Altersvorsorge

„Die gesetzliche Rente kann für die meisten Menschen nur ein Grundstock sein“

Jährlich steigt der Zuschuss des Bundes zur Rentenkasse. Der Umstieg vom reinen Umlageverfahren ist zwar begonnen worden. Das könne aber nur der Anfang sein, ist sich das Panel auf dem Eurobörsentag einig. Neben die Stabilisierung der ersten Säule müssten dringend auch die zweite und dritte Säule gestärkt werden.

„Die gesetzliche Rente kann für die meisten Menschen nur ein Grundstock sein“

“Gesetzliche Rente nur ein Grundstock”

Panel fordert Stärkung betrieblicher und privater Vorsorge – Wiedereinführung der Spekulationsfrist erwogen

Jährlich steigt der Zuschuss des Bundes zur Rentenkasse. Der Umstieg vom reinen Umlageverfahren ist zwar begonnen worden. Das könne aber nur der Anfang sein, ist sich das Panel auf dem Eurobörsentag einig. Neben die Stabilisierung der ersten Säule müssten dringend auch die zweite und dritte Säule gestärkt werden.

Von Sebastian Schmid, Frankfurt

Ein Großteil der Bundesbürger glaubt nicht mehr daran, dass die gesetzliche Rente ein Auskommen im Alter sichert. Die Überalterung der Gesellschaft lässt die Lücke in der Rentenkasse von Jahr zu Jahr weiter wachsen. Bei privater und betrieblicher Altersvorsorge hinkt Deutschland anderen Ländern dennoch hinterher. In der Diskussionsrunde „Herausforderung Altersversorgung – Was der Finanzmarkt leisten kann“ auf dem Eurobörsentag 2023 bei der IHK Frankfurt waren sich die Panelisten daher einig, dass sich etwas ändern muss. „Zu Anfang hatten wir sechs Beitragszahler je Rentner. Inzwischen sind es 1,8. Da merkt man schon: Das System funktioniert nicht mehr“, stellte die Bundestagsabgeordnete Anja Schulz (FDP) fest. Aus dem Bundeshaushalt fließen mittlerweile im Jahr 112 Mrd. Euro an Steuermitteln in die gesetzliche Rente. „Wir müssen uns also mit alternativen Finanzierungsmöglichkeiten beschäftigen.“

„Wir sind spät dran“

Für Ingo Mainert, CIO Multi-Asset Europa bei Allianz Global Investors, ist das Grundgerüst in der deutschen Altersvorsorge mit den drei Säulen gesetzlicher, betrieblicher und privater Altersvorsorge im Prinzip gut. „Wir haben diese drei Säulen aus meiner Sicht in der Vergangenheit aber noch nicht so ausgelebt, wie es hätte sein können.“ Es sei zwingend die Kapitaldeckung in das Umlageverfahren hineinzunehmen. Die Verabschiedung des Generationenkapitals und auch die Diskussion, die damit losgetreten wurde, sei in diesem Zusammenhang vor allem psychologisch wichtig. Die materiellen Auswirkungen seien dagegen eher gering. „Wir sind spät dran. Das Generationenkapital beläuft sich Ende der 2030er Jahre überschlagen auf rund 150 Mrd. Euro. Rechnet man die Performance des Dax gegen die Finanzierungskosten, kommt man ungefähr auf eine Rendite von 4% bzw. 6 Mrd. Euro. Wir brauchen eigentlich ein anderes Tempo“, rechnete Mainert vor.

Deutschland setze ohnehin zu stark auf die erste Säule, betonte Daniel Wildhirt von PwC. „Wir sollten daher darüber nachdenken, wie wir die zweite und die dritte Säule einfacher machen und stärken.“ Da könne man über steuerliche Regelungen nachdenken. „Es besteht eine Menge Verbesserungsbedarf“, räumte Schulz ein, die im Finanzausschuss und dem Ausschuss für Arbeit und Soziales sitzt. Sie setzt auf drei Stellschrauben. Neben einem solideren Fundament für die gesetzliche Rente brauche es auch ein Erwartungsmanagement mit Blick auf deren Leistungsfähigkeit. „Die gesetzliche Rente kann für die meisten Menschen nur ein Grundstock sein. Dafür müssen wir die Menschen sensibilisieren – auch wenn das nicht immer gut ankommt.“ Die private Säule der Altersvorsorge müsse gestärkt werden.

Langfristiger Horizont gefragt

„Was es vor allem braucht, ist Verständnis von Kapitalmarktfinanzierung. Das gilt insbesondere, wenn es dann zu einem realen Stresstest kommt“, ergänzte Mainert. „Wir haben das in den Finanzkrisen erlebt, wie schnell Kapitalanlagen dann auch wieder populistisch diskutiert werden.“ Bei Themen wie Aktienrente oder Generationenkapital gehe es ohnehin um den langfristigen Horizont, erklärte Schulz. „Denn kurzfristige Schwankungen haben wir am Kapitalmarkt natürlich immer, wenn wir ehrlich sind.“ Zudem sei wichtig, dass die Politik nicht über Vorgaben in die Anlageentscheidungen eingreife.

Bei der betrieblichen Altersvorsorge werde einiges getan, so Schulz. Das sei auch nötig. „Schweden hat in der betrieblichen Altersvorsorge eine Durchdringung von 90%, wir gerade mal von 54%.“ Für kleinere Unternehmen seien die bürokratischen Hürden zu hoch, befand auch Mainert. Bei den Betriebsrenten sieht er viel Potenzial. In der dritten Säule habe er mit Blick auf Rürup, Riester usw. eher das Gefühl, dass da ein Trial-and-Error-Ansatz vorgeherrscht habe. Da sei einiges mit mehr oder weniger Erfolg ausprobiert worden. „Dabei muss man hier das Rad nicht neu erfinden. In anderen Ländern gibt es erfolgreiche Modelle zur privaten Altersvorsorge, die aber auch steuerlich stark incentiviert werden.“ Die Wiedereinführung einer Spekulationsfrist sollte in Erwägung gezogen werden, um Anreize für langfristige Anlagen zu setzen. Schulz hält das für machbar, „aber sicher nicht in der derzeitigen Konstellation“.

Wildhirt wäre vor allem wichtig, dass ein Modell gefunden wird, das über viele Wahlperioden stabil bleibt und parteiübergreifend getragen ist. „Das würde uns in jedem Fall helfen, dass wir nicht alle zehn Jahre über die nächste Reform reden müssen und die Akzeptanz erhöhen.“ Auch aus Anlagesicht sei das sinnvoll. „Die Renditen kommen über die Zeit.“ Wildhirt regt aber an, die verschiedenen Herausforderungen, vor denen Deutschland stehe, stärker zusammen zu denken. „Wir brauchen für Ziele wie Klimaneutralität und Infrastruktur ganz viel Investitionskapital. Wir könnten daher etwa Kapital in Infrastruktur investieren und die Einnahmen daraus der Rentenkasse zufließen lassen. Wir werden beide Themen sowieso haben, also warum nicht zusammen denken.“

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