Im InterviewAthanasios Orphanides

„Die EZB hat ihre Geldpolitik noch nicht genug gestrafft“

Der Ausgang der wegweisenden EZB-Zinssitzung am Donnerstag ist völlig offen. Die Börsen-Zeitung hat mit Athanasios Orphanides, Ex-Zentralbankchef in Zypern, über Teuerung, Bilanzabbau und Inflationsziele gesprochen.

„Die EZB hat ihre Geldpolitik noch nicht genug gestrafft“

Muss die EZB ihre Leitzinsen weiter anheben, und wenn Ja, bereits jetzt am Donnerstag, oder hat sie bereits genug getan?

Die Inflation ist zu hoch. Die EZB hat die Inflation zu stark ansteigen lassen, bevor sie im Juli 2022 mit der Anhebung der Zinssätze begann, und hat ihre Politik seither nur langsam angepasst. Derzeit sind die kurzfristigen Realzinsen nach wie vor negativ; die EZB hat ihre Geldpolitik noch nicht genug gestrafft. Die EZB muss die Zinsen stärker anheben, um die Inflation auf 2% zu senken. Weder eine zu niedrige Inflation noch eine Inflation von mehr als 2% ist im besten Interesse des Euroraums.

Wie sollte die EZB reagieren, falls die Eurozone nun in eine Rezession rutscht, während die Inflation immer noch deutlich zu hoch liegt?

Sobald die EZB die Preisstabilität wiederhergestellt hat, wird sie in der Lage sein, die Wirtschaft in einer Rezession wirksamer zu stützen, ohne die Wirtschaft langfristig zu schädigen. Die EZB wäre besser in der Lage gewesen, sich vor einer Rezession zu schützen, wenn sie Ende 2021 mit der Normalisierung ihrer Politik begonnen hätte. Ein kurzsichtiger Ansatz, der sich auf die Angst vor einer Rezession konzentriert, anstatt die Wirtschaft langfristig zu stützen, würde diesen politischen Fehler nur verstärken.

Parallel zu den Zinserhöhungen reduziert die EZB ihre aufgeblähte Bilanz. Braucht es dabei mehr Tempo oder ist das aktuelle Vorgehen angemessen – oder aktuell sogar zu viel?

Die EZB sollte ihre Bilanz weiter abbauen, muss aber auch bekannte Mängel in ihrem operativen Rahmen korrigieren, um Effizienz zu gewährleisten und die Finanzstabilität zu schützen.  So verlässt sich die EZB im Gegensatz zu allen anderen Zentralbanken weiter auf private Ratingagenturen, um zu entscheiden, ob Staatsanleihen für Bilanzoperationen geeignet sind. Die EZB muss diesen Fehler korrigieren, um ihre Bilanz zu verkleinern, ohne das Risiko einzugehen, wie in der Vergangenheit unnötige Krisen auszulösen.

Wie schätzen Sie den mittel- und langfristigen Inflationstrend im Euroraum ein? Droht strukturell eine höhere Inflation oder eine Rückkehr zur Disinflation wie vor der Pandemie?

Grundsätzlich sollte die EZB ihre Politik anpassen, um allen Kräften Rechnung zu tragen, die die Inflation dauerhaft entweder über oder unter 2% zu drücken drohen. Die Geldpolitik kann und sollte sich an Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur anpassen. Die niedrige Inflation vor der Pandemie war das Ergebnis einer unangemessen straffen EZB-Politik. Auch wenn man den Anstieg wegen des Ukraine-Kriegs berücksichtigt, ist die unangemessen lockere Politik der Hauptgrund dafür, dass die Inflation heute zu hoch ist.

Sollte die EZB perspektivisch ihr Inflationsziel von 2,0% anheben oder zumindest eine Art Toleranzband einführen?

2% Inflation ist der weltweite Standard und die am besten geeignete Definition von Preisstabilität für den Euroraum. Sie ist niedrig genug, um mit der Preisstabilität vereinbar zu sein und den Wohlstand zu unterstützen, und sie ist hoch genug, um negative Leitzinsen und aufgeblähte Bilanzen die meiste Zeit über zu vermeiden. Es wäre tragisch, wenn die EZB zu einer unklaren Definition mit einem Toleranzband zurückginge oder, noch schlimmer, erklärte, dass eine hohe Inflation mit Preisstabilität vereinbar ist.

Die Fragen stellte Mark Schrörs