Deutsche Wirtschaft steckt in der Rezession

Die deutsche Konjunktur zeigt Anzeichen einer Bodenbildung, aber eine schnelle Erholung ist nicht in Sicht. Die Konjunkturampel von Börsen-Zeitung und Kiel Economics steht auf Rot.

Deutsche Wirtschaft steckt in der Rezession

Deutsche Wirtschaft bleibt 2024 in der Rezession stecken

Konjunkturampel steht bis auf Weiteres auf Rot – Frühindikatoren deuten Bodenbildung an

Von Alexandra Baude, Frankfurt

Die Frühindikatoren deuten zwar auf eine Bodenbildung für die deutsche Konjunktur hin, mit der erhofften Erholung wird es aber so schnell nichts werden. Nicht nur dieses Jahr, sondern auch das kommende wird noch schwierig werden. Dies zeigt auch das Rot-Signal der aktuellen Konjunkturampel der Börsen-Zeitung und von Kiel Economics für die Jahre 2023 und 2024. Signalgeber der Ampel sind mehr als 50 erwartungsbasierte Indikatoren. Anhand derer ergibt sich, dass sich die deutsche Wirtschaft in einer so ausgeprägten Abschwungphase wie zuletzt zuzeiten der Weltfinanzkrise 2008/2009 befindet.

Konjunkturampel steht auf "Dunkelrot"

Die Wahrscheinlichkeit, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) im laufenden Jahr sinkt, liegt mittlerweile bei über 90%. In der vorherigen Auflage der Konjunkturampel im Juli waren es noch 67%. Wirtschaftsforscher und Institutionen haben zuletzt reihenweise die Prognosen nach unten geschraubt. Die Bundesregierung etwa erwartet ebenso wie das Ifo-Institut für 2023 ein Minus von 0,4% und ist damit am optimistischen Rand der Voraussagen. Für den Internationalen Währungsfonds (IWF) ist Deutschland das einzige führende Industrieland, das in diesem Jahr schrumpft – und zwar um 0,5%. Die pessimistischste Voraussage wird etwa in der Gemeinschaftsdiagnose mit −0,6% getroffen.

Erneutes Minus von 0,6 Prozent

Nicht viel besser sieht es zudem für 2024 aus – hier beträgt die Rezessionswahrscheinlichkeit 70%. Dies entspricht einer Punktprognose für einen jahresdurchschnittlichen Rückgang des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) um abermals 0,6%, wie Carsten-Patrick Meier, Leiter von Kiel Economics, einer Ausgründung aus dem Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW), erläutert.

Die Bodenbildung bei den vorlaufenden Indikatoren zeigt sich dabei in der Breite, betont Meier. Im verarbeitenden Gewerbe etwa scheint der seit Anfang 2022 währende Abwärtstrend beim Auftragseingang zum Ende gekommen zu sein. Im August kamen die Neubestellungen zahlreicher herein als erwartet. Allerdings stammen die Impulse in erster Linie aus den Ländern außerhalb des Euroraums, die damit auch weniger von der Schwäche der hiesigen Wirtschaft betroffen sind, so Meier.

Eurokurs dämpft Erwartungen

Bei der Unternehmensstimmung in den für den deutschen Export wichtigsten Ländern insgesamt zeichne sich derzeit ebenfalls eine Bodenbildung ab, jedoch noch keine Erholung. „Dass die Exporterwartungen der Unternehmen jedoch seit dem Frühjahr rückläufig sind, hat wohl mit der seit dem Jahreswechsel erkennbaren Wiederaufwertung des Euro zu tun“, vermutet Meier. Mit Ausnahme des Coronajahrs 2020 waren die Exporterwartungen im September so negativ wie seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 nicht mehr. Die Geschäftserwartungen der Industrie sind zwar nun zweimal in Folge gestiegen, allerdings nicht kräftig genug, um die Konjunkturskepsis der Unternehmen zu lindern, die mit dem russischen Überfall auf die Ukraine aufgekommen ist.

„Dieses Urteil gilt in abgeschwächter Form auch für das Konsumklima“, erklärt Meier. Die Einkommenserwartungen der privaten Haushalte und ihre Anschaffungsneigung haben zwar die vor ziemlich genau einem Jahr erreichten Tiefpunkte hinter sich gelassen. Seit dem Frühjahr aber verharren sie auf niedrigem Niveau. „Der deutliche Anstieg des Rohölpreises im September dürfte die vielfach erwartete Erholung der verfügbaren Haushaltseinkommen zusätzlich geringer ausfallen lassen.“ Sämtliche Konsumbarometer, ob nun von der EU-Kommission, dem Einzelhandelsverband HDE oder der GfK notieren deutlich im roten Bereich und unter ihren langjährigen Durchschnittswerten und sind zuletzt weiter gefallen. Ob die höheren Geschäftserwartungen im Einzelhandel im September nun den seit Jahresbeginn zu beobachtenden Abwärtstrend beenden, ist für Meier fraglich.

Sonderfall Bau

Einen Sonderfall stellt für den Kiel-Economics-Chef derzeit der Bau dar: Dessen Produktion zeigt bislang trotz der für die Nachfrage nach Bauleistungen äußerst widrigen Bedingungen kaum Bremsspuren. Denn die Kapitalkosten für Bauherren haben sich seit Anfang 2022 verdreifacht. Ursache sind die Leitzinserhöhungen der Europäischen Zentralbank sowie die kräftig gestiegenen Baupreise. „In der Folge ist die Nachfrage nach neuen Hochbauten dramatisch eingebrochen“, so Meier.

Er erwartet hier für 2023 einen Rückgang der Genehmigungen um 40% bis 45% im Vergleich zu 2021. Dass die Nachfrage nach Bauleistungen gemessen an den Bauaufträgen nicht einmal halb so stark absackt wie die Baugenehmigungen liege auch an der stabilisierenden Wirkung öffentlicher Tiefbauaufträge. Der Hauptgrund ist Meier zufolge aber die teils erhebliche Verzögerung zahlreicher Bauprojekte wegen des Material- und Arbeitskräftemangels, die noch unter den günstigen Bedingungen, die bis Anfang 2022 herrschten, finanziert wurden.

Auftragspolster helfen

„Im kommenden Jahr dürfte sich der Einbruch der Baugenehmigungen verstärkt in einem Rückgang von Bauproduktion und Bauinvestitionen niederschlagen“, erwartet der Institutschef. Gegen einen ähnlich starken Einbruch der Produktion sprächen allerdings die immer noch relativ gut gefüllten Auftragsbücher der Bauunternehmen. Die Reichweite der Auftragsbestände liegt mit 3,6 Monaten um einen Monat über dem langjährigen Mittel. „Freilich nahm bis zuletzt auch die Zahl der Stornierungen zu, insbesondere im Wohnungsbau.“

Geldhaltung steigt

Und auch bei der Geldhaltung erkennt Meier eine Bodenbildung. Da für Ausgaben liquide Zahlungsmittel notwendig sind, werden Unternehmen und private Haushalte ihre täglich fälligen Einlagen stärker als im Trend erhöhen, wenn sie höhere Ausgaben planen. Rechnen sie aber mit einem langsameren Anstieg der Ausgaben, so erhöhen sie die Sichteinlagen geringer als im Trend oder reduzieren sie gar. Allerdings, so betont Meier, müssen die Sichteinlagen um den allgemeinen Preisanstieg korrigiert werden, um ein aussagekräftiges konjunkturelles Signal zu erhalten. Preisbereinigt errechnet er einen Rückgang der Sichteinlagen für dieses Jahr von voraussichtlich 1%. Stärker ins Gewicht fällt die gleichfalls nötige Bereinigung um die Auswirkungen von Veränderungen der Opportunitätskosten, die sich durch Zinsänderungen ergeben. Korrigiert um diesen Effekt werden die realen Sichteinlagen wohl um rund 3% steigen – mehr als im Vorjahr, insofern zeigt sich auch hier eine Bodenbildung. Da das aber „immer noch um 2 Prozentpunkte“ unter dem Trend liegt, erhöht sich die Rezessionswahrscheinlichkeit.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.