimawandel.

ms Frankfurt

Bundesbankpräsident Joachim Nagel hat zum Wochenausklang gleich doppelt mit geldpolitischen Aussagen aufhorchen lassen. Zum einen sagte er am Rande eines G7-Treffens im japanischen Niigata, dass es wohl auch über Juli hinaus Bedarf für Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) gebe – also länger als bislang von vielen Marktteilnehmern und Volkswirten prognostiziert. Zum anderen erklärte er in einer Videobotschaft für die Frühjahrskonferenz der Bundesbank in Eltville, dass die Anleihekäufe der Notenbank kein Instrument seien, um nachhaltig Klimapolitik zu machen – was die Debatte über die Rolle der Zentralbanken im Kampf gegen den Klimawandel befeuern dürfte.

Besonderes Gewicht

Als Zentralbankpräsident in der größten Volkswirtschaft der Eurozone hat Nagels Wort im inzwischen 26-köpfigen EZB-Rat ein besonderes Gewicht, auch wenn formal jedes Mitglied eine Stimme hat. Diese besondere Rolle gilt sowohl für den kurz- und mittelfristigen Zinsausblick als auch für grundsätzlichere Fragen zur Geldpolitik und zum Handeln der EZB. Nagel steht dabei klar in der stabilitätsorientierten Tradition der Bundesbank; zugleich gilt er vielen Beobachtern aber als Pragmatiker.

Am Rande der Beratungen der G7-Finanzminister und -Notenbankchefs in Niigata sagte Nagel nun, dass es die Datenlage zu Inflation und Wachstum derzeit gar nicht hergebe, darüber nachzudenken, an dem Verständnis zu rütteln, dass weitere Zinsschritte notwendig seien. „Und das gilt auch aus meiner Sicht heraus, aus heutiger Sicht, über die Sommerpause hinaus“, fügte er hinzu. Die Aussage ist seine bislang deutlichste, was mögliche Zinserhöhungen über Juli hinaus betrifft. Nach der Zinssitzung am 27. Juli macht der EZB-Rat eine Sommerpause und trifft sich erst am 14. September wieder.

Marktteilnehmer und Volkswirte spekulieren derzeit überwiegend darauf, dass der aktuelle Zinserhöhungszyklus nach zwei weiteren Schritten um jeweils 25 Basispunkte im Juni und Juli beendet ist; der Einlagezins läge dann bei 3,75%. Angesichts der zeitweise zweistelligen Inflationsraten hat der EZB-Rat seine Zinsen seit Juli um 375 Basispunkte angehoben – so aggressiv wie nie. Zuletzt ist die Inflation deutlich gesunken, mit 7,0% im April lag sie aber immer noch weit oberhalb des EZB-Zielwerts von 2,0%. Zugleich schwächelt jedoch die Euro-Wirtschaft.

In den vergangenen Tagen hatten vor allem Zentralbankchefs aus den baltischen Ländern erklärt, dass das aktuell von den Märkten eingepreiste Zinsniveau womöglich nicht ausreichen könnte, um die Inflation wieder auf 2,0% zu drücken (vgl. BZ vom 10. Mai). Sie gehören zu den Hardlinern („Falken“) im EZB-Rat, ähnlich wie Bundesbankchef Nagel. Andere Notenbanker dagegen hatten etwas gebremst. So hatte etwa Spaniens Notenbankchef Pablo Hernández de Cos am Donnerstag davon gesprochen, dass sich die EZB inzwischen näher am Ende des Erhöhungszyklus befinde.

Ebenfalls am Freitag äußerte sich Nagel bei der Bundesbank-Frühjahrskonferenz zum Thema „Zentralbanken und der Klimawandel“. Er machte deutlich, dass auch die Zentralbanken im Rahmen ihrer Mandate die Verpflichtung hätten, den Klimaschutz zu unterstützen. „Auch wenn wir nicht auf dem Fahrersitz sitzen, können wir eine Menge tun”, sagte er. Als besten Beitrag der Zentralbank zur Unterstützung des Kampfes gegen den Klimawandel nannte Nagel die Wiederherstellung der Preisstabilität. Diese sei eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Klimapolitik die nötigen Veränderungen bewirken könne, weil sie den Akteuren helfe, politisch induzierte Preissignale wie den CO2-Preis von allgemeinen Preissignalen zu unterscheiden.

Nagel benannte aber zugleich deutlich die Grenzen der Geldpolitik – insbesondere mit Blick auf die Anleihekäufe der EZB. „Geldpolitische Portfolios, die über den Konjunkturzyklus wegen der Preisstabilität angepasst werden, sind von Natur aus ein zyklisches Instrument. Das ist einer der Gründe, warum sie wahrscheinlich ungeeignet sind, um strukturelle Veränderungen in der Wirtschaft zu unterstützen“, sagte er. Die EZB war im Oktober 2022 dazu übergegangen, bei der Wiederanlage von Tilgungsbeträgen fällig gewordener Unternehmensanleihen weniger grüne durch grünere Anleihen zu ersetzen. Ab Juli dürfte die EZB nun die Wiederanlage im Zuge des APP-Programms einstellen. Damit fällt die Möglichkeit weg, Papiere mit einer besseren Klimaperformance zu bevorzugen.

Die Rolle der Zentralbanken im Kampf gegen die Klimawandel ist unter Experten durchaus umstritten. Das gilt insbesondere für eine „grüne Geldpolitik“.

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