Die Frauen halten den Laden zusammen
Inzwischen hat auch in Russland das neue Jahr begonnen. Auch das alte neue Jahr, das aufgrund des in der orthodoxen Kirche nach wie vor gültigen alten julianischen Kalenders 13 Tage später am 13. Januar startet. Traditionsbewusste Russen feiern den zweiten Jahreswechsel, nachdem sie sicherheitshalber auch den ersten zu Silvester begehen, so wie viele von ihnen eben auch zwei Weihnachten nach beiden verschiedenen Kalendern feiern.Dass sie sich auf das angebrochene Jahr 2019 auch freuen, ist indes so sicher nicht. Nach zwei Jahren relativer Erholung der Wirtschaft steht nun nämlich eine neuerliche Durststrecke bevor. Dass der gewöhnlich zweckoptimistische Wirtschaftsminister Maxim Oreschkin neulich ein BIP-Wachstum von nur noch 1,3 % veranschlagt hat, spricht Bände. Denn selbst die nun von der Weltbank soeben prognostizierten 1,5 % wären schon eine merkbare Verschlechterung zum Vorjahr. Gut, in der zweiten Jahreshälfte sollte es wieder besser werden, sagt Oreschkin. Demgegenüber entfalle die “schwierigste Phase für die Wirtschaftsdynamik auf Anfang 2019”.Wie so oft ist es ein Zusammenfall äußerer und innerer Gründe, die die Russen abermals auf eine Geduldsprobe stellen: Bei dem für Russland so entscheidenden Ölpreis geht es nun zwar wieder bergauf, aber die Situation bleibt volatil. Der Motor der globalen Konjunktur wird auch tendenziell schwächer und kann Russland keinen neuen Schub verleihen. Die westlichen Sanktionen lasten auf dem Land, mögliche weitere Strafmaßnahmen wirken lähmend. Und zu allem Überfluss hat die russische Regierung nun auch noch die Mehrwertsteuer von 18 % auf 20 % und diverse Akzisen angehoben, um das Budget zu stemmen.Der letzte Punkt ist es denn auch, der die Zentralbank etwas ratlos macht. Vorerst nämlich hat man noch keine Vorstellung davon, wie sehr dies die Inflation anheizen wird. Schon Ende 2018 musste die Zentralbank verblüfft zur Kenntnis nehmen, dass die Teuerung weitaus schneller voranschreitet, als sie es prognostiziert hatte. Dies trotz der Tatsache, dass der Preis für Benzin bis Ende März eingefroren worden ist. Der historische Erfolg, die vor kurzem noch zweistellige Inflation deutlich unter 4 % gedrückt zu haben, ist damit dahin. Und weil die Zentralbank vorwiegend den Kampf gegen die Teuerung im Fokus hat, kann sie auch künftig die nötige Lockerung der Zinspolitik zur Stimulierung der Wirtschaft nicht vollziehen.Elvira Nabiullina, die die russische Zentralbank seit Jahren souverän leitet, ist um ihren Job nicht zu beneiden. Während die Hardliner die Wirtschaft in Geiselhaft halten, indem sie die außenpolitischen Verwerfungen prolongieren und mit Hilfe korrupter Behörden die Wirtschaftstreibenden im Inland piesacken, muss Nabiullina in dieser schwierigen Umgebung den Überblick und die Balance bewahren. Man kann sagen, sie muss den Laden zusammenhalten, den die Patriarchen im Establishment mutwillig durcheinanderbringen.Das hat Tradition in Russland. Schon zu Sowjetzeiten war es Frauen zugekommen, innerhalb der Familie die Oberaufsicht über das Geld zu führen und alles am Laufen zu halten. Das machte auch insofern Sinn, als damals die reale Gefahr bestand, dass Männer den Lohn vertranken, weshalb sie ihn zu Monatsbeginn den Frauen übergaben. Beim späteren Übergang in die Marktwirtschaft spiegelte sich das in den Betrieben. Zwar werden die Unternehmen – vor allem je größer sie sind – auch weiterhin vorwiegend von Männern gemanagt. Aber den Finanzvorstand hat heute häufig eine Frau inne.Im Übrigen ist das Wirkungsfeld der russischen Frauen vor allem auf Klein- und Mittelbetriebe beschränkt, die etwa zur Hälfte in Frauenhand liegen. Und in depressiveren Provinzregionen findet man sie auch an der Regierungsspitze, weil sie als anpassungsfähiger gelten und man ihnen in Krisenzeiten einfach mehr vertraut, wie eine Soziologin im Gespräch erklärt.In der großen Politik finden Frauen indes nicht statt. So wie man ihnen als Mann nach Landesgebrauch auch nicht die Hand gibt. Die russische Sprache legt die Realität schonungslos offen: Heiratet eine Frau, so heißt das, sie “geht hinter den Mann”. Und “sie ist hinter dem Mann”, wenn sie verheiratet ist.