Die Milliarden, mit denen Putin nicht gerechnet hat
Es ist nun auch schon wieder fast eineinhalb Jahrzehnte her, als Russland von der Rohstoffhausse erfasst wurde und damit seinen ersten wirklichen Wirtschaftsboom der Gegenwart erlebte. Sieht man von der kurzen Unterbrechung während der Finanzkrise 2008 und 2009 ab, so hielt diese Phase bis zum Ölpreisverfall Mitte 2014 an.Zehn Jahre Geldschwemme haben den Russen nicht nur zum ersten Mal die Möglichkeit verschafft, Vermögen aufzubauen, sie haben sie auch dazu verleitet, in einen Konsumrausch bizarrster Ausformungen zu verfallen. Gewiss, Letzteres lag auch in der tief sitzenden Erfahrung der 1990er Jahre und speziell des Rubel-Crashs 1998, dass Geld jederzeit in einer Hyperinflation entwertet sein kann.Es mutet fast wie ein Déjà-vu an, wenn nun im Jahr 2018 plötzlich eine neue Rohstoffhausse über das Land hereinbricht. Vor allem der für die russische Wirtschaft nach wie vor entscheidende Ölpreis ist durch seine Rally seit Mitte 2017 mittlerweile auf 75 Dollar je Barrel der Sorte Brent, an der sich die russische Sorte Urals orientiert, zurückgekehrt. Das ist zwar weit von den 115 Dollar vor dem Preissturz und den über 140 Dollar im Jahr 2008 entfernt. Aber nach dem zwischenzeitlichen Absturz auf unter 30 Dollar hatte doch kaum jemand mit einer derart schnellen Erholung gerechnet.Und so fließen ganz plötzlich zusätzliche Dutzende Milliarden an Petrodollar aus dem Export von Öl und Gas in den größten Flächenstaat der Welt. Im laufenden Jahr sind es 2,74 Bill. Rubel (37,5 Mrd. Euro). Für das kommende Jahr dann haben die Beamten überhaupt 3,42 Bill. veranschlagt. So jedenfalls steht es in den “Haupttendenzen der Budget-, Steuer und Zolltarifpolitik des Finanzministeriums für die kommenden drei Jahre”.Aber auch wenn dieser Umstand auf den ersten Blick an die vergangene Rohstoffhausse erinnert, so fällt die jetzige unterm Strich für Russland doch ganz anders aus. Im Unterschied zum damaligen Wirtschaftsboom herrscht jetzt nämlich nur ein Wachstum an der Grenze zur Stagnation. Und so hängt nicht einmal die Regierung die eigentlich positive Nachricht vom Geldsegen an die große Glocke. Mit gutem Grund. Denn das zusätzliche Geld fließt nicht ins aktuelle Budget und damit in unmittelbare Leistungen für die Bürger. Die überschüssigen Petrodollar werden vielmehr im Inland in Devisen gewechselt, was nebenbei noch den Rubel vorteilhaft schwach hält, und anschließend in den sogenannten Nationalen Wohlfahrtsfonds überwiesen. Im Juni stiegen auf diese Weise die dortigen Reserven um fast ein Viertel auf 4,84 Bill. Rubel.Das Geld zu horten macht durchaus Sinn. Zu sehr ist das Land, sprich der Staatshaushalt, nach wie vor einseitig von den Einnahmen aus dem Rohstoffexport abhängig. Und auch wenn diese Abhängigkeit im Laufe der Zeit etwas reduziert wurde, stehen die Petrodollar dieses Jahr immer noch für über 42 % (in Summe 7,23 Bill. Rubel) der Einnahmen des Staatshaushalts.Das hat die Verantwortlichen schon vor einiger Zeit dazu veranlasst, eine eigene Budgetregel für Petrodollar einzuführen und sie auch konsequent einzuhalten. Ihr zufolge wandern alle Einkünfte aus dem Ölverkauf, die über jenen 40,8 Dollar je Barrel liegen, auf denen das Budget erstellt worden ist, automatisch in den Fonds.Russland hat Erfahrung mit ölpreisbedingten Durststrecken. Aus diesem Grund hat der einstige und international angesehene Finanzminister Alexej Kudrin bereits zu Beginn der Rohstoffhausse vor eineinhalb Jahrzehnten die Einrichtung eines Stabilisierungsfonds nach dem Vorbild Norwegens durchgesetzt. Möglich wurde dies, weil er dabei von seinem langjährigen Weggefährten Wladimir Putin unterstützt worden ist, obwohl ein Teil des Establishments dieses Geld lieber gleich verteilt hätte. Dabei sollten die Ersparnisse schon bald Goldes wert sein. In der Finanzkrise federten sie den ersten großen Schock ab, in der Wirtschaftskrise seit 2014 den nächsten. Der jetzige Finanzminister Anton Siluanow kommt aus Kudrins Stall. Er setzt seinen Weg trotz Wirtschaftskrise eisern fort. Und er belegt damit, dass Russland sparen gelernt hat. Die internationalen Reserven des Landes, die vor der Krim-Annexion Anfang 2014 noch 510 Mrd. Dollar betragen hatten und bis Anfang 2015 auf 350 Mrd. Dollar geschwunden waren, liegen inzwischen wieder bei 458 Mrd. Dollar.