Deutsche Wirtschaft steht vor einem harten Winter

Ifo-Geschäftsklima gibt im November deutlich nach - Fuest: Zweite Welle unterbricht Erholung - Lichtblick Industrie - BIP wächst stärker als zunächst gemeldet

Deutsche Wirtschaft steht vor einem harten Winter

ba Frankfurt – Der deutschen Wirtschaft steht nach dem Rekordwachstum im Sommer ein ungemütlicher Winter bevor. “Die zweite Coronawelle hat die Erholung der deutschen Wirtschaft unterbrochen”, kommentierte Ifo-Präsident Clemens Fuest den zweiten Rückschlag des Ifo-Geschäftsklimaindex nacheinander. Das wichtigste Frühbarometer ist im November auf 90,7 Punkte gesunken, nach 92,5 Punkten im Oktober, wozu vor allem die deutlich pessimistischeren Erwartungen der Unternehmen beigetragen haben. Aber auch ihre aktuelle Lage bewerteten die 9 000 monatlich befragten Unternehmen etwas schlechter. Zudem ist die Geschäftsunsicherheit gestiegen. Dieser erstmals im Rahmen der monatlichen Umfrageergebnisse veröffentlichte Indikator misst, wie schwer es Managern fällt, die Entwicklung der Geschäftslage ihres Unternehmens in den nächsten sechs Monaten vorherzusagen.Es scheine allerdings, dass “die Unternehmen weite Teile des nächsten Halbjahrs abgeschrieben haben”, schließt Dekabank-Ökonom Andreas Scheuerle aus der gesunkenen Erwartungskomponente, an der sich die guten Nachrichten von der baldigen Verfügbarkeit von Impfstoffen “überhaupt nicht ablesen lassen” (siehe Grafik). Im Gegensatz dazu hatten die Einkaufsmanager die Aussichten binnen Jahresfrist optimistischer beurteilt (vgl. BZ vom 24. November). Die Zeit bis zu einer hinreichend hohen Immunisierung der Bevölkerung könnte noch ungemütlich werden, warnt Scheuerle – schon allein der bisher verhängte “Lockdown light” werde ausreichen, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im vierten Quartal schrumpfen zu lassen.Am heutigen Mittwoch beraten die Länder mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über das weitere Vorgehen. Erwartet wird eine Verlängerung der Schutzmaßnahmen bis zum 20. Dezember sowie eine Nachschärfung einzelner Regeln (siehe oben stehenden Bericht).Im dritten Quartal hat das BIP preis-, saison- und kalenderbereinigt um 8,5 % im Quartalsvergleich zugelegt, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) gestern mitteilte. Die Erstschätzung hatte ein Plus von 8,2 % ergeben. In den drei Monaten bis Juni war das BIP noch um 9,8 % eingebrochen, nach einem Rückgang um 1,9 % im Startabschnitt. Für das Winterhalbjahr erwartet das Gros der Ökonomen eine leichte Rezession. “Erst die wärmeren Temperaturen im Frühling und die Impfungen werden die Wirtschaft vor allem in der zweiten Jahreshälfte deutlich anziehen lassen”, erwartet Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Ein Monat Lockdown drücke das quartalsweise BIP fast um 1 %.Nach den massiven Rückgängen fast aller Teilbereiche im zweiten Quartal kam es im dritten Vierteljahr laut Destatis zu teils zweistelligen Wachstumsraten. Allen voran lieferten die privaten Konsumausgaben positive Impulse. Sie kletterten um 10,8 %. Aber auch die Ausrüstungsinvestitionen legten mit 16,0 % kräftig zu. Der Außenhandel sorgte ebenfalls für Schub, da die Exporte um 18,1 % zulegten und die Importe um 9,1 % wuchsen. Von den Bauinvestitionen hingegen kamen laut Destatis keine Wachstumsimpulse, sie sanken im Quartalsvergleich um 2,0 %. Mit Ausnahme des Baugewerbes konnten im dritten Quartal sämtliche Wirtschaftsbereiche aufholen – allen voran das verarbeitende Gewerbe.Die Industrie erwies sich auch für die Münchener Konjunkturforscher als Lichtblick. “Ihre Lage hat sich deutlich verbessert”, sagte Ifo-Experte Klaus Wohlrabe im Reuters-Interview. Allerdings haben die Exporterwartungen wegen des Lockdowns bei wichtigen Handelspartnern – vor allem in Europa – einen Dämpfer erhalten, warnt Wohlrabe. Sie liegen nun wieder leicht im negativen Bereich. Und auch der Industrieverband BDI blickt sorgenvoll in die Zukunft: “Die Corona-Pandemie verlängert und verschärft die Industrierezession in Deutschland”, heißt es im aktuellen Industriebericht.Für das laufende Jahr erwartet der BDI einen Rückgang der Produktion im verarbeitenden Gewerbe in Deutschland um 10 %. “Damit befindet sich die deutsche Industrie seit nunmehr neun Quartalen in einer Rezession.” In anderen Ländern des Euroraums sieht die Lage allerdings noch düsterer aus: Für Spanien prognostiziert der BDI Produktionseinbußen von 12 %, für Frankreich und Italien von 11 %. Die Exporte von Waren “Made in Germany” dürften 2020 um 13 % zurückgehen, heißt es weiter.Am stärksten vom Lockdown belastet bleiben aber die Dienstleister. Das Geschäftsklima hat hier laut Ifo “merklich nachgegeben” und liegt erstmals seit Juni im negativen Bereich. “Die Indikatoren im Bereich Hotels und Gastgewerbe sind regelrecht abgestürzt”, sagte Ifo-Chef Fuest. Auch im Handel hat sich das Geschäftsklima eingetrübt. Insbesondere bei den Einzelhändlern liefen die Geschäfte schlechter.